Krieg und Frieden


Malibu Aircraft; 2010-08-15

Photo Credit: morgueFile.com

Noch vor nicht allzu langer Zeit war ich erbitterter Gegner des Afghanistan- und des Irakeinsatzes. Als der Irakkrieg stattfand war ich 16 und ging zu jeder Antikriegsdemo, die ich finden konnte.

Eine meiner ersten Erinnerungen, die irgendwas mit Politik zu tun hat, ist folgende: Meine Eltern sitzen am Tisch und beschäftigen sich mit irgendwas. Ich komme an und nerve sie, sie lassen sich gütigerweise mit halbem Ohr auf ein Gespräch ein und irgendwie kommt dieses auf Opas Jugend und auf den Krieg. Ich weiß nicht mehr genau, wie mir zum ersten Mal verklickert wurde, dass in dem Land in dem wir leben einige Jahrzehnte zuvor eine massenmörderische, sich an Grausamkeit selbst überbieten wollende Diktatur herrschte, aber wahrscheinlich (mit der Angst eines Kindes, dass das doch jetzt hoffentlich auch wirklich vorbei ist) wollte ich unbedingt wissen, wie damals alles endete. Und -während meine Eltern keinen Zweifel daran liesen, dass es enden musste– spürte ich doch ein brennendes Gefühl der Ungerechtigkeit, dass auch unschuldige Deutsche bei den Angriffen der Alliierten starben.

Lange Zeit verfolgte mich die Idee, dass es doch auch irgendwie anders hätte gehen müssen. Später erschien mir eine Zeit lang Gandhis Methode als der Beweis dafür. (Lange bevor ich mich wirklich mit besagtem pädophilem Rassisten auseinandersetzte.) Es fühlte sich also folgerichtig an, auch gegen diese Einsätze sein zu können, ohne wirklich irgendwas über die beiden Länder zu wissen.

Ich halte es nach wie vor selbstverständlich für absolut möglich, aus guten Gründen gegen die Einsätze von 2001 und 2003 zu sein. Tendenziell lehne ich selbst mittlerweile in die andere Richtung. (Sollte ich “leider” sagen? Wenn dann, weil es hier vielleicht eine “richtige”, aber mit Sicherheit keine “gute” Position gibt.) Nur aus Prinzip dagegen zu sein, ist für mich mittlerweile schwer nachvollziehbar. Es fühlt sich immer noch etwas seltsam an, den letzten Satz zu schreiben, denn schließlich war die Position, die ich nicht mehr nachvollziehen kann, irgendwann mal meine eigene.

Manchmal redet man sich ein, dass man zumindest im Ansatz Meinungen, die man heute vertritt schon immer gehabt hat. Ich vergesse mittlerweile gerne, dass ich mal an so etwas wie einen “radikalen Pazifismus” geglaubt habe, bzw. an das, was heute darunter verstanden wird. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich lautstark gegen etwas protestiert habe, von dem ich nicht nur keine Ahnung hatte, sondern von dem ich es auch nicht nötig gehalten habe, Ahnung zu haben. Zumindest ein Gefühl hatte ich “im Ansatz”: Dass die Position (gar “Bewegung”?), die man allzu gerne selbstgefällig mit der Protestbewegung gegen den verbrecherischen Vietnamkrieg vergleicht, die sich gegen die allmächtige USA stellt und die so emotional aufgefüllt ist, dass genau diese Position irgendwie viel zu einfach ist. Ich meine nicht mal inhaltlich. Es waren hierzulande zu viele auf der eigenen Seite, als dass man sich rebellisch hätte fühlen können. Ich weiß noch ziemlich genau, wie eine ältere Mitdemonstrantin mit Anspielung auf die Propaganda der amerikanischen Medien, Mark Twains berühmten Satz zitierte: “Immer wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, ist es Zeit sich zu besinnen.” Ich schaute mich um, sah die SPD-, Grünen-, PDS- und PACE-Fahnen und verdrängte das Gefühl einer eigentlich offensichtlichen Ironie, das sich in mir breitmachte.

Doch wie gesagt änderte sich meine Position zu Afghanistan und zu Irak erst vor kurzem. Einen Anstoß -oder besser einen zusätzlichen kräftigen Schubser- gaben Texte von Christopher Hitchens. Aber ich will an dieser Stelle keine geschlossene Argumentation für die Interventionen vorlegen (gerne ein andermal).

Mit meiner antimilitaristischen Einstellung kam schon auch eine gewisse misstrauische Haltung bis Feindschaft allem Soldatischem gegenüber. Wie einfach ist es doch, sich vom Klischeebild des kriegsgeilen, obrigkeitshörigen Soldaten zu überzeugen, selbst wenn man wie ich von früh auf Erwachsene kennenlernen durfte, die diesem Bild vollständig widersprechen. Hitchens beschreibt in seinen kürzlich erschienenen Memoiren ausführlich, wie er davon erfuhr, dass ein junger Soldat namens Mark Daily im Irak getötet wurde, der sich unter anderem durch seine Texte zu einer Einschreibung bewegen lies. Das Kapitel ist eines der berührensten des Buches, aber statt Hitchens zu zitieren, kann ich auch Mark Daily selbst sprechen lassen, denn seine MySpace-Seite gibt es immer noch.

Why I Joined:

[…] Much has been said about America’s intentions in overthrowing Saddam Hussein and seeking to establish a new state based upon political representation and individual rights. Many have framed the paradigm through which they view the conflict around one-word explanations such as “oil” or “terrorism,” favoring the one which best serves their political persuasion. I did the same thing, and anyone who knew me before I joined knows that I am quite aware and at times sympathetic to the arguments against the war in Iraq. If you think the only way a person could bring themselves to volunteer for this war is through sheer desperation or blind obedience then consider me the exception (though there are countless like me).

Ich fordere jeden dazu auf, seine MySpace Seite zu besuchen und den ganzen Eintrag zu lesen. Und dann zu entscheiden, ob es sich hier um einen naiven, dummen, kleinen Bushfan handelte.

Wenn ich heute an meine Antikriegsdemoteilnahmen zurückdenke, schäme ich mich nicht für meine damalige Position. Aber ich wünschte, ich hätte zumindest nicht folgende selbstgerechte Einstellung geteilt: Dass man sich für den Tod und das Leiden Unschuldiger weniger rechtfertigen muss, wenn sie durch das Ausbleiben einer militärischen Interventionen auftreten, als wenn sie durch die Durchführung selbiger entstehen. Und es ist sehr wohl möglich, das zu sagen, ohne in die Rechtfertigungen für die zahllosen Fehler und unverzeilichen Verbrechen, die in Afghanistan, Irak und sogar in Deutschland von den Alliierten begangen wurden, einzustimmen.

6 comments

  1. Mich würde Mal die Quelle interessieren, von der Du weißt, dass Ghandi ein “pädophiler Rassist” gewesen ist.

    Sims Alabim, August 15, 2010
  2. Der Rassismusteil ist einfach. Nicht mal Gandhis Anhänger bestreiten seinen Hass für die südafrikanischen „Kaffir“, was man grob mit „Nigger“ übersetzen kann. Besagte Anhänger sagen natürlich, dass das nur in seinen ursprünglichen Schriften steht und dass er später „more enlightened“ wurde. (s. z.B. hier: http://www.guardian.co.uk/world/2003/oct/17/southafrica.india). Aber soviel ich weiß, hat er die Statements nie wiederrufen und der Unterschied zwischen Indern und Afrikanern war ihm immer verdammt wichtig. Mir ist natürlich klar, dass Rassismus damals alltäglich war.

    Zum Vorwurf der Pädophilie kann ich auf die Schnelle jetzt nur diesen Clip anbieten, der die Sache ganz gut zusammenfasst: http://www.youtube.com/watch?v=RJP6LFVzb6Y. „Bullshit“ ist zwar immer unterhaltsam, nur leider recherchemäßig nicht immer hunderpro zuverlässig. Aber zumindest hat man’s da schon mal aus dem Mund seines Enkels.
    Es geht mir weniger darum, Gandhi durch den Dreck zu ziehen, als zu sagen: Er war mit Sicherheit kein Heiliger und es gibt weder perfekte Personen, noch perfekte Wege. Seine „gewaltlose“ Methode hat er auch dazu benutzt um politische Gegner ins Abseits zu drängen. Und die verhängnisvolle Teilung Indiens und Abspaltung von Pakistan, geht nicht zuletzt auf seine Weigerung zurück, sich seine Macht mit Muslimen zu teilen.
    Vielleicht habe ich es etwas krass ausgedrückt (andere Zeiten und so…), aber wenn die allgemeine Meinung, wie bei ihm, so einseitig ist, nehme ich mir das Recht heraus auch mal umso stärker in die andere Kerbe zu schlagen. Wo wären wir schließlich ohne Polemik. :P

    edit: Vielleicht sollte ich aber auch erst mal lernen, seinen Namen richtig zu schreiben. Verbessert…

    Malibu Aircraft, August 15, 2010
  3. Die Rassismusvorwürfe kenne ich auch und sie sind doch recht gut bewiesen. Wie du selbst ja auch sagst, war es damals die Norm, solche Dinger loszulassen, eine Tatsache, aus der bekanntermaßen auch Rudolf Steiner oft eine Schlinge gezwirbelt wird. Nicht zu vergessen ist auch Ghandis Stellung zum Kastensystem, die auch nicht unbedingt kritisch war.(Zb. was die Unberührbaren angeht).
    Es besteht aber durchaus ein Unterschied zwischen der Aussage, Ghandi war kein Heiliger(was er, wie der Enkel richtig einwendet, nie behauptet hat) und er sei ein “pädophiler Rassist.
    Deine Information, dass Ghandi ein “pädophiler Rassist” war, entnimmst du einem YOUTUBE-Video, das irgendeine amerikanische Fernsehsendung aufzeichnet, die sich offensichtlich weniger durch Recherche, als durch lustige Wörter wie “shit”, “fuck” und CO auszeichnet und in der eine halbgare Aussage eines mehr als zwielichtigen Buchautoren das einzige Indiz ist, das auf Pädophilie hinweist, während das einzige, das man aus dem Mund des Enkels hört genau diesen Vorwurf vehement abstreitet?
    Aber selbst wenn Ghandi Babys mit Hammer und Sichel verspeisen würde(so wie Lenin es ja tagtäglich getan hat), macht das noch keine Aussage über die Validität seiner Methode.
    Dass die Methode des gewaltlosen Widerstands nicht mehr praktiziert werden kann, dürfte man behaupten, wenn in der Methodik selbst Inkonsistenzen auftreten oder vielleicht, wenn sich zeigt, dass sie nutzlos ist.(Natürlich ist das Gegenteil der Fall. Wenn sich die Demonstranten bei Polizeieinsatz von der Straße tragen lassen, dann ist das auch gewaltloser Widerstand).
    Sonst dürftest du auch kein Verifíkationist mehr sein, würdest du herausfinden, dass Wittgenstein ein Mörder oder Carnap ein Vergewaltiger war.

    Was den Krieg betrifft: Du behauptest, der radikale Pazifismus sei viel zu simpel. Ich gebe dir recht, aber es scheint, dass du dieses Zweipoldenken nicht verlassen hast. Du hast lediglich die Seiten gewechselt. Genauso wie es der Komplexität der schwelenden Probleme überall um uns herum nicht gerecht wird, sie einfach zu ignorieren und Lieder über Harmonie zu singen, wird es ihnen nicht gerecht, sofort jedes Problem mit Panzern zu lösen. Das Konzept ist dasselbe, lediglich das Vorzeichen verändert sich. Mit dem Kriterium des adäquaten Umgangs sind die beiden Vorgehensweise also unterbestimmt, nur dass bei einem Kriegseinsatz hinzu kommt, dass es noch keinen einzigen, oder vielleicht höchstens einen oder zwei gegeben hat, die das Problem gelöst haben.(Siehe: Suez-Krise)
    Was ein Kriegseinsatz dagegen normalerweise tut, ist das Problem und damit das Leid und den Tod und den Hunger um ein Vielfaches zu potenzieren.
    Ein wirklich radikaler Pazifismus, der nicht einfach nur der verdrehte Zwilling des Kriegsunterstützertums ist, sollte also über Interventionsmöglichkeiten nachdenken, die nicht mit Gewalt, sondern mit Deeskalation und Kommunikation zu tun haben.(Abermals: Siehe Dag Hammarskjölds Herangehensweisen.)

    Grotemson, August 17, 2010
  4. Nun, es gibt keine Beweise, dass er mit ihnen Sex hatte, aber er hat mit Mädchen nackt geschlafen, um sich zu testen und “seine sexuellen Energien zu speichern”. Das hat sogar der Enkel zugegeben.
    Aber ich hab doch schon gesagt, dass es ein polemisches Statement war, das ich vielleicht anders ausgedrückt hätte, würden wir hier nicht von so einer glorifizierten, verklärten, Weißen-Hemd-Figur wie Gandhi sprechen. Gut, von mir aus: Ich nehme mir vor, irgendwann mal einen Blogeintrag zu Gandhi zu schreiben mit mehr Quellen.
    Nirgendswo habe ich dagegen geschrieben, dass seine Person etwas mit der Anwendbarkeit der gewaltlosen Methode zu tun hat. Es war lediglich eine beiseite gesprochene Anmerkung und als solche durch die Klammern auch gut gekennzeichnet.

    Ich bin wieder mal erstaunt, was du bereits glaubst über mich zu wissen. Wo bitte habe ich dafür plädiert „sofort jedes Problem mit Panzern zu lösen“?
    Abgesehen davon, sehe ich nicht, wo du mir widersprichst, wenn du den Einsatz der „Friedenstruppe“ im Suez Fall für angemessen hältst, wie ich übrigens auch. Das heißt militärische Einsätze sind manchmal gerechtfertigt. Mehr wollte ich gar nicht sagen. Jetzt muss man auf die konkreten Fälle schauen und das für und wider abwägen.

    Malibu Aircraft, August 17, 2010
  5. Der Afghanistan-Einsatz ist aber doch ein Paradebeispiel für die von mir benannte: “Erst mal einmaschieren”-Strategie. Dem Land wäre mit einem klugen humanitären Einsatz und alternativen diplomatischen Strategien viel mehr geholfen, was man ja auch sehr schön an der derzeitigen Lage sehen kann.

    Grotemson, August 19, 2010
  6. Wie würde dieser humanitäre Einsatz denn aussehen in einem Land in dem die Taliban dann herrschen würden, die selbst jetzt Hilfskräfte links und rechts entführen und exekutieren? Ebenfalls bitte nicht wieder vergessen, dass schon vor der Invasion in 2001 ein Frontenkrieg herrschte.
    Und wie sollen die diplomatischen Strategien aussehen? Wo ist der “common ground” mit Taliban und al-Quaida? Ich habe schon in den Kommentaren zu einem der letzten Posts geschrieben, was die imo unausweichlichen Konsequenzen eines vollständigen Verzichts auf militärischen Einsatz wären. (Fortgeführter Völkermord, Pakistan, Frauen,… um mal ein paar unzusammenhängende Stichworte abzuleiern)
    Ich kann gut einsehen, dass die Taliban zumindest zum Teil das Resultat von Armut und Krieg sind. Aber sie sind auch der direkte und absichtliche Grund für Armut und Bürgerkrieg.

    Malibu Aircraft, August 23, 2010