Cabuflé; 2010-10-04
Eine Freundin von mir, die sich ihr Studium der Geisteswissenschaften unter anderem durch den Verkauf sexueller Dienstleistungen finanziert, machte unlängst eine aufschlussreiche Erfahrung, als sie in einem renommierten Sex-Shop Flyer für eine Veranstaltung der Hurenorganisation Hydra e.V. auslegen wollte: Offenbar möchte ein Unternehmen, das gegen Geld Objekte verkauft, die Menschen sich umschnallen, einführen oder sonstwie zum Lustgewinn gebrauchen können, es um jeden Preis vermeiden, öffentlich mit Menschen in Verbindung gebracht zu werden, die beruflich eben jene Objekte gegen Geld umschnallen, ihren Kunden einführen, bzw. sich einführen lassen oder sich sonstwie um den Lustgewinn ihrer Kunden kümmern.
Aus diesem Anlass formulierte sie einen offenen Brief an die Unternehmensleitung des Ladens, den ich hier im Wortlaut wiedergebe, da der beschriebene Sachverhalt symptomatisch für ein Problem unserer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft steht, das in meinen Augen unbedingte Aufmerksamkeit verdient:
Während die mediale Ausschlachtung von Sexualität in unterschiedlichsten Spielarten als Lifestylethema längst Normalität ist, massenweise Ratgeber- und Unterhaltungsliteratur rund ums “Untenrum” über Ladentheken wandert, während es nicht ungewöhnlich ist, im erwachsenen Freundeskreis offen Themen wie Promiskuität, Masturbation oder erotische Vorlieben zu erörtern, während pensionierte Pornodarsteller auf eine Zweitkarriere als C-Promi im Privatfernsehen hoffen dürfen und “prickelnde Experimente” wie ein Besuch im Swingerclub durchaus auch für Reihenhausbewohner eine halbwegs gesellschaftsfähige Option darstellen, werden Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen nach wie vor mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit ausgegrenzt und diskriminiert – sei es durch die ganz normalen bürgerlichen Ressentiments gegen alles irgendwie Schmuddelige oder mittels notorisch gutgemeinter Besorgnis um die armen ausgebeuteten und/oder fehlgeleiteten (zumeist weiblichen) Individuen. Weiterlesen…
Malibu Aircraft; 2010-09-29
Hamid Karzai. Quelle: Wikimedia
Hamid Karzai vergoss am Dienstag anscheinend ein paar Tränen. “Therefore, come to your senses … you are witnessing what is happening on our soil and only through our efforts can our homeland be ours.” schluchzte er sein Volk an. Das selbe Volk, das er erst vor kurzem wieder mal um eine faire Wahl betrogen hat.
Aber es sieht tatsächlich beschissen aus in Afghanistan, das muss man ja niemandem erzählen. Die Gebiete, die in Afghanistan und Pakistan faktisch von den Taliban kontrolliert werden, breiten sich immer weiter aus. Nach wie vor geht ein großer Teil von Hilfsgeldern indirekt an selbigen “Verein”. Mittlerweile sind Wegzoll- und Schutzgelderpressungen wahrscheinlich eine höhere Einnahmequelle für die Taliban als der Opiumhandel. Der Krieg wird weiter privatisiert. Obama will möglichst schnell raus. Gespräche und Deals von staatlicher und militärischer Seite mit den Taliban sind natürlich auf lokaler Ebene längst Realität und sollen nun auch in der großen Politik stattfinden.
Für den Westen ist Afghanistan wie eine juckende Stelle am Rücken, an die man nicht rankommt. Wenn man sie doch nur einfach vergessen könnte. Aber so läuft das nicht. Wer gegen internationales Militär in Afghanistan ist, muss gefälligst Alternativen aufzeigen. Wenn “wir” uns weiter in Afghanistan einsetzen, kann dieses Engagement gut und gerne noch Jahrzehnte dauern. Wenn nicht, ist es sehr wahrscheinlich, dass Afghanistan wieder in die Hände der Taliban fällt. Und dann darf selbst Karzai glaubhaft weinen.
Malibu Aircraft; 2010-08-15
Noch vor nicht allzu langer Zeit war ich erbitterter Gegner des Afghanistan- und des Irakeinsatzes. Als der Irakkrieg stattfand war ich 16 und ging zu jeder Antikriegsdemo, die ich finden konnte.
Eine meiner ersten Erinnerungen, die irgendwas mit Politik zu tun hat, ist folgende: Meine Eltern sitzen am Tisch und beschäftigen sich mit irgendwas. Ich komme an und nerve sie, sie lassen sich gütigerweise mit halbem Ohr auf ein Gespräch ein und irgendwie kommt dieses auf Opas Jugend und auf den Krieg. Ich weiß nicht mehr genau, wie mir zum ersten Mal verklickert wurde, dass in dem Land in dem wir leben einige Jahrzehnte zuvor eine massenmörderische, sich an Grausamkeit selbst überbieten wollende Diktatur herrschte, aber wahrscheinlich (mit der Angst eines Kindes, dass das doch jetzt hoffentlich auch wirklich vorbei ist) wollte ich unbedingt wissen, wie damals alles endete. Und -während meine Eltern keinen Zweifel daran liesen, dass es enden musste– spürte ich doch ein brennendes Gefühl der Ungerechtigkeit, dass auch unschuldige Deutsche bei den Angriffen der Alliierten starben.
Lange Zeit verfolgte mich die Idee, dass es doch auch irgendwie anders hätte gehen müssen. Später erschien mir eine Zeit lang Gandhis Methode als der Beweis dafür. (Lange bevor ich mich wirklich mit besagtem pädophilem Rassisten auseinandersetzte.) Es fühlte sich also folgerichtig an, auch gegen diese Einsätze sein zu können, ohne wirklich irgendwas über die beiden Länder zu wissen.
Ich halte es nach wie vor selbstverständlich für absolut möglich, aus guten Gründen gegen die Einsätze von 2001 und 2003 zu sein. Tendenziell lehne ich selbst mittlerweile in die andere Richtung. (Sollte ich “leider” sagen? Wenn dann, weil es hier vielleicht eine “richtige”, aber mit Sicherheit keine “gute” Position gibt.) Nur aus Prinzip dagegen zu sein, ist für mich mittlerweile schwer nachvollziehbar. Es fühlt sich immer noch etwas seltsam an, den letzten Satz zu schreiben, denn schließlich war die Position, die ich nicht mehr nachvollziehen kann, irgendwann mal meine eigene.
Manchmal redet man sich ein, dass man zumindest im Ansatz Meinungen, die man heute vertritt schon immer gehabt hat. Ich vergesse mittlerweile gerne, dass ich mal an so etwas wie einen “radikalen Pazifismus” geglaubt habe, bzw. an das, was heute darunter verstanden wird. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich lautstark gegen etwas protestiert habe, von dem ich nicht nur keine Ahnung hatte, sondern von dem ich es auch nicht nötig gehalten habe, Ahnung zu haben. Zumindest ein Gefühl hatte ich “im Ansatz”: Dass die Position (gar “Bewegung”?), die man allzu gerne selbstgefällig mit der Protestbewegung gegen den verbrecherischen Vietnamkrieg vergleicht, die sich gegen die allmächtige USA stellt und die so emotional aufgefüllt ist, dass genau diese Position irgendwie viel zu einfach ist. Ich meine nicht mal inhaltlich. Es waren hierzulande zu viele auf der eigenen Seite, als dass man sich rebellisch hätte fühlen können. Ich weiß noch ziemlich genau, wie eine ältere Mitdemonstrantin mit Anspielung auf die Propaganda der amerikanischen Medien, Mark Twains berühmten Satz zitierte: “Immer wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, ist es Zeit sich zu besinnen.” Ich schaute mich um, sah die SPD-, Grünen-, PDS- und PACE-Fahnen und verdrängte das Gefühl einer eigentlich offensichtlichen Ironie, das sich in mir breitmachte.
Doch wie gesagt änderte sich meine Position zu Afghanistan und zu Irak erst vor kurzem. Einen Anstoß -oder besser einen zusätzlichen kräftigen Schubser- gaben Texte von Christopher Hitchens. Aber ich will an dieser Stelle keine geschlossene Argumentation für die Interventionen vorlegen (gerne ein andermal).
Mit meiner antimilitaristischen Einstellung kam schon auch eine gewisse misstrauische Haltung bis Feindschaft allem Soldatischem gegenüber. Wie einfach ist es doch, sich vom Klischeebild des kriegsgeilen, obrigkeitshörigen Soldaten zu überzeugen, selbst wenn man wie ich von früh auf Erwachsene kennenlernen durfte, die diesem Bild vollständig widersprechen. Hitchens beschreibt in seinen kürzlich erschienenen Memoiren ausführlich, wie er davon erfuhr, dass ein junger Soldat namens Mark Daily im Irak getötet wurde, der sich unter anderem durch seine Texte zu einer Einschreibung bewegen lies. Das Kapitel ist eines der berührensten des Buches, aber statt Hitchens zu zitieren, kann ich auch Mark Daily selbst sprechen lassen, denn seine MySpace-Seite gibt es immer noch.
Why I Joined:
[…] Much has been said about America’s intentions in overthrowing Saddam Hussein and seeking to establish a new state based upon political representation and individual rights. Many have framed the paradigm through which they view the conflict around one-word explanations such as “oil” or “terrorism,” favoring the one which best serves their political persuasion. I did the same thing, and anyone who knew me before I joined knows that I am quite aware and at times sympathetic to the arguments against the war in Iraq. If you think the only way a person could bring themselves to volunteer for this war is through sheer desperation or blind obedience then consider me the exception (though there are countless like me).
Ich fordere jeden dazu auf, seine MySpace Seite zu besuchen und den ganzen Eintrag zu lesen. Und dann zu entscheiden, ob es sich hier um einen naiven, dummen, kleinen Bushfan handelte.
Wenn ich heute an meine Antikriegsdemoteilnahmen zurückdenke, schäme ich mich nicht für meine damalige Position. Aber ich wünschte, ich hätte zumindest nicht folgende selbstgerechte Einstellung geteilt: Dass man sich für den Tod und das Leiden Unschuldiger weniger rechtfertigen muss, wenn sie durch das Ausbleiben einer militärischen Interventionen auftreten, als wenn sie durch die Durchführung selbiger entstehen. Und es ist sehr wohl möglich, das zu sagen, ohne in die Rechtfertigungen für die zahllosen Fehler und unverzeilichen Verbrechen, die in Afghanistan, Irak und sogar in Deutschland von den Alliierten begangen wurden, einzustimmen.
Malibu Aircraft; 2010-08-04
In Pakistan werden viele Opfer der Fluten von islamistischen Gruppen versorgt. Der englische Guardian schreibt:
With the government overwhelmed by the scale of the disaster, the worst flooding in Pakistan in at least 80 years, a gap has opened up for well-organised Islamic groups, mainstream and extremist.
They have been able to win hearts and minds in a region most hit by militancy and the threat of a Taliban takeover. Across the deluged north-west, locals complained bitterly that government help was almost entirely absent.
Die Zeitung gibt als Beispiel eine Unterorganisation von “Lashkar-e-Taiba” an, eine riesige Terrorgruppe, die in der Vergangenheit vor allem Anschläge in Indien ausführte, aber auch gute Kontakte mit Taliban und Al-Qaeda unterhält. Die Ironie ist offensichtlich: Gerade in den Gebieten in denen staatliche oder internationale Hilfe zum Teil aufgrund zerstörter Infrastruktur und beschissener Sicherheitslage fehlt – beides im beträchtlichem Maße die Schuld von Gruppen wie Lashkar-e-Taiba – können islamistische Gruppen als Retter glänzen.
Situationen wie diese zeigen, warum man auf Orte wie Afghanistan und Pakistan nicht einfach aus sicherheitspolitischem Auge schauen kann. Entweder setzt sich der Westen für sie ein, das bedeutet humanitäre und finanzielle Mittel in viel höherem Ausmaß als bisher, und er verpflichtet sich selbst dazu, langfristig beim Aufbau mitzuhelfen oder wir können noch so viel Soldaten und militärische Ausrüstung schicken: Denn dann wird es sehr wahrscheinlich in absehbarer Zeit einen neuen Afpak-Staat unter islamistischer Herrschaft geben.
Malibu Aircraft; 2010-06-29
Einige Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz oder deren Angehörige werden in der Heimat offensichtlich schikaniert. Das berichtet die in Halle erscheinende „Mitteldeutsche Zeitung“ (Dienstag) unter Berufung auf Bundeswehr-Kreise und das Verteidigungsministerium.
Demnach komme es vor, dass entweder in die Wohnungen der Soldaten eingebrochen werde, während sie nicht da sind, oder aber Familienmitglieder anonyme Anrufe erhielten, wonach ihre Angehörigen in Afghanistan gefallen seien, obwohl dies gar nicht stimme.
[…]
Die Bundeswehr sei deshalb dazu übergangen, die Anonymität der Soldaten im Auslandseinsatz grundsätzlich zu wahren. So würden öffentlich nur ihre Vornamen genannt und die Gesichter auf Fotos gepixelt.
[…]
Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, sagte der Zeitung, neben gewöhnlichen Kriminellen, die sich für einen Einbruch auf offensichtlich leerstehende Wohnungen konzentrierten, seien „Wirrköpfe“ und „angebliche Antimilitaristen“ am Werke, „die zynisch mit den Gefühlen von Angehörigen spielen“ und eine „gezielte Strategie der Verunsicherung“ betrieben. Unter anderem lade diese Szene zu Besäufnissen ein, wenn Soldaten gefallen seien – und zwar unter dem Motto: „Feste feiern, wie sie fallen.”
Quelle: Fokus.de
Auf dem Blog BamM, der mit zu dem “Fest” aufrief, wird stolz ein Interview mit der jungen Welt wiedergegeben, in dem unter anderem die Verbreitung eines entsprechenden Flyers mit geschwellter Brust verteidigt wird.
Ein Zitat daraus ist besonders bezeichnend:
Wenn Politiker fast aller Parteien ständig betonen, daß die Soldaten den Rückhalt der Gesellschaft benötigen, um motiviert und erfolgreich ins Gefecht zu ziehen, sagen wir: Nein, den verdienen sie nicht, sie verdienen nicht Ruhm und Ehre, sondern Verachtung.
Ich würde behaupten, dass “unsere” Soldaten ganz offensichtlich auch ohne diesen Rückhalt in den Krieg gehen. Niemand hat die Verpflichtung, sie dafür zu bewundern. Aber wenn Leute, die nicht mal ein Funken des selben Mutes aufbringen könnten, selbst wenn sie wollten, ernsthaft glauben, an ihrer Position ist irgendwas ehrenhaft oder mutig oder radikal, dann sind sie vielleicht mehr als nur der Verachtung würdig.
Auf der anderen Seite sind sie die Energie, die Hass benötigt, nicht wirklich wert.
Malibu Aircraft; 2010-06-21
For einem Jahr begannen im Iran großflächige Demonstrationen gegen das faschistische, theokratische Regime von Ali Khamenei und der Marionettenfigur Ahmadinedschad. Heute sind 70 Prozent der iranischen Bevölkerung unter 25 Jahre alt und in Universitäten finden sich zu 60 Prozent Studentinnen. Das geht zum großen Teil zurück auf den achtjährigen Krieg zwischen Iran und Irak, der 1988 endete und in dem Iran mindestens eine Million junger Menschen verlor. Infolgedessen versuchte Iran alles um die Geburtenzahlen zu erhöhen, wobei sie etwas über das Ziel hinausschossen. Gleichzeitig wurde das Bildungssystem ausgebaut, was besonders von Frauen genutzt wurde.
Es ist genau die Generation, welche aus jenen Prozessen hervorging, die bis heute unter Lebensgefahr auf die Straße geht und die mehr Respekt und Solidarität verdient, als sie überhaupt bekommen kann. Leider erhielt sie jedoch vor einem Jahr von internationaler Seite zum großen Teil zögerliche Unterstützung und auch Teile der Linken zeichneten ein mehr als erbärmliches Bild von sich selbst.
Diese Versäumnisse scheinen im Angesicht der Aussagen einiger ehemaliger Mitglieder der Revolutionsgarde noch viel schändlicher. Wenn man ihnen glaubt, stand das Regime vor einem Jahr kurz vor dem Zusammenbruch.
Ein 15-minütiges Videos mit entsprechenden Interviews findet sich hier.
Malibu Aircraft; 2010-06-05
… ist jetzt hier möglich.
Mein bescheidener Versuch im Folgenden. Schade ist natürlich, dass nichts an die Erbärmlichkeit des Originals heranreichen kann.
Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt
Meine Äußerungen zu Furzkot sind auf heftige Kritik gestoßen. Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer für das Ministerium für gesunde Ernährung wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten. Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete die Solidifikation von körperlichen Gasen. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für die ehrenwerte Profession des Flatulierens vermissen.
Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Pausenclowns von Deuschland – mit sofortiger Wirkung. Ich danke den vielen Menschen in meinem Kopf, die mir Vertrauen entgegengebracht und meine Arbeit unterstützt haben. Ich bitte sie um Verständnis für meine Entscheidung.
Sims Alabim; 2010-03-06
Verdientermaßen ist Guido Westerwelle gerade der Prügelknabe des politischen Kabaretts. Seine Harz IV- Tiraden reichen sogar dafür aus, dass eher moderate Gestalten der politischen Comedy sich zu neuen, menschelnden Höhen aufschwingen. Jetzt aber scheint der Wind sich gedreht zu haben: Beim Politikerderblecken am Nockherberg ist eine “Bruder Barnabas” genannte Kunstfigur in Deutschlands beliebtestes Fettnäpfchen getreten.
Bußprediger Lerchenberg hatte gehöhnt, Westerwelle versammle Hartz-IV-Empfänger “in den leeren, verblühten Landschaften zwischen Usedom und dem Riesengebirge, drumrum ein großer Zaun”. Ãœber dem Eingangstor werde “in großen eisernen Lettern” stehen: “Leistung muss sich wieder lohnen.” Ãœber dem Tor zum KZ Auschwitz hatte in eisernen Lettern gestanden: “Arbeit macht frei”.
So weit, so gut. Westerwelle ist über diesen Vergleich natürlich empört; der fällt für mich unter die Kategorie von Leuten, die laut in den Wald hineinröhren und dann das Echo nicht vertragen können. Dennoch ist seine Wut verständlich. Aus gutem Grund möchte niemand mit Nazis verglichen werden. Was mich aber an der ganzen Sache wieder aufregt, ist, wer sich noch alles über diesen Scherz aufregen muss:
Die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, bezeichnete einen entsprechenden Vergleich in der Rede des Schauspielers Michael Lerchenberg am Donnerstag als “nicht hinnehmbar” und “Schande”.
Knobloch sagte, einen derartigen Ausrutscher unter der Gürtellinie habe sie bislang noch nicht erlebt. “Scherze, die das Leid der Opfer in den Konzentrationslagern verharmlosen oder gar der Lächerlichkeit preisgeben, sind eine Schande für die ansonsten gelungene Veranstaltung.”
Ich weiß gar nicht, wie man derartig dumme Äußerungen noch kommentieren soll, ohne wie der verzweifelte Oliver Kalkofe zu wirken, dem es in seiner Mattscheibe auch nur selten gelingt, die schiere Blödheit der von ihm gewählten Fernsehsendungen noch durch übertriebene Imitationen zu überbieten. Warum zum Teufel ist es eine Verharmlosung der NS-Verbrechen, wenn man eine Anspielung darauf benutzt, um einem Politiker in einem vollkommen anderen Zusammenhang Menschenverachtung vorzuwerfen? Benutzen Leute wie Frau Knobloch ihr Gehirn eigentlich auch zum Denken, oder haben sie es auf einen reinen “Nazi-Detektor” reduziert, der laut und schrill Alarm schlägt, wenn irgendwo in irgendeinem anderen Zusammenhang als Gedenkfeiern oder großem, deutschen Hakenkreuz-Kinodrama, bestimme Schlüsselworte fallen, ganz egal wie unangebracht und am Thema vorbei ihr Protest im Augenblick ist? Wie ernst nimmt der Zentralrat der Juden die vielbeschworenen Leiden der Opfer eigentlich wirklich, wenn er sie gnadenlos zu nichts anderem benutzt, als sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu profilieren und die eigene Wichtigikeit zu unterstreichen?
Anderswo dasselbe: Ist an Fernsehredakteuren, die noch immer kategorisch behaupten, man dürfe über die düstere Vergangenheit Deutschlands keine Scherze machen, die gesamte Kulturelle Entwicklung der letzten 50 Jahre vorbeigegangen? Warum weigert man sich teilweise auch dort, anzuerkennen, was der Rest der Welt längst begriffen hat: Ausgemergelte Juden in gestreiften Anzügen, düstere SS-Männer in schwarzen Ledermänteln, die bei Nacht und Nebel an Verladebahnhöfen in schwarze Limousinen steigen, langgezogene Hakenkreuzbanner an alten Fassaden, Wehrmachtssoldaten mit knatternden Maschinengewehren, all das sind längst popkulturelle Ikonen. Ich rede hier nicht von den grandiosen humoristischen Bearbeitungen des Dritten Reiches, die Chaplin, Lubitsch, Brooks, in jüngerer Zeit aber auch Begnini oder Moers abgeliefert haben, ich rede von so etwas wie den “Sturmtruppen”-Comics aus Italien. Ich rede von den Schurken in Indiana-Jones Filmen, die immer für einen Lacher gut sind (“Nazis! I hate these guys!”), von der Eröffnungsszene in X-Men, von den Flashbacks in Shutter Island: Haben Spielberg, Singer und Scorsese nicht auch Verharmlosung des Holocaust betrieben, wenn sie seine Ikonographie ausnutzen, um Action- und Superheldenfilme zu drehen, die mit dem Thema an sich nichts zu tun haben? Betreibt die Werbeindustrie nicht eine Verharmlosung des Holocaust, wenn sie für Parfumwerbungen die Körperkult-Ästhetik von Leni Riefenstahl weiterbetreibt und damit einen Teil des kulturellen Erbes der Nazis ungebrochen aufrecht erhält?
Auch hier im Blog ist ja schon über die Angebrachtheit von Nazi-Vergleichen gestritten worden. Auch ich persönlich finde sie oft unelegant; die Lektüre vom Gotteswahn mit der Lektüre von Mein Kampf zu vergleichen, verharmlost aber nicht den Holocaust, sondern ist nur dazu geeignet, den Opponenten zu brüskieren. Und auch bei meinen geschätzten Freunden und Kollegen Mitautoren wirkt dieser Mechanismus ziemlich verlässlich: Zieht der Gegner die Nazi-Metapher aus dem Hut, weicht man sogleich auf Gegenattacken in expliziter Fäkalsprache aus oder droht mit der Verweigerung weiterer Gesprächsbereitschaft.
Offenbar ist der Nazi-Vergleich eine Rethorik-Keule, die ganz schön hart treffen kann, deshalb sollte ihr Einsatz gut überlegt sein – aber muss man jemandem, der sie verwendet, sofort vorwerfen, er würde das Leid der Holocaust-Opfer deswegen auf nichts anderes als eine solche Rethorik-Keule reduzieren? Gilt dieser Vorwurf dann auch für Josef Hader, der sich in seinem legendären Programm Privat darüber auskotzt, dass man in Europa vor lauter gebetsmühlenartigem Wiederholen der Phrase “Auschwitz darf nie wieder passieren” vollkommen übersieht, dass Völkermord in vielen Ländern der Erde an der Tagesordnung ist – und dass wir daran nicht unschuldig sind? Aber gegenwärtiger Genozid erhitzt die Gemüter scheinbar nicht so sehr, wie die Verharmlosung des vergangenen.
Wie aber sollen wir aus einer Vergangenheit wie dieser eine Lehre ziehen, wenn wir nicht auch zulassen, sie ins kollektive Bewußtsein und damit auch in die Popkultur oder unser Metaphernarsenal aufzunehmen? Wenn wir uns nicht auch erlauben, Vergleiche mit dieser Vergangenheit heranzuziehen, um früh genug neuen Anfängen entgegenzutreten? Eine mahnende Erinnerung an den Nationalsozialismus finde ich manchmal durchaus angebracht, z.B. angesichts der Tatsache, dass eine führende Partei mit Sprüchen wie “Leistung muss sich wieder lohnen” den Sozialstaat untergräbt, oder angesichts eines populäreren Wissenschaftlers, der anregt, darüber nachzudenken, warum man zwar Pferderassen auf bestimmte Merkmale hin züchte, aber davor zurückschrecke, dasselbe auch bei Menschen zu tun, um die Leistungsfähigkeit im Profisport zu steigern. Aber wer den Holocaust als Vergleich heranzieht, anstatt nur zum Selbstzweck darüber entsetzt zu sein, der macht offenbar nicht Gefahren in der Gegenwart deutlich, sondern er verhöhnt die armen Opfer…
Danke Hitler, dass du uns auch weiterhin das Leben schwer machst. Das Verbrechen an deiner Generation war Völkermord, verbrannte Erde, Elend, Massenhypnose und die Zerstörung einer Kulturnation; das an den folgenden Generationen jedoch ein kollektiver Dachschaden. Einerseits nervt man uns mit einen Zwang zur Verarbeitung, will es auf der anderen Seite aber nicht zulassen, wenn diese über ehrfürchtige Betroffenheitsgesten hinausgeht. Aber indem ich mich darüber beschwere, verharmlose ich vermutlich schon wieder den Holocaust.
Malibu Aircraft; 2010-01-21
Im Moment wird unter dem Post „Kreationisten sind doof und stinken“ von Cabuflé eifrig diskutiert. Ich will mich da eigentlich erst mal gar nicht so sehr einmischen, bin aber einfach mal so dreist, mir den in den Kommentaren verlinkten Artikel von Thomas Nagel “Public Education and Intelligent Design” (pdf download) vorzunehmen und dafür einen neuen Post aufzumachen.
Leider muss ich gleich respektvoll bemerken, dass mich die Begeisterung, die für diesen Artikel geäußert wurde, ähh wie soll ich sagen, absolut vollständig und komplett verwirrt.
Meine Meinung dazu ist bedauerlicherweise, dass es sich möglicherweise um einen der schlechtesten Artikel handelt, den ich je gelesen habe. Aber ich könnte mich ja irren und außerdem lernt man ja auch viel dabei, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die einem komplett querlaufen, also will ich das so gut es geht versuchen. Ich entschuldige mich schon im Vorfeld für eventuelle Polemisierungen, Ausfälle und wütende Wortschwälle.
Fangen wir an:
“Most importantly, the campaign of the scientific establishment to rule out intelligent design as beyond discussion because it is not science results in the avoidance of significant questions about the relation between evolutionary theory and religious belief, questions that must be faced in order to understand the theory and evaluate the scientific evidence for it.
It would be unfortunate if the Establishment Clause made it unconstitutional to allude to these questions in a public school biology class, for that would mean that evolutionary theory cannot be taught in an intellectually responsible way.“
(S.188)
Das sind halt so Sätze, bei denen mir ernsthaft übel wird. Mit das Großartigste an der amerikanischen Verfassung ist die Establishment Clause! Lassen wir uns doch nur einmal die Schönheit der selbigen zu Gemüte führen, gleich zusammen mit der Free Exercise Clause: “Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof…â€
Also WTF könnte irgendjemand DAGEGEN haben??
Wenn irgendjemand, sagen wir mal eine Religion, wichtige Beweise für die eigene Theorie vorlegen kann, dann sollten diese selbstverständlich gehört werden. Aber das schreibt Nagel nicht! Er sagt, dass der wissenschaftliche Beweis für die Evolutionstheorie nur bewertet und verstanden werden kann, wenn sie im Zusammenhang des religiösen Glaubens diskutiert wird!
Warum testen wir nicht den wissenschaftlichen Wert von allen Theorien im Zusammenhang mit religiösem Glauben? Ich finde ja, dass die Regeln für Fußball nicht verstanden und ihr Wert nicht beurteilt werden kann, wenn sie nicht unter religiösen Aspekten diskutiert werden. Hallo? Hab ich irgendwas verpasst? Seit wann geht so eine Argumentation als irgendwas anderes als Schwachsinn durch?
Und nicht zu vergessen: Schulkinder müssen wir da selbstverständlich auch noch mit reinziehen!
Aber weiter im Text, wir sind schließlich gerade mal auf der zweiten Seite.
“ID (as I shall call it, in conformity to current usage) is best interpreted not as an argument for the existence of God, but as a claim about what it is reasonable to believe about biological evolution…â€
Nun, wenn das so ist, ist ja alles gut und ich hab kein Problem damit. Ach verdammt, es geht weiter…
“… if one independently holds a belief in God that is consistent both with the empirical facts about nature that have been established by observation, and with the acceptance of general standards of scientific evidence.“
(S.188)
Warum spielt der Glaube an Gott da eine Rolle? Kann mir das jemand erklären? Das heißt, was man über die biologische Evolution glaubt, sollte abhängig davon sein, ob und wie man an Gott glaubt. Und die Argumentationsrichtung ist auch klar. ID beweißt Gott nicht, es setzt den Glauben an Gott voraus, an welchem sich dann die Theorie über die Evolution orientieren soll. Das Wort, das da nicht passt ist, ist “independently”. Wenn es da was zu suchen hätte, hätte der Satz auch nach der ersten Hälfte aufhören können. Und dann fragt er ernsthaft, was eigentlich das Problem mit ID ist?
“The evidence for the theory [Evolutionstheorie, Anm.] is supposed to be evidence for the absence of purpose in the causation of the development of life-forms on this planet.â€
(S.188)
Nein! Nein, eben nicht! Beweise für die Evolutionstheorie beweisen Evolutionstheorie und sonst nichts. Es ist nicht die Aufgabe der Evolutionstheorie irgendwas anderes zu beweisen oder zu widerlegen. Es ist die Aufgabe von denen, die glauben, dass es einen Sinn oder einen Plan oder sonst was in der Entwicklung des Lebens gibt, endlich Beweise für IHRE Theorie vorzulegen. Ich kann deren Theorie nicht widerlegen, niemand kann das. Ich kann auch die Existenz des Weihnachtsmanns und des Osterhasens nicht widerlegen.
„No one suggests that the theory is not science, even though the historical process it describes cannot be directly observed, but must be inferred from currently available data. It is therefore puzzling that the denial of this inference, i.e., the claim that the evidence offered for the theory does not support the kind of explanation it proposes, and that the purposive alternative has not been displaced, should be dismissed as not science. The contention seems to be that, although science can demonstrate the falsehood of the design hypothesis, no evidence against that demonstration can be regarded as scientific support for the hypothesis. Only the falsehood, and not the truth, of ID can count as a scientific claim. Something about the nature of the conclusion, that it involves the purposes of a supernatural being, rules it out as science.“
(S.188 f.)
Wie zur Hölle soll die Wissenschaft die „design hypothesis“ denn widerlegen? Und warum sollte sie sich überhaupt einen feuchten Scheißhaufen darum scheren? Ich muss mir noch mal diesen Satz auf der Zunge zergehen lassen:
“The contention seems to be that, although science can demonstrate the falsehood of the design hypothesis, no evidence against that demonstration can be regarded as scientific support for the hypothesis.â€
Zumindest hat er “support†und nicht “evidence†geschrieben. Aber stellen wir uns mal vor, ich fege den Satz „Es gibt keinen Weihnachtsmann, weil sein fliegender Wagen noch von niemandem gesehen und überzeugend dokumentiert wurde.“ mit dem Gegenargument „Sein fliegender Wagen ist unsichtbar.“ fort, inwiefern „unterstützt“ das meine Theorie, dass der Weihnachtsmann tatsächlich existiert? Ich habe immer noch keinen eigenen Beweis dafür vorgelegt, sondern warte nur darauf, dass jemand die Unmöglichkeit versucht, die Nichtexistenz zu beweisen und bekämpfe dann diesen Versuch.
Ich muss mich mit dem Zitieren etwas zurückhalten, sonst könnte ich auch gleich den ganzen Artikel hier reinkopieren.
Er geht jetzt also dazu über zu erklären, warum die Hypothese, dass genetische Mutationen übernatürlich beeinflusst werden, so sehr ignoriert wird. (Die korrekte Antwort darauf würde natürlich lauten: Aus dem selben Grund, weshalb meine Theorie, dass Johannes B. Kerner ein außerirdisches Killermonster mit Auftrag die Menschheit zu vernichten ist, ignoriert wird, nämlich dem, dass bedauerlicherweise keinerlei Beweise dafür vorliegen.)
“The premise is that the purposes and actions of God, if there is a god, are not themselves, and could not possibly be, the object of a scientific theory in the way that the mechanisms of heredity have become the object of a scientific theory since Darwin.
[…]
[T]he idea of a divine creator or designer is clearly the idea of a being whose acts and decisions are not explainable by natural law. There is no divine scientific psychology.â€
(S.189)
Nur mal so gefragt: Angenommen es gibt Gott oder etwas vergleichbares. Warum sollte er/sie/es nicht irgendwann auf wissenschaftliche Weise erklärbar sein?
Nagel fährt fort und überlegt sich die folgende Frage:
“Are the sources of genetic variation uniformly random or not? That is the central issue, and the point of entry for defenders of ID.â€
(S. 192)
Er führt hier z.B. das Konzept „Facilitated variation“, zu deutsch „Erleichterte Variation“ an. Soviel ich weiß, versteht sich dieses Konzept aber selbst als Erweiterung zur Darwinistischen Evolutionstheorie und das Buch „The Plausibility of Life“, welches Nagel an dieser Stelle anführt, richtet sich ausdrücklich gegen ID. Soweit ich das verstehe, geht es unter anderem darum, dass manche Elemente der DNA offener für Mutationen sind als andere. Die dem zugrundeliegenden Mechanismen entstanden selbst durch natürliche Selektion. Wenn diese Zusammenfassung einigermaßend zutreffend ist, wofür ich nicht meine Hand ins Feuer legen will, dann erklärt dieses Konzept eigentlich wie Mutation, die nicht vollständig zufällig ist, möglich wäre, allerdings ohne die Zuhilfenahme einer übernatürlichen Intervention.
Das wäre also ein ganz gutes Beispiel dafür, dass eine nicht hundertprozentige Zufälligkeit genetischer Variation noch lange kein Beweiß für irgendwas übernatürliches ist.
“But even if one merely regards the randomness of the sources of variation as an open question, it seems to call for the consideration of alternatives.â€
(S.192)
Und dieser Prozess nennt sich Wissenschaft. Selbst wenn wir die Sache offen oder sogar noch negativer bewerten würden, gäbe es aber keinen Grund einfach irgendwelchen “Alternativen” den Vorzug zu geben. Nach wie vor warte ich auf auch nur den geringsten Beweis für ID.
Ich müsste eigentlich fast zu jedem Satz was schreiben, hab das aber nicht vor. Nagel scheint davon auszugehen, dass die Existenz eines Gottes oder einer übernatürlichen Intervention bei nicht vorhandenen Beweisen genauso wahrscheinlich ist, wie die Nichtexistenz.
Wahrscheinlichkeit misst den Grad der Möglichkeit, dass etwas wahr ist. Mal ein einfaches Beispiel. Wenn jemand auf der Straße zu dir sagt: „Morgen geht die Welt unter.“, ohne dafür Beweise zu liefern, gehst du dann davon aus, dass morgen mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit die Welt untergeht?
Insofern springe ich jetzt einfach mal ein gutes Stück zum Ende zu einer besonders schönen Stelle.
“Sophisticated members of the contemporary culture have been so thoroughly indoctrinated that they easily lose sight of the fact that evolutionary reductionism defies common sense. A theory that defies common sense can be true, but doubts about its truth should be suppressed only in the face of exceptionally strong evidence.â€
(S. 202)
Ich weiß nicht genau, welchen Reduktionismus er hier meint, aber schon wieder so ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: „…the fact that evolutionary reductionism defies common sense…“
Selbstverständlich stimme ich mit dem Wort Reduktionismus nicht überein, aber er setzt es ja hier sowieso mit der Evolutionstheorie gleich. Mein „common sense“ sagt genau das Gegenteil aus, aber zum Glück ist sein Bauchgefühl ja ein allgemeiner „fact“.
|