Im Moment wird unter dem Post „Kreationisten sind doof und stinken“ von Cabuflé eifrig diskutiert. Ich will mich da eigentlich erst mal gar nicht so sehr einmischen, bin aber einfach mal so dreist, mir den in den Kommentaren verlinkten Artikel von Thomas Nagel “Public Education and Intelligent Design” (pdf download) vorzunehmen und dafür einen neuen Post aufzumachen.
Leider muss ich gleich respektvoll bemerken, dass mich die Begeisterung, die für diesen Artikel geäußert wurde, ähh wie soll ich sagen, absolut vollständig und komplett verwirrt.
Meine Meinung dazu ist bedauerlicherweise, dass es sich möglicherweise um einen der schlechtesten Artikel handelt, den ich je gelesen habe. Aber ich könnte mich ja irren und außerdem lernt man ja auch viel dabei, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die einem komplett querlaufen, also will ich das so gut es geht versuchen. Ich entschuldige mich schon im Vorfeld für eventuelle Polemisierungen, Ausfälle und wütende Wortschwälle.
Fangen wir an:
“Most importantly, the campaign of the scientific establishment to rule out intelligent design as beyond discussion because it is not science results in the avoidance of significant questions about the relation between evolutionary theory and religious belief, questions that must be faced in order to understand the theory and evaluate the scientific evidence for it.
It would be unfortunate if the Establishment Clause made it unconstitutional to allude to these questions in a public school biology class, for that would mean that evolutionary theory cannot be taught in an intellectually responsible way.“
(S.188)
Das sind halt so Sätze, bei denen mir ernsthaft übel wird. Mit das Großartigste an der amerikanischen Verfassung ist die Establishment Clause! Lassen wir uns doch nur einmal die Schönheit der selbigen zu Gemüte führen, gleich zusammen mit der Free Exercise Clause: “Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof…â€
Also WTF könnte irgendjemand DAGEGEN haben??
Wenn irgendjemand, sagen wir mal eine Religion, wichtige Beweise für die eigene Theorie vorlegen kann, dann sollten diese selbstverständlich gehört werden. Aber das schreibt Nagel nicht! Er sagt, dass der wissenschaftliche Beweis für die Evolutionstheorie nur bewertet und verstanden werden kann, wenn sie im Zusammenhang des religiösen Glaubens diskutiert wird!
Warum testen wir nicht den wissenschaftlichen Wert von allen Theorien im Zusammenhang mit religiösem Glauben? Ich finde ja, dass die Regeln für Fußball nicht verstanden und ihr Wert nicht beurteilt werden kann, wenn sie nicht unter religiösen Aspekten diskutiert werden. Hallo? Hab ich irgendwas verpasst? Seit wann geht so eine Argumentation als irgendwas anderes als Schwachsinn durch?
Und nicht zu vergessen: Schulkinder müssen wir da selbstverständlich auch noch mit reinziehen!
Aber weiter im Text, wir sind schließlich gerade mal auf der zweiten Seite.
“ID (as I shall call it, in conformity to current usage) is best interpreted not as an argument for the existence of God, but as a claim about what it is reasonable to believe about biological evolution…â€
Nun, wenn das so ist, ist ja alles gut und ich hab kein Problem damit. Ach verdammt, es geht weiter…
“… if one independently holds a belief in God that is consistent both with the empirical facts about nature that have been established by observation, and with the acceptance of general standards of scientific evidence.“
(S.188)
Warum spielt der Glaube an Gott da eine Rolle? Kann mir das jemand erklären? Das heißt, was man über die biologische Evolution glaubt, sollte abhängig davon sein, ob und wie man an Gott glaubt. Und die Argumentationsrichtung ist auch klar. ID beweißt Gott nicht, es setzt den Glauben an Gott voraus, an welchem sich dann die Theorie über die Evolution orientieren soll. Das Wort, das da nicht passt ist, ist “independently”. Wenn es da was zu suchen hätte, hätte der Satz auch nach der ersten Hälfte aufhören können. Und dann fragt er ernsthaft, was eigentlich das Problem mit ID ist?
“The evidence for the theory [Evolutionstheorie, Anm.] is supposed to be evidence for the absence of purpose in the causation of the development of life-forms on this planet.â€
(S.188)
Nein! Nein, eben nicht! Beweise für die Evolutionstheorie beweisen Evolutionstheorie und sonst nichts. Es ist nicht die Aufgabe der Evolutionstheorie irgendwas anderes zu beweisen oder zu widerlegen. Es ist die Aufgabe von denen, die glauben, dass es einen Sinn oder einen Plan oder sonst was in der Entwicklung des Lebens gibt, endlich Beweise für IHRE Theorie vorzulegen. Ich kann deren Theorie nicht widerlegen, niemand kann das. Ich kann auch die Existenz des Weihnachtsmanns und des Osterhasens nicht widerlegen.
„No one suggests that the theory is not science, even though the historical process it describes cannot be directly observed, but must be inferred from currently available data. It is therefore puzzling that the denial of this inference, i.e., the claim that the evidence offered for the theory does not support the kind of explanation it proposes, and that the purposive alternative has not been displaced, should be dismissed as not science. The contention seems to be that, although science can demonstrate the falsehood of the design hypothesis, no evidence against that demonstration can be regarded as scientific support for the hypothesis. Only the falsehood, and not the truth, of ID can count as a scientific claim. Something about the nature of the conclusion, that it involves the purposes of a supernatural being, rules it out as science.“
(S.188 f.)
Wie zur Hölle soll die Wissenschaft die „design hypothesis“ denn widerlegen? Und warum sollte sie sich überhaupt einen feuchten Scheißhaufen darum scheren? Ich muss mir noch mal diesen Satz auf der Zunge zergehen lassen:
“The contention seems to be that, although science can demonstrate the falsehood of the design hypothesis, no evidence against that demonstration can be regarded as scientific support for the hypothesis.â€
Zumindest hat er “support†und nicht “evidence†geschrieben. Aber stellen wir uns mal vor, ich fege den Satz „Es gibt keinen Weihnachtsmann, weil sein fliegender Wagen noch von niemandem gesehen und überzeugend dokumentiert wurde.“ mit dem Gegenargument „Sein fliegender Wagen ist unsichtbar.“ fort, inwiefern „unterstützt“ das meine Theorie, dass der Weihnachtsmann tatsächlich existiert? Ich habe immer noch keinen eigenen Beweis dafür vorgelegt, sondern warte nur darauf, dass jemand die Unmöglichkeit versucht, die Nichtexistenz zu beweisen und bekämpfe dann diesen Versuch.
Ich muss mich mit dem Zitieren etwas zurückhalten, sonst könnte ich auch gleich den ganzen Artikel hier reinkopieren.
Er geht jetzt also dazu über zu erklären, warum die Hypothese, dass genetische Mutationen übernatürlich beeinflusst werden, so sehr ignoriert wird. (Die korrekte Antwort darauf würde natürlich lauten: Aus dem selben Grund, weshalb meine Theorie, dass Johannes B. Kerner ein außerirdisches Killermonster mit Auftrag die Menschheit zu vernichten ist, ignoriert wird, nämlich dem, dass bedauerlicherweise keinerlei Beweise dafür vorliegen.)
“The premise is that the purposes and actions of God, if there is a god, are not themselves, and could not possibly be, the object of a scientific theory in the way that the mechanisms of heredity have become the object of a scientific theory since Darwin.
[…]
[T]he idea of a divine creator or designer is clearly the idea of a being whose acts and decisions are not explainable by natural law. There is no divine scientific psychology.â€
(S.189)
Nur mal so gefragt: Angenommen es gibt Gott oder etwas vergleichbares. Warum sollte er/sie/es nicht irgendwann auf wissenschaftliche Weise erklärbar sein?
Nagel fährt fort und überlegt sich die folgende Frage:
“Are the sources of genetic variation uniformly random or not? That is the central issue, and the point of entry for defenders of ID.â€
(S. 192)
Er führt hier z.B. das Konzept „Facilitated variation“, zu deutsch „Erleichterte Variation“ an. Soviel ich weiß, versteht sich dieses Konzept aber selbst als Erweiterung zur Darwinistischen Evolutionstheorie und das Buch „The Plausibility of Life“, welches Nagel an dieser Stelle anführt, richtet sich ausdrücklich gegen ID. Soweit ich das verstehe, geht es unter anderem darum, dass manche Elemente der DNA offener für Mutationen sind als andere. Die dem zugrundeliegenden Mechanismen entstanden selbst durch natürliche Selektion. Wenn diese Zusammenfassung einigermaßend zutreffend ist, wofür ich nicht meine Hand ins Feuer legen will, dann erklärt dieses Konzept eigentlich wie Mutation, die nicht vollständig zufällig ist, möglich wäre, allerdings ohne die Zuhilfenahme einer übernatürlichen Intervention.
Das wäre also ein ganz gutes Beispiel dafür, dass eine nicht hundertprozentige Zufälligkeit genetischer Variation noch lange kein Beweiß für irgendwas übernatürliches ist.
“But even if one merely regards the randomness of the sources of variation as an open question, it seems to call for the consideration of alternatives.â€
(S.192)
Und dieser Prozess nennt sich Wissenschaft. Selbst wenn wir die Sache offen oder sogar noch negativer bewerten würden, gäbe es aber keinen Grund einfach irgendwelchen “Alternativen” den Vorzug zu geben. Nach wie vor warte ich auf auch nur den geringsten Beweis für ID.
Ich müsste eigentlich fast zu jedem Satz was schreiben, hab das aber nicht vor. Nagel scheint davon auszugehen, dass die Existenz eines Gottes oder einer übernatürlichen Intervention bei nicht vorhandenen Beweisen genauso wahrscheinlich ist, wie die Nichtexistenz.
Wahrscheinlichkeit misst den Grad der Möglichkeit, dass etwas wahr ist. Mal ein einfaches Beispiel. Wenn jemand auf der Straße zu dir sagt: „Morgen geht die Welt unter.“, ohne dafür Beweise zu liefern, gehst du dann davon aus, dass morgen mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit die Welt untergeht?
Insofern springe ich jetzt einfach mal ein gutes Stück zum Ende zu einer besonders schönen Stelle.
“Sophisticated members of the contemporary culture have been so thoroughly indoctrinated that they easily lose sight of the fact that evolutionary reductionism defies common sense. A theory that defies common sense can be true, but doubts about its truth should be suppressed only in the face of exceptionally strong evidence.â€
(S. 202)
Ich weiß nicht genau, welchen Reduktionismus er hier meint, aber schon wieder so ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: „…the fact that evolutionary reductionism defies common sense…“
Selbstverständlich stimme ich mit dem Wort Reduktionismus nicht überein, aber er setzt es ja hier sowieso mit der Evolutionstheorie gleich. Mein „common sense“ sagt genau das Gegenteil aus, aber zum Glück ist sein Bauchgefühl ja ein allgemeiner „fact“.