
Noch vor nicht allzu langer Zeit war ich erbitterter Gegner des Afghanistan- und des Irakeinsatzes. Als der Irakkrieg stattfand war ich 16 und ging zu jeder Antikriegsdemo, die ich finden konnte.
Eine meiner ersten Erinnerungen, die irgendwas mit Politik zu tun hat, ist folgende: Meine Eltern sitzen am Tisch und beschäftigen sich mit irgendwas. Ich komme an und nerve sie, sie lassen sich gütigerweise mit halbem Ohr auf ein Gespräch ein und irgendwie kommt dieses auf Opas Jugend und auf den Krieg. Ich weiß nicht mehr genau, wie mir zum ersten Mal verklickert wurde, dass in dem Land in dem wir leben einige Jahrzehnte zuvor eine massenmörderische, sich an Grausamkeit selbst überbieten wollende Diktatur herrschte, aber wahrscheinlich (mit der Angst eines Kindes, dass das doch jetzt hoffentlich auch wirklich vorbei ist) wollte ich unbedingt wissen, wie damals alles endete. Und -während meine Eltern keinen Zweifel daran liesen, dass es enden musste– spürte ich doch ein brennendes Gefühl der Ungerechtigkeit, dass auch unschuldige Deutsche bei den Angriffen der Alliierten starben.
Lange Zeit verfolgte mich die Idee, dass es doch auch irgendwie anders hätte gehen müssen. Später erschien mir eine Zeit lang Gandhis Methode als der Beweis dafür. (Lange bevor ich mich wirklich mit besagtem pädophilem Rassisten auseinandersetzte.) Es fühlte sich also folgerichtig an, auch gegen diese Einsätze sein zu können, ohne wirklich irgendwas über die beiden Länder zu wissen.
Ich halte es nach wie vor selbstverständlich für absolut möglich, aus guten Gründen gegen die Einsätze von 2001 und 2003 zu sein. Tendenziell lehne ich selbst mittlerweile in die andere Richtung. (Sollte ich “leider” sagen? Wenn dann, weil es hier vielleicht eine “richtige”, aber mit Sicherheit keine “gute” Position gibt.) Nur aus Prinzip dagegen zu sein, ist für mich mittlerweile schwer nachvollziehbar. Es fühlt sich immer noch etwas seltsam an, den letzten Satz zu schreiben, denn schließlich war die Position, die ich nicht mehr nachvollziehen kann, irgendwann mal meine eigene.
Manchmal redet man sich ein, dass man zumindest im Ansatz Meinungen, die man heute vertritt schon immer gehabt hat. Ich vergesse mittlerweile gerne, dass ich mal an so etwas wie einen “radikalen Pazifismus” geglaubt habe, bzw. an das, was heute darunter verstanden wird. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich lautstark gegen etwas protestiert habe, von dem ich nicht nur keine Ahnung hatte, sondern von dem ich es auch nicht nötig gehalten habe, Ahnung zu haben. Zumindest ein Gefühl hatte ich “im Ansatz”: Dass die Position (gar “Bewegung”?), die man allzu gerne selbstgefällig mit der Protestbewegung gegen den verbrecherischen Vietnamkrieg vergleicht, die sich gegen die allmächtige USA stellt und die so emotional aufgefüllt ist, dass genau diese Position irgendwie viel zu einfach ist. Ich meine nicht mal inhaltlich. Es waren hierzulande zu viele auf der eigenen Seite, als dass man sich rebellisch hätte fühlen können. Ich weiß noch ziemlich genau, wie eine ältere Mitdemonstrantin mit Anspielung auf die Propaganda der amerikanischen Medien, Mark Twains berühmten Satz zitierte: “Immer wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, ist es Zeit sich zu besinnen.” Ich schaute mich um, sah die SPD-, Grünen-, PDS- und PACE-Fahnen und verdrängte das Gefühl einer eigentlich offensichtlichen Ironie, das sich in mir breitmachte.
Doch wie gesagt änderte sich meine Position zu Afghanistan und zu Irak erst vor kurzem. Einen Anstoß -oder besser einen zusätzlichen kräftigen Schubser- gaben Texte von Christopher Hitchens. Aber ich will an dieser Stelle keine geschlossene Argumentation für die Interventionen vorlegen (gerne ein andermal).
Mit meiner antimilitaristischen Einstellung kam schon auch eine gewisse misstrauische Haltung bis Feindschaft allem Soldatischem gegenüber. Wie einfach ist es doch, sich vom Klischeebild des kriegsgeilen, obrigkeitshörigen Soldaten zu überzeugen, selbst wenn man wie ich von früh auf Erwachsene kennenlernen durfte, die diesem Bild vollständig widersprechen. Hitchens beschreibt in seinen kürzlich erschienenen Memoiren ausführlich, wie er davon erfuhr, dass ein junger Soldat namens Mark Daily im Irak getötet wurde, der sich unter anderem durch seine Texte zu einer Einschreibung bewegen lies. Das Kapitel ist eines der berührensten des Buches, aber statt Hitchens zu zitieren, kann ich auch Mark Daily selbst sprechen lassen, denn seine MySpace-Seite gibt es immer noch.
Why I Joined:
[…] Much has been said about America’s intentions in overthrowing Saddam Hussein and seeking to establish a new state based upon political representation and individual rights. Many have framed the paradigm through which they view the conflict around one-word explanations such as “oil” or “terrorism,” favoring the one which best serves their political persuasion. I did the same thing, and anyone who knew me before I joined knows that I am quite aware and at times sympathetic to the arguments against the war in Iraq. If you think the only way a person could bring themselves to volunteer for this war is through sheer desperation or blind obedience then consider me the exception (though there are countless like me).
Ich fordere jeden dazu auf, seine MySpace Seite zu besuchen und den ganzen Eintrag zu lesen. Und dann zu entscheiden, ob es sich hier um einen naiven, dummen, kleinen Bushfan handelte.
Wenn ich heute an meine Antikriegsdemoteilnahmen zurückdenke, schäme ich mich nicht für meine damalige Position. Aber ich wünschte, ich hätte zumindest nicht folgende selbstgerechte Einstellung geteilt: Dass man sich für den Tod und das Leiden Unschuldiger weniger rechtfertigen muss, wenn sie durch das Ausbleiben einer militärischen Interventionen auftreten, als wenn sie durch die Durchführung selbiger entstehen. Und es ist sehr wohl möglich, das zu sagen, ohne in die Rechtfertigungen für die zahllosen Fehler und unverzeilichen Verbrechen, die in Afghanistan, Irak und sogar in Deutschland von den Alliierten begangen wurden, einzustimmen.