Okay, vielleicht stinken sie nicht alle, aber auf jeden Fall sind sie doof. Und wenn ich sage doof, dann meine ich das im Sinne von saublöd, wirklich schreiend blöd, dumm wie fünf Meter Feldweg! Mir ist natürlich klar, dass unsere außergewöhnlich gebildeten und überdurchschnittlich attraktiven Leser das durchaus wissen. Allerdings bekommt jene Pseudowissenschaft aus dem evangelikalen Giftschrank in letzter Zeit auch im vermeintlich so viel weltoffeneren und aufgeklärteren Europa ein geradezu perverses Maß an Aufmerksamkeit.
Unlängst fand gar das Stuttgarter Naturkundemuseum nichts dabei, eine Podiumsdiskussion mit Kreationisten zu veranstalten. Wenn die verantwortlichen auch sicher die besten aufklärerischen Absichten hatten, dünkt es doch bizarr, den Vertretern einer derart abstrusen Ideologie überhaupt ein Forum in einem naturwissenschaftlichem Institut einzuräumen und damit erkenntnistheoretische Fehlschlüsse, schwachsinnige Analogien und gezielte Desinformation implizit als ernsthafte Argumente zu adeln. Man stelle sich vor, ein astronomisches Institut würde irgendwelche Vollhonks einladen, um öffentlich zu debattieren, ob die Erde nicht vielleicht doch der Mittelpunkt des Universums ist.
Ich war nun leider bei dem Termin im Schloss Roseneck (wo der kleine Cabuflé in den Achtzigern mit großen Augen vor Wal- und Saurierskeletten stand) nicht zugegen, aber glücklicherweise – und dies ist der eigentliche Anlass dieses Posts – macht gerade ein Video im Netz die Runde, das solche Veranstaltungen noch überflüssiger macht, als sie ohnehin schon sind, indem es exemplarisch den immergleichen Verlauf derartiger Konversationen exerziert:
Ergänzend dazu ein Vortrag des Evolutionsbiologen PZ Myers, der das obige Video auch in seinem großartigen Blog Pharyngula verlinkte. Eine ausführliche und anschauliche Erklärung, warum Evolution ein Fakt ist und Kreationismus – oder Intelligent Design oder Sudden Appearance Theory – behämmert:
In einem neulich von Malibu Aircraft verlinkten CBS-Beitrag über den aktuellen Stand der Neurobiologie tauchte auch der Begriff “Neuromarketing” auf. Mit diesem Thema beschäftigte sich unlängst eine Folge der Sendung SWR2-Aula:
Der Beitrag ist – gerade als Ergänzung zu M.A.s Post und unserer Diskussion darüber – auf jeden Fall interessant, deshalb der Link. Abgesehen davon ist mir Proffessor Elger (oder zumindest sein Vortrag) zunächst mal zutiefst unsympathisch, weil das, worüber er hier spricht, eines von vielen Beispielen ist, wie Forschungsarbeit auf eine Weise genutzt wird, die der Gesellschaft nicht nützt oder womöglich gar schadet.
Desweiteren zeigt dieser Vortrag meiner bescheidenen Meinung nach letztlich weniger das Potenzial der Neurobiologie auf als ihre immer noch sehr engen Grenzen: Dass monotone wiederkehrende Reize auf lange Sicht weniger intensiv wahrgenommen werden als einzelne unerwartete, dass mit einer emotionalen Komponente verknüpfte Informationen besonders leicht aufgenommen werden, dass beim kaufgeilen Mob – ergo bei uns allen – der Verstand aussetzt, sobald das Wort “Rabatt” fällt, sind sämtlich Phänomene, die Psychologen, Verhaltensforscher, Soziologen so oder ähnlich schon seit Jahren kennen. Dass auch ein Hirnscan das alles nochmals empirisch bestätigen kann, ist sicher interessant, aber doch vor allem als ein Forschungserfolg für die Neurobiologen. Für den Rest der Welt erstmal kein Grund, vom Hocker zu fallen.
Auch Elgers Bewertung des einzigen Beispiels, in dem die neurobiologischen Ergebnisse signifikant von der klassischen Wahrnehmung abweichen (die Kampagne “einer Kosmetikfirma”, ganz offensichtlich Doves “Initiative für wahre Schönheit“), überzeugt mich aus zwei Gründen nicht:
Einmal liefern die Hirnscans notwendigerweise nur Informationen über die unmittelbare kurzfristige Reaktion beim Betrachten des Werbematerials, während so bedeutende Fragen wie die soziale Reichweite der Kampagne und die langfristige Imagebildung des Unternehmens außen vor bleiben. Ich kann mich beispielsweise erinnern, dass dies einer der ganz wenigen Fälle war, in denen ich ein offensichtlich als Werbespot konzipiertes Video von Freunden viral weitergeleitet bekam. Darüber hinaus erklärt Elger die – ohne Frage interessanten – empirischen Ergebnisse leichtfertig mit trivialen evolutionspsychologischen Formeln, die sicher nicht unplausibel sind, aber eben doch spekulativ bleiben und beispielsweise die soziale und biographische Prägung – die nachweislich bedeutend für die Bildung neuroligischer Verknüpfungen sind – völlig ignorieren.
Das wirklich beängstigende an der ganzen Sache für mich selbst: ich kriege gerade mal wieder das Gefühl, dass ich ein unglaublich guter P.R.ler wäre. Ich sollte mir ernsthaft Gedanken über den Marktwert meiner Seele machen…
Das neue Buch von einem der bekanntesten autistischen Savants Daniel Tammet “Embracing the Wide Sky” oder auf deutsch “Wolkenspringer” ist eine exzellente Lektüre, die ich mal eben bedingungslos empfehlen möchte. Tammet hält (laut Wikipedia) den europäischen Rekord im Aufsagen von Nachkommastellen von Pi und lernte für eine Dokumentation innerhalb einer Woche Isländisch. Deine Röhre (so sorry) enthält zahlreiche Videos über ihn.
Er beleuchtet hier auf kritische Art einen weit gefächerten Themenkreis vom Wesen von Intelligenz und Logik über den Ursprung der Sprache zur Kreativität und futuristischer Gehirnforschung. Er verbindet dabei seine eigenen Erfahrung mit einem ganzen Haufen von, vor allem neuropsychologischen, Studien. Gleichzeitig ist das Buch aber außerordentlich angenehm zu lesen und mehr eine poetische Reise in den menschlichen Geist als irgendwas sonst. Tammet behandelt natürlich keins der Themen auch nur ansatzweise erschöpfend, sondern zeigt neue Anstöße und Sichtweisen auf.
Sollte vielleicht noch anmerken, dass ich Tammets anderes Buch noch nicht gelesen habe, kann deswegen also nicht sagen, wie es im Vergleich dazu ist.
Homöopathie wird in der Regel mit den ähnlichen Argumenten verteidigt, mit denen auch Aberglaube und Religion gerechtfertigt werden soll. Wenn’s hilft, wo ist das Problem? Das Warum spielt keine Rolle mehr, subjektives Erleben wird zum ultimativen Kriterium erhoben und es kümmert auch nicht, dass es ehrlichere Wege gibt, die Kraft des Unbewussten zu nutzen, wie Hypnose. (Ehrlich, weil das Grundkonzept der Hypnose nicht auf übersinnlichen Unfug zurückgreifen muss, was einzelne Hypnotiseure behaupten, steht auf einem anderen Blatt.) Und schließlich haben jetzt sogar die Schweizer per Volksvotum die “Komplementärmedizin” in ihre Verfassung verankert, was die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen gleich dazu veranlasste etwas ähnliches für Deutschland zu fordern. Es wird mal wieder angeführt, dass Akupunktur in manchen Studien höhere Erfolgsquoten erzielte als konventionelle Behandlungsmethoden, teilweise fast doppelt so hoch. Was natürlich gerne verschwiegen wird ist, dass Fake-Akupunktur, wo Nadeln einfach irgendwo hin gestochen werden, genauso gut abschneidet. Das ganze ist also vielmehr ein Beweis für die erstaunliche Heilungskraft unseres Unbewussten, welche durch verschiedene, ehrliche Ansätze viel mehr genutzt werden sollte. Darunter fällt z.B. auch ein respektvolles und verständnisvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient, was das reguläre Krankensystem von den “Alternativen” sicher teilweise lernen könnte. Der Placebo-Effekt ist keineswegs der Dummen-Bonus, den Leichgläubige für ihre Naivität einsacken. Er ist ein Beweis, dass die Psyche auch bei körperlichen Schwierigkeiten über beeidruckende Heilungskräfte verfügen kann. Warum es aber nicht nur moralisch verfänglich sondern gefährlich ist, beispielsweise Homöopathie als mehr als die Abzocke mit beleidigend hirnrissiger pseudo-wissenschaftlicher Erklärung zu bezeichnen, die sie ist, zeigt dieser Brief, in dem Ärzte und Forscher die WHO mehr oder weniger anflehen, Homöopathie zu verurteilen. Denn die Behauptungen, die hier vielleicht zu “ganz harmlosen komplementären Maßnahmen” führen, schüren besonders in Entwicklungsländern falsche Hoffungen und können katatrophale Auswirkungen haben.
Zwei Zitate aus dem Brief:
“The aggressive stance some homeopathic practitioners take towards life-saving drugs for HIV, TB, malaria and other diseases that ravage the developing world is irresponsible, patronising and unnecessary. We should not deny people in developing countries access to the full facts and to high-quality scientific evidence.”
“The catastrophic consequences of promoting irrational and ineffective treatments for serious illnesses have been demonstrated in South Africa, where Thabo Mbeki’s policies have led to an estimated 365,000 unnecessary premature deaths. The prospect of replicating this reckless behaviour elsewhere in developing countries by advocating homoeopathic treatments for AIDs and other potentially lethal conditions is appalling. I hope that the timely intervention by the Voice of Young Science Network will help to pre-empt a public health disaster. It illustrates the importance of young scientists, torchbearers for a better future, taking a stand and speaking out.”
Schöner Artikel im exzellenten Blog Bad Science von Ben Goldacre über den Missbrauch wissenschaftlicher Studien in den Medien.
[…]”This is how I think it works. Journalists have a 1950s B-movie view of science. To them, it offers a feeling tone of cold, unquestionable truth that can be used to paste a veneer of objectivity over any moral prejudice you might have,”[…]
Nach der Lektüre des vorigen, sehr interessanten Beitrags des geschätzten Sims Alabim, möchte ich auch noch eine Antwort geben und dabei gleichzeitig meinen Senf zu dem ganzen Themengebiet ablassen. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich das in Form eines Beitrags und nicht eines Kommentars mache, aber es ist doch etwas länger geworden als geplant.
Nur noch zwei kurze Klarstellungen von mir im voraus: Selbstverständlich gilt auch von meiner Seite, dass jede, evtl. polemische, Attacke nur im Kontext eines fröhlichen und intelligenten Diskurses und keinesfalls persönlich zu sehen ist. Zweitens meine ich, wenn ich das Wort Wissenschaft benutze im Wesentlichen was z.B. Wikipedia damit meint:
Wissenschaft ist die Erweiterung des Wissens durch Forschung, seine Weitergabe durch Lehre, der gesellschaftliche, historische und institutionelle Rahmen, in dem dies organisiert betrieben wird, sowie die Gesamtheit des so erworbenen menschlichen Wissens. Forschung ist die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen sowie deren systematische Dokumentation und Veröffentlichung in Form von wissenschaftlichen Arbeiten. Lehre ist die Weitergabe der Grundlagen des wissenschaftlichen Forschens und die Vermittlung eines Ãœberblicks über das Wissen eines Forschungsfelds, den aktuellen Stand der Forschung.“
Eine Einschränkung hätte ich bezüglich dieser Definition allerdings. Ich würde „der gesellschaftliche, historische und institutionelle Rahmen, in dem dies organisiert betrieben wird“ ausklammern. Nicht dass das komplett falsch wäre, aber ich glaube dieser Teil ist nur mit sehr viel Vorsicht zu genießen. Die Rassenlehre der Nazis fällt möglicherweise auch in den „gesellschaftliche[n], historische[n] und institutionelle[n] Rahmen“ dieser Zeit, ich würde sie aber höchstens als Pseudowissenschaft bezeichnen. Unter „methodische Suche nach neuen Erkenntnissen“ verstehe ich auch die Beleuchtung unterschiedlicher Standpunkte und Hinterfragung grundsätzlicher, möglicherweise bereits etablierter Prinzipien. Diesbezüglich wäre z.B. eine kritische Diskussion über das Gebiet der Psychoanalyse nützlich, in der es haufenweise Literatur gibt, die sich regelmäßig auf imho nicht ausreichend oder gar nicht bewiesene Grundannahmen Freuds beziehen. Was also in meiner Definition übrigbleibt ist im Prinzip das neugierige Suchen nach neuen Erkenntnissen und die systematische Weitergabe dieser. Eine wichtige Ergänzung noch: Es ja irgendwie logisch, dass man im Bezug auf Wahrheitsfindung, also nicht den persönlichen, subjektiven Glauben betreffend, sondern, was aufgrund rationaler Argumentation für eine Menge von Leuten gemeinsam akzeptierbar ist, so weit wie möglich mit falsifizierbaren Aussagen arbeiten muss. Ein Beispiel für eine nicht falsifizierbare Aussage wäre „Es gibt pinke Schwäne.“ Dieser Satz lässt sich zwar durchaus verifizieren, indem man z.B. einen pinken Schwan findet. Aber die einzige Möglichkeit die Sache zu klären ist eben, solange zu suchen bis man zufällig einen findet. Es liegt also bei dem, der an pinke Schwäne glaubt, was ja durchaus eine Anfangshypothese sein kann, den Beweis zu erbringen. Niemand kann, um einen kleinen Sprung zu machen, von einem Atheisten erwarten, dass er Gott widerlegt. Alles was wir tun können, ist zu zeigen, dass es keine realen Beweise für seine Existenz gibt. Das macht seine Existenz zwar nicht unmöglich, aber aus unserer Sicht eben nun mal sehr sehr unwahrscheinlich.
Nun aber zum Beitrag des geschätzten Sims Alabim. Leider muss ich gleich zu Beginn widersprechen: Atheismus ist, wie der Name schon sagt, keine Religion und mir ist durchaus bewusst, dass das polemisch gemeint ist. Ich kann aber verstehen, wenn manche „Neue Atheisten“ durch eine gewisse arrogante „Ich-hab-die-Weisheit-mit-Löffeln-gefressen-und-mache-in-meinem-Privatleben-nie-irrationale-Sachen“-Haltung den Vergleich mit missionarischen Religiösen nahe legen. Was mich betrifft, es ist jederfraus oder –manns Sache, was persönlich geglaubt wird. Nur sollte Religion und Aberglaube bitte radikalst aus der Politik rausgehalten werden und natürlich hält mein, durchaus vorhandener, Respekt vor persönlichen, privat-psychologischen Empfindungen mich auch nicht davon ab, meine Meinung kund zu tun.
Natürlich kann sich jeder seine Vorbilder in der Geschichte selbst rauszusuchen, prinzipiell möchte ich aber darauf hinweisen, dass fast die gesamte dokumentierte Menschheitsgeschichte hinweg ein „Outing“ als Atheist nahezu überall, wenn nicht zu körperlicher Gefahr, so doch zumindest zu extremer gesellschaftlicher Isolation geführt hat. Selbstverständlich galt/gilt auch manchmal das Gegenteil, siehe Sowjetunion.
Was Moores Statement betrifft, habe ich Monsieur Cabuflé in seinem Kommentar nichts hinzuzufügen. Warum die Vermutung, dass das Bewusstsein ein Ergebnis neurobiologischer Prozesse ist, dessen Wert irgendwie herabsetzen soll, erschließt sich auch mir nicht. Genauso wenig wie die Behauptung, dass dies irgendwie zur Verwässerung von Richtig und Falsch beitragen sollte oder dass es Kunstwerke zu Zufallsprodukten macht. Auch sehe ich nicht, wie die Erkenntnis, „wenn man in Wald und Flur nur verschiedene Kohlenstoffzustände erkennt“, es rechtfertigt die Natur zu zerstören. Das Verständnis naturwissenschaftlicher Vorgänge mindert in meinen Augen nicht deren Wert, ganz im Gegenteil. Ich wünschte, ich hätte diesbezüglich „Der entzauberte Regenbogen“ von Dawkins, das mir gestern geschenkt wurde, bereits gelesen und das sich wohl genau damit auseinandersetzt
Ich sehe auch weder Zusammenhang noch Sinn darin, jeglichen medizinischen Fortschritt unter dem „Siegeszug des Materialismus“ zusammenzufassen und ihn für das Elend in der Welt verantwortlich zu machen. Und leider muss ich auch sagen, dass Sätze wie „Aber seine [wissenschaftlicher Fortschritt] Ausnutzung ist so eng mit dem Entstehen dieser perversen Zustände verknüpft, dass für mich jede Lobpreisung dieses Fortschritts einen schalen Beigeschmack bekommt.“ wenig zu meiner Erhellung und ich würde sogar behaupten, wenig zur Veränderung jener Zustände beitragen, was imho an der viel zu allgemeinen Verwendung der Worte „Wissenschaft“ und „wissenschaftlicher Fortschritt“ liegt. Dass die Erfindung der Atombombe nicht gerade zur hellsten Stunde der Menschheit gehört (auch wenn sie maßgebend zur Entwicklung des modernen Computers beigetragen hat, was aber hoffentlich ohnehin früher oder später geschehen wäre) dürfte klar sein, aber welche Schuld beispielweise erwähnten medizinischen Fortschritt trifft, ist mir nicht klar. Nur um das zu trennen: Politik und Wissenschaft sind verschiedene Dinge. Die Politik der meisten Pharmaziefirmen ist in der Regel größtenteils abstoßend, die Tatsache an sich aber, dass wichtige Medikamente(, die dann „illegal“ oder viel zu spät in armen Gebieten ankommen,) erfunden werden, ist ja wohl zweifelsfrei eine positive.
Was die Moral betrifft, stimme ich geschätztem Herrn Sims größtenteils zu. Wie jemand rechtfertigt, warum sie oder er „gut“ und moralisch handelt bzw. welche Erklärung dafür herangezogen wird, ändert nichts an der Handlung selbst. Ich habe aber Probleme, wenn, wie bei manchen Arbeitgebern der Caritas beispielsweise ein „christliches Menschenbild“ als Einstellungskriterium herangezogen wird. Was genau bedeutet das? Was genau bedeutet christliche oder muslimische oder jüdische Moral? Bedeutet es, dass ich mich z.B. auch daran halten muss: (3. Mose 20,10): “Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben.” Oder daran, dass laut Koran schon Unglaube Sünde ist. Damit will ich nicht behaupten, dass nicht auch schöne, moralische, poetische, ja erleuchtende Passagen in religiösen Texten zu finden sind. Doch als moralisches Handbuch sind die religiösen Texte eben nur dann geeignet, wenn klar ist, manche Stellen sind Unfug und manche können durchaus Quellen hoher Inspiration sein. Es ist eben einfach nicht so klar und eindeutig , was eine christliche, etc. Moral ist. Religion sollte nicht mehr Autorität in dem philosophischen Diskurs um Moral haben, als irgendjemand sonst. Dass religiöse Menschen darüber hinaus im Durchschnitt nicht altruistischer handeln als nicht religiöse Menschen ist mittlerweile mehrfach durch Studien belegt.
Ich kenne mich auf dem Gebiet des Materialismus oder der „Geheimwissenschaften“ nicht genügend aus, kann den Positionen des geschätzten Sims Alabim hier aber soweit ich das sehe zustimmen. Wie du ja sagst sind Wissenschaft und Materialismus nicht zwangsläufig dasselbe.
Weiter also im Text: Leider muss ich heftigst widersprechen, wenn werter Herr Alabim schreibt : “Ob jemand auf Busse schreibt „God does not exist†oder auf Plakate „God hates Fags“, da sehe ich in punkto Borniertheit wenig Unterschied.“ Auch wenn meines Wissens diese Initiative nicht von Dawkins gestartet wurde und es ja wie du nachgeschoben hast „God does probably not exist“ sehe ich da Unterschiede, die größer nicht sein könnten. „God does probably not exist“ ist eine Meinung und eine die durch die simple Tatsache, dass es keine nachgewiesenen Gottesbeweise gibt, mehr als zementiert wird. Dieser Satz ist für mich nicht mehr boniert als „Harry Potter does not exist“. „God hates Fags“ dagegen ist eine offensichtlich aggressive Beleidigung in der die Gewaltandrohung fast spürbar ist.
Wie von Cabuflé ja bereits sehr schön ausgedrückt, heißt weder Wissenschaft noch Atheismus, dass subjektive Welten, Gefühle, Fantasien, Empfindungen, Erfahrungen nicht etwas absolut wunderbares und menschliches sind und ihr Wert verringert sich kein Stück dadurch, dass es daneben noch die objektive Realität, die natürlich nicht absolut eindeutig ist, gibt. Aber wenn ich reale, konkrete Lebensentscheidungen treffen will, dann will ich eben doch wissen, wo ungefähr die Grenze liegt zwischen Objektivem und Subjektivem bzw. was mit einigem Recht als „objektive Wahrheit“ bezeichnet werden kann und da hilft die Wissenschaft und dafür ist sie da.
Zum Wesentlichen Rest des Beitrages kann ich nur sagen: dito. Mich kotzt es genauso an, wenn manche Leute Atheismus oder Wissenschaft nur als weiteres Label benutzen, um ihre Ignoranz und Arroganz zur Schau zu tragen. Aber der „Spirit“ einer neugierigen Wissenschaft, der Gedanke, dass rationales Betrachten aus mehr als einem Blickwinkel etwas Gutes ist, dass Glauben um des Glaubens willen und verbohrtes Beharren auf subjektiven Empfindungen, wenn es um weltliche, politische Dinge geht, dagegen schlecht ist, das ist etwas mit dem ich mich auf jeden identifizieren kann.
Aber ist es nicht auch einfach etwas langweilig zu sagen „God did it“, wenn es z.B. um den Urknall geht, während es haufenweise viel interessanterer Theorien von Multiversen, Paralleluniversen und was weiß ich nicht noch alles gibt? Was mich persönlich betrifft habe ich einfach festgestellt, dass die meisten religiösen und esoterischen „Erklärungen“ wie Gedankenstopper auf mich wirken. Hier hast du deine Erklärung und gut is. Kein weiteres Warum, kein Weiterfragen, wie z.B. „Und wer hat Gott gemacht?“. Dabei würde ich mich durchaus als spirituellen Menschen bezeichnen. Nicht im religiösen oder esoterischen Sinn. Ich liebe z.B. Meditation. Und ich finde es wunderbar, dass man jetzt real messen kann, wenn jemand in Trance geht, dass man messen kann, wie sich die Gehirnströme verändern, dass andere Regionen durchblutet werden, usw.. Das macht das Erlebnis nur umso besser, weil ich weiß, dass es etwas reales ist und nicht etwas, das ich mir nur einbilde. Und etwas wunderschönes noch dazu.
Und soll mein Denken zu etwas taugen, und sich nicht nur im Kreise drehn, will ich versuchen, mit Euren Augen die Wirklichkeit klarer zu sehn.
Hannes Wader
Nachdem ich mich nun in letzter Zeit dazu berufen gefühlt hatte, mich auf dieser Seite in die Waldorf-Debatte einzumischen und gegen eine gewisse Art des Skeptizismus zu Felde zu ziehen, während andere Kollegen auf dieser Seite Gegenpositionen formuliert haben und noch zu formulieren gedenken, habe ich mir jetzt ein Grundsatzpamphlet dazu aus den Rippen geleiert. Ich veröffentliche es nun ohne auf Cabuflés Finale zu warten, weil ich den Kopf endlich wieder für andere Dinge frei haben muss. Da diese Diskussion nun ohne Polemik keinen Spaß macht, sei an dieser Stelle noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass sämtliche spitzen Attacken nicht als persönliche Angriffe gegen meinen geschätzten Freund und Kollegen Cabuflé zu verstehen sind, den ich im Gegenteil in diesem Disput als fairen Sparringspartner betrachte, und daher auch nicht zu vergrämen hoffe, wenn ich ihm unterstelle (noch dazu, wo er erst in ein paar Wochen die Zeit hat, sich zu wehren), dass er drauf und dran ist, sich einer religiösen Gemeinschaft anzuschließen. Ebenso hoffe ich, Malibu Aircraft hat nichts dagegen, dass ich ein paar von ihm gepostete Links als Beiträge zu dieser Diskussion werte, auch wenn sie nicht explizit als solche gekennzeichnet worden sind. Des weiteren hoffe ich mit diesem Pamphlet meinen Standpunkt weitestgehend klar genug gemacht zu haben, um fürderhin nicht noch weiter darauf herumreiten zu müssen, weil ich mir sonst wie ein Missionar vorkomme, der ich keinesfalls sein möchte. Als letztes entschuldige ich mich noch dafür, dass meine Beiträge immer so lang werden. Aber Bits und Bytes sind nun einmal geduldig.
Ich möchte auch mit einem ganz und gar nicht ironisch gemeinten Geständnis beginnen: Ich glaube, dass ich den Wissenschaftlern von GWUP tatsächlich unrecht getan habe, und dass meine Beurteilung ihres Tuns ihrer Methode und ihrer Haltung gegenüber wahrscheinlich unfair war, dass mich ihre Argumente (im Bezug auf Wünschelruten!) rational eigentlich weitgehend überzeugen, dass ich mir das selbst aber ungern eingestehe, weil ich in mir einen Willen dazu spüre, in der Welt eine gewissen Portion Wunder, Mythos und verborgenen Sinn zu entdecken, und dass mir eine Entzauberung meines Weltbildes von all diesen Dingen ein gutes Stück weit jenen Boden unter den Füßen wegziehen würde, auf dem sich viele meiner Ãœberzeugungen gründen. Viele dieser Ãœberzeugungen ließen sich in ein rein agnostisches Weltbild hinüberretten, andere nicht.
Was mich also angestachelt hat, diese Debatte überhaupt zu führen, war die von mir subjektiv empfundene Ätschi-Bätsch-Attitüde eines populärwissenschaftlichen Fernsehbeitrages, der sich erdreistet, in der Hauptsache das partielle Versagen zweier Probanden als allgemeingültige Argumentationskeule für ein finales Statement zu einem Phänomen zu verwenden, das soziologisch weitaus komplexer ist als die Frage „Wo steckt der Wassereimer”?
Und das wiederum steht auch nur stellvertretend für eine ganz andere Frage: Ist die Wissenschaft gerade dabei, Gott zu ermorden? Weiterlesen…
Nachdem mein geschätzter Freund und Kollege Sims Alabim in einem Nebensatz seines höchst lesenswerten Beitrags zur Waldorf-Debatte mit einiger Häme bemerkte “das die Wissenschaft eigentlich nicht einmal mit Sicherheit sagen kann, was für ein Frühstück gesund ist” (was ich ohne zu Zögern als Argument zu Ungunsten der wissenschaftlichen Methode akzeptieren werde, sobald mir ein Anthroposoph oder Homöopath die gleiche Frage überzeugend und zweifelsfrei beantwortet hat) und nachdem er unlängst am Beispiel eines Fernsehbeitrags über Wünschelrütengängerein flammendes Plädoyer zu Gunsten der seine prinzipielle Offenheit für die Geistheiler, Astralwanderer, Pendelschwinger und Hundeleser dieser Erde hielt erklärte, fühle ich mich nunmehr verpflichtet, das Steuer des Kahnes instant-eistee.de wieder ein Stück herumzureißen und mit einem kleinen Grundkurs in gesunder Skepsis und kritischem, im weitesten Sinne wissenschaftlichen Denken zu antworten.
Wegen Verpflichtungen im wahren Leben komme ich gerade leider sehr langsam voran. Da ich Kollege Sims und die interessierte Leserschaft nicht noch länger warten lassen will, habe ich beschlossen, den Artikel zweizuteilen. Hier nun die erste Hälfte.
Perinormal Possibilities
Nach der Auseinandernahme des Welt-der-Wunder-Beitrages (Teil 1; Teil 2) gelangt Sims zu folgendem Schluss:
Wir sind also eher bereit, zu akzeptieren, dass wir alle potenziel etwas irre und disfunktional sind, als dass es mehr zwischen Himmel und Erde geben könnte, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.
Meine Erwiderung darauf wäre zunächst, dass ich nicht sehen kann, inwiefern eine der beiden Thesen eine Alternative zur anderen darstellen sollte. Ich halte beide (in iherer allgemeinen Form) für so offenkundig richtig, dass ich versucht bin, jeden der eine davon ernsthaft in Zweifel ziehen wollte, ab diesem Moment nicht mehr als Diskussionspartner ernstzunehmen. Mit der ersteren will ich mich später beschäftigen, zunächst aber zur letzteren, die gern und oft von Apologeten esoterischer Ideen als Gratisbegründung für die generelle Ablehnung wissenschaftlicher Argumente benutzt wird.
Es gilt hier, mit einem Irrtum aufzuräumen, der sicher auch durch leichtfertige Äußerungen allzu eifriger Skeptiker und Naturalisten immer weiter geschürt wird: kein ernstzunehmender Skeptiker würde bestreiten, “dass es mehr zwischen Himmel und Erde geben könnte, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.” Im Gegenteil: Diese Annahme ist eine notwendige Vorraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten als solches. Wozu denn noch weiter forschen, wenn wir über alles Nennenswerte zwischen, über oder unter Himmel und Erde schon bescheid wissen?
I don’t really think that we have made a scratch, the tiniest scratch in what we have to know. I get these comments all the time from people, who say: “Well, science doesn’t know anything, does it?” And I say: “That’s right! Science doesn’t know anything absolutely. What it does, is: it expresses statements about the universe, that are observed, presents the evidence and sais: “This conclusion is very likely to be true, very, very likely to be true, but: you look into it and see if you can find an exception.” Weiterlesen…
Nachdem ich darum gebeten wurde, mich über Wünschelruten zu informieren, habe ich das getan und bin auf die “Skeptiker” von GWUP gestoßen, und auf einen lustigen Fernsehbeitrag, in dem Wünschelruten als Humbug entlarvt werden.
Zunächst: Persönlich habe ich keine Meinung zu Wünschelruten. Weder bin ich davon überzeugt, noch hat es für mich jemals einen Grund gegeben, ihre Funktionsweise anzuzuweifeln. Wer aber der Meinung ist, der unumstößliche wissenschaftliche Nachweis durch GWUP müsse mich nun eindeutig vom Aberglauben bekehrt haben, der irrt. Ich werde jetzt einmal so tun, als wäre ich fest von dem Funktionieren von Wünschelruten überzeugt, und ein paar Gründe nennen, warum an dieser Ãœberzeugung dann so leicht nicht zu rütteln wäre, wie die Schulweisheit sich das gerne erträumt. Schon Weiland Fox Mulder hat auf die Frage, warum er so hartnäckig an UFOs glaube, geantwortet: Because all the evidence to the contrary is not entirely persuasive.
Um die Pointe gleich vorwegzunehmen: Ich will damit keine Lanze für Wünschelruten brechen, sondern nur aufzeigen, dass auch die Gegenposition letzlich nur eines ist: another belive-system.
Das fängt ja schon bei der Frage an: Wer ist überhaupt aufgebrochen, um etwas über Wünschelruten herauszufinden? Waren es unvoreingenommene, neugierige Wissenschaftler? Nein, es waren Angehörige einer Gruppe von “Skeptikern”, die Homöopathie im selben Atemzug mit UFO-Sichtungen nennen, und von denen man erwarten darf, dass sie schon vor dem Experiment von seinem Ausgang überzeugt waren.
Rudolf Steiners Begriff der „Geisteswissenschaft” wird immer wieder mit dem Argument kritisiert, er sei ein Oxymoron: Der Geist als solches sei ein (Wunsch-) Gedankenkonstrukt, dass sich der physischen Wahrnehmung entziehe und deshalb auch nicht wissenschaftlich untersucht werden könne. Witzigerweise kann man dieses Argument umgekehrt auch auf die Grundprämisse von GWUP anwenden: Wissenschaftler, die versuchen, auf der Ebene der Wissenschaft Dinge zu widerlegen, die dadurch definiert sind, dass sie dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nach jenseits wissenschaftlicher Erklärungen liegen. Deren unausgesprochenes Kredo lässt sich meist auf folgenden Gedanken herunterbrechen: Was nicht beweisbar ist, existiert nicht. Von dieser ausgehend, wirken die Argumente der Wissenschaft plausibel.
Nur: So gemein das auch ist, wenn ich die Existenz von etwas nicht beweisen kann, habe ich sie damit noch nicht widerlegt. Die Frage ist also: Liefert die Wissenschaft überzeugende Erkärungen dafür, warum der Glaube an so viel Nichtexistentes in der Evolutionsgeschichte des menschlichen Gedankengutes so ungeheuer erfolgreich ist?
Kommen wir aber nun zu dem Fernsehbeitrag. (Da ich mich hauptsächlich auf diesen und nicht auf die Textpassagen beziehe, wollen wir dafür fairerweise außen vor lassen, dass allein aufgrund ihres Entstehungsprozesses dem Inhalt von Fernsehbeiträgen weitaus mehr Skepsis entgegenzubringen ist, als schriftlichen Publikationen).
Was mich überzeugt ist die Erklärung des Geologen, es gäbe gar keine Wasseradern, weil hier ein Experte auf dem Gebiet seines Expertenwissens argumentiert. Nur weil es aber keine Adern gibt, muss das zwangsläufig schon heißen, dass es nichts gibt, was Wünschelruten aufspüren können? Könnte es denn nicht sein, dass auf dieser Welt Kräfte wirken, in Ermangelung besseren Wissens bis Dato als “Wasseradern” erklärt, die zwar wissenschaftlich noch nicht erfasst, einem Menschen mit der entsprechenden geistigen Disposition jedoch vermittels Wünschlruten, Pendeln o.ä. zugänglich sind?
Das hat der Labortest nämlich nicht widerlegt. Der Labortest hat lediglich bewiesen, dass zwei Wünschelrutengänger nicht in der Lage waren, einen vollen Wassereimer unter 12 leeren Wassereimern herauszufinden.
In anderen Gebieten der Wissenschaft ist es längst offen ausgesprochenes Gedankengut, dass eine Laborsituation immer Einfluss auf das Ergebnis hat, egal um wie viel Neutralität man sich bemühen mag. Und ein zugedeckter Wassereimer in einem sterilen Labor ist doch was anderes, als irgenwelche Kräfteverhältnisse in der freien Natur.
Was gar nicht zur Sprache kam: Das Ergebnis der Wünschelrutengänger lag nicht nur daneben, es lag signifikant daneben. In beiden Fällen hieß es: Allein durch das Zufallsprinzip hätten die beiden Männer mehr Treffer haben müssen. Nun könnte man daraus auch ableiten, dass die Methode der Wünschelrutengänger schon einmal nicht auf das Zufallsprinzip beruht, sondern sie offenbar in der Laborsituation sogar richtiggehend fehlgeleitet hat. Das ist nun schon interessant: Hätten die beiden das Wasser aufspüren können (was stochastisch natürlich noch unwahrscheinlicher, dennoch aber nicht unmöglich ist) wären die Versuchsleiter bereit gewesen, dies als Beweis zu akzeptieren, und hätten dafür sogar eine hohe Summe bezahlt. Die signifikant niedrige Trefferquote ist ihnen jedoch Beweis für gar nichts, weil sie ihren Erwartungen entspricht, und sich die damit zusammenhängende Schadenfreude on screen auch gut macht.
Warum aber waren die Herren mit Wünschelrute und Pendel so überzeugt von sich selbst? Haben die beiden wirklich aus reiner Geldgier ein Lottospiel versucht? Immerhin sind sie das Risiko eingegangen, vor laufender Kamera und damit in der breiten Öffentlichkeit ihre Reputation und ihre Karriere zu ruinieren. Wären sie Schwindler, hätten sie sich auf den Deal niemals eingelassen. David Copperfield erfüllt auch keine Publikumswünsche.
Irgendwie müssen die beiden also geglaubt haben, dass ihre Methode funktioniert. Die Erklärung, die GWUP dafür liefert: Die Männer waren unbewusst selbst für die Bewegung ihrer Wünschelrute bzw. ihres Pendels verantwortlich. Dort, wo eine Reaktion erwartet werde, würden minimale Bewegungen der Wünschelrute als Ausschlag interpretiert, durch die Erregung über den Ausschlag entstünden dann unbewußte Bewegungen der Hand, die sich weiter auf die Wünschelrute übertragen und zu einem verstärkten, nun als eindeutig wahrgenommenen Ausschlag kulminieren würden.
Ich stehe damit vielleicht allein da, aber ich muss einfach sagen: Die Vorstellung, das Menschen sich ein Leben lang derartig selbst bescheißen und so wenig psychische Kontrolle über ihre Physis haben, sich damit bis zu dem Labortest jedoch irgendwie durchschlagen konnten, halte ich persönich für ebenso abenteuerlich wie die von herumwabernden Kraftfeldern, die sich mit Pendeln und Wünschelruten aufspüren lassen. Sicherlich mag diese psychologische Wirkung ein Teil des ganzen Spaßes mit Wünschelruten sein, aber reicht sie über alle Einzelfälle hinweg als Erklärung dafür aus, warum sich dieser Aberglauben seit 500 Jahren gehalten hat?
Weil das offenbar auch die Wissenschaft nicht so ganz überzeugt, wird noch eine zweite Erklärung herangezogen: Dass Gustav Freiherr von Pohl 1930 in einem Dorf nämlich gelungen ist, was im Labor immer fehlschlägt, nämlich allein anhand einer Wünschelrute exakt zutreffende Aussagen über die Krebserkrankungen in einer Gemeinde zu treffen, sei nichts anders als ein Taschenspielertrick gewesen. Der Mann soll nicht an seiner Wünschelrute, sondern allein an den (wieder unbewußten) Reaktionen seiner Begleiter festgestellt haben, wenn auf dem Grundstück, das er abging, Todesfälle aufgetreten waren. Donnerwetter! Auch das ist ein Kunststück, das Applaus verdient. Wenn Uri Geller das könnte, könnte er sich eine Menge peinlicher Fernsehauftritte sparen.
Man könnte jetzt doch die Summe, die den Wünschelrutengängern für das Aufspüren von Wassereimern versprochen worden ist, auch für denjenigen ausloben, der (ohne Wünschelrute) von ein paar alten Herren durch ein Dorf geführt, allein an deren unbewußten Reaktionen Aussagen über die Krebstode der Ortschaft treffen kann. Der Ausgang dieses Feldversuches würde mich interessieren.
Wir halten also fest: Wünschelrutengänger sind je nach Trefferquote entweder Scharlatane mit bewundernswertem Talent, oder Selbsttäuscher, die über Jahre hinweg nicht bemerken, dass sie die Ausschläge ihres Instrumentes selbst produzieren.
Haben wir hier nicht einfach nur alten Aberglauben durch neuen Aberglauben ersetzt? Früher haben wir Erklärungen in „Zwergen, Gnomen, Elfen” gesucht, heute machen wir für all das die Unzulänglichkeit unseres eigenen Denk- und Wahrnehmungsapparates verantwortlich und verpflanzen alle Ursachen ins menschliche Gehirn. Wir sind also eher bereit, zu akzeptieren, dass wir alle potenziel etwas irre und disfunktional sind, als dass es mehr zwischen Himmel und Erde geben könnte, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.
Vom Standpunkt eines -sagen wir- Drehbuchautoren gesehen, ist beides gleich phantastisch. Man muss sich jetzt nur zwischen einer Folge Akte X und einer Komödie entscheiden. Wenn man sich unsere Gesellschaft allerdings so anschaut, ist die zweite vielleicht sogar tatsächlich die weitaus plausiblere Variante.