Autobiographisches Dramolett für zwei Ernst-Busch-Absolventen und diverse Statisten
A:(mit Blick zum U-Bahn-Fernsehen) Was? Nacktbilder von Lena Meyer-Landrut?
B: Ja, hast du das nicht mitgekriegt?
A: Nein…
B: Das ist doch seit ein paar Tagen der youtube-Knüller.
A: Ach youtube? Dann sieht man ihre Titten ja gar nicht.
B: Doch, schon.
A: Was? Auf youtube? Da sind doch keine Titten erlaubt.
B: Wie bitte?
A: Also, wenn jemand es meldet, dann wird es gelöscht.
B: Na ja, ganz kurz halt. So halb. (Pause) Aber ohnehin ist das ja so’n Fall, wo man sich fragt, warum einen das jetzt interessieren soll – Nacktbilder von Lena Meyer-Landrut.
A: Ja, schon, aber ich muss mir das natürlich jetzt trotzdem gleich wenn ich nach hause komm anschauen.
B: Natürlich, ich hab’s mir ja auch angeschaut.
Ansage: Nächste Haltestelle: Kottbusser Tor; Ãœbergang zur U8.
A: Als ich letzte Woche deinen kleinen Bruder besucht habe, hat sich übrigens herausgestellt, dass Benjamin Blümchen in dem geheimen Harem im Führerbunker mit seiner Sacknaht an der Scheide von Lena Meyer-Landrut hängengeblieben ist.
Strenggenommen war es nicht überall die Evolution im eigentlichen Sinne; der Human Face Fish, der Angorahase und der imposante Liger (u. a.) sind Ergebnis menschlicher Zuchtwahl. Na und? Außerdem weiß ich jetzt, was der Titel von dem abgeschriebenen Technobuch von der siebzehnjährigen Tussi bedeutet.
Im Prinzip spricht das Video für sich, jedoch kann ich nicht widerstehen, mittels ausführlicher Analyse meiner Faszination für die zur Schau gestellte Blödheit und generelle Inkompetenz so ziemlich aller Beteiligten Ausdruck zu verleihen.
00:01 Der wütende Mob – mit dem ich aus gewissen sentimentalen Gründen ja an sich sympathisieren müsste – fordert qua Transparent “Marx an die Uni !”. Vermutlich meinen die Kleinen mit “Marx” vor allem ihre eigenen vulgären Vorstellungen von so etwas ähnlichem wie Sozialismus und könnten Vokabeln wie “Ideologiekritik” oder “Historischer Materialismus” nur mit Mühe überhaupt buchstabieren. Allerdings erzählte mir ein befreundeter Philosophie-Doktorand einst, dass Marx’ Schriften im geisteswissenschaftlichen Curriculum der HU durchaus unterrepräsentiert sind. Ein Beispiel also, wie auch Deppen aus den falschen Gründen richtig liegen können.
00:26 Sprecher: “Die Universität war überrascht und überfordert.” Ãœberrascht womöglich, ja, aber bei aller Liebe zum Stabreim: Ãœberfordert? Direkt im Anschluss reagiert ein Mann mittleren Alters – vermutlich Dozent – doch vollkommen korrekt und verhältnismäßig, indem er die ungezogenen Blagen mit der angemessenen Emotionalität auffordert, sich zu “verpissen”. Die einzig sympathische Figur in dem kompletten Clip.
00:33 Szenenwechsel, die Fallhöhe wird gesteigert, Antagonisten eingeführt. Es fallen Reizworte wie “Manager” und “Patentschutz”.
00:46 Ein wohlfrisierter Jungspund mit dekorativem Hanfblatt auf der von ausgeprägtem Speziezismus zeugenden Oberbekleidung findet sich am Mikrophon wieder und hätte Gelegenheit, ein paar steile Thesen zur Diskussion zu stellen, gibt jedoch in letzter Sekunde einem milieukonformen Paarungsritual den Vorzug.
00:54 Sprecher: “Ein Teilnehmer der Podiumsdiskussion musste sogar ein Demoschild halten.” Hallo? Was seid ihr denn für Extremisten? Ihr habt euch eifrig bis zu euren übelsten Erzfeinden vorgekämpft, und alles was euch an subversiver Intervention einfällt ist: “Ey Alter, halt mal das Schild da”? Dann wiederum das beschlipste Hartmut-Mehdorn-Double: Mit welcher Grandezza er das Gesicht verzieht und den Kopf senkt: Seht her, seht her, ich werde unterdrückt! Chapeau!
01:20 Ein Managerkollege erklärt, dass er und Seinesgleichen “mit der Uni gar nix zu tun” hätten, als ob das nicht gerade ein Grund sein könnte, sie hochkant rauszuwerfen, und die zuständige Mikrophonpraktikantin ringt sich zur kritischen Nachfrage durch: “Und haben sie noch versucht, die Türen zuzuhalten?” Antwort: “Natürlich, wir haben versucht, das Essen zu retten…” – na, wenn ihr sonst keine Probleme habt, bzw. nicht einmal auf die Idee kommt, die randalierende Baggage sich am kalten Buffet verausgaben zu lassen, zeugt das allerdings von essenziellen Defiziten im Bereich Soft Skills and Resources. Und ihr wollt die unmündigen Massen knechten und ausbeuten? Dass ich nicht lache!
01:48 Sprecher: “Als ein Großteil der Schüler das Gebäude wieder verlassen hatte, kam die Polizei.” So sind sie nunmal, die Gesetzeshüter: Nie da, wenn man sie braucht, und heutzutage nicht mal mehr, wenn es irgendwo ein paar Halbstarke niederzuknüppeln gäbe. Es ist aber auch wirklich auf Nichts und Niemanden mehr Verlass.
Okay, vielleicht stinken sie nicht alle, aber auf jeden Fall sind sie doof. Und wenn ich sage doof, dann meine ich das im Sinne von saublöd, wirklich schreiend blöd, dumm wie fünf Meter Feldweg! Mir ist natürlich klar, dass unsere außergewöhnlich gebildeten und überdurchschnittlich attraktiven Leser das durchaus wissen. Allerdings bekommt jene Pseudowissenschaft aus dem evangelikalen Giftschrank in letzter Zeit auch im vermeintlich so viel weltoffeneren und aufgeklärteren Europa ein geradezu perverses Maß an Aufmerksamkeit.
Unlängst fand gar das Stuttgarter Naturkundemuseum nichts dabei, eine Podiumsdiskussion mit Kreationisten zu veranstalten. Wenn die verantwortlichen auch sicher die besten aufklärerischen Absichten hatten, dünkt es doch bizarr, den Vertretern einer derart abstrusen Ideologie überhaupt ein Forum in einem naturwissenschaftlichem Institut einzuräumen und damit erkenntnistheoretische Fehlschlüsse, schwachsinnige Analogien und gezielte Desinformation implizit als ernsthafte Argumente zu adeln. Man stelle sich vor, ein astronomisches Institut würde irgendwelche Vollhonks einladen, um öffentlich zu debattieren, ob die Erde nicht vielleicht doch der Mittelpunkt des Universums ist.
Ich war nun leider bei dem Termin im Schloss Roseneck (wo der kleine Cabuflé in den Achtzigern mit großen Augen vor Wal- und Saurierskeletten stand) nicht zugegen, aber glücklicherweise – und dies ist der eigentliche Anlass dieses Posts – macht gerade ein Video im Netz die Runde, das solche Veranstaltungen noch überflüssiger macht, als sie ohnehin schon sind, indem es exemplarisch den immergleichen Verlauf derartiger Konversationen exerziert:
Ergänzend dazu ein Vortrag des Evolutionsbiologen PZ Myers, der das obige Video auch in seinem großartigen Blog Pharyngula verlinkte. Eine ausführliche und anschauliche Erklärung, warum Evolution ein Fakt ist und Kreationismus – oder Intelligent Design oder Sudden Appearance Theory – behämmert:
In einem zweiteiligen Artikel auf Telepolis hat Hans Schmid sich recht ausführlich und angemessen polemisch mit der fragwürdigen Praxis der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien auseinandergesetzt. Unbedingt lesenswert.
(…) An den Indizierungsentscheidungen fällt mir die Sicherheit des Urteils auf. Diskussionsbedarf bestand offenbar nur hinsichtlich der Frage, ob ein Film in Liste A oder Liste B eingetragen werden soll und ob Frontière(s) zum Rassenhass anreizen und das NS-Regime verherrlichen könnte, weil das sabbernde Familienoberhaupt der Kannibalen früher bei der SS war (eher nicht, befand das Gremium). Mir ist diese Meinungsstärke leider nicht gegeben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die genannten Filme gut oder schlecht finde und ob ich sie empfehlen würde, wenn ich das dürfte. Bei mir ist die Meinungsbildung ein Prozess. Als Jugendschützer wäre ich ein Versager, denn von vornherein weiß ich so gut wie gar nichts (beim 3er-Gremium ist das ganz anders). (…)
(…) Die BPjM ist doch noch fündig geworden. Nicht bei der Wissenschaft oder im Feuilleton von Zeitungen und Zeitschriften, sondern im Kommentarteil von Internet-Versandhändlern. Eine seiner 12 Textseiten zu A l’intèrieur füllt das 3er-Gremium mit den “Filmrezensionen” von “blade41”, “Mr. Vincent Vega” und “McHolsten”. Mit Verlaub: Das ist Realsatire. Solche Kommentare von Internet-Usern sind völlig legitime Meinungsäußerungen, aber Filmrezensionen sind es in aller Regel nicht. Ich will überhaupt nicht ausschließen, dass Mr. Vincent Vega & Co. eine solche Rezension schreiben könnten (dazu gehört, dass man nicht nur eine Meinung hat, sondern diese auch begründet), aber sie haben es nicht getan, weil es nicht verlangt war. Wenn die BPjM so tut, als erfasse sie “Echo und Wertschätzung in Kritik und Wissenschaft”, indem sie ein paar Sätze von McHolsten zitiert, ist das eine Travestie. (…)
Meine sehr verehrten Damen und Herren: Ich bin betrunken. In diesem Sinne möchte ich Ihnen gerne mitteilen:
Wer für die Mehrheit seiner Mitmenschen etwas anderes als Verachtung übrig hat, kann niemals wahrer Künstler sein.
Das mag jetzt zunächst klingen wie das, was ein besoffener Regisseur auf einer Berliner Szeneparty sagt, um Frauen zu beeindrucken, aber ich kann das begründen. Ich muss an den JuSo denken, der damals, als wir mit Brigitte Wimmer in Berlin waren – auf Staatskosten, versteht sich: “Politik- und Infofahrt” – fragte: “Georg, wie stehst du eigentlich zu der gelben Abkürzung?”
Er wollte wissen, ob ich es moralisch in Ordnung fände, vom Club ins Hotel ein Taxi zu nehmen. Natürlich ist das eine politische Frage, wie so manches, aber eben gerade nicht so, wie der Typ, der seine Jugend an Gerhard Schröder verschwendet hat, mit seinem Gratisgewissen meinte.
Die Sache gestaltet sich folgendermaßen: Kunst – gute Kunst, und die Diskussion darüber, was das eigentlich bedeute und wer das definiert, führen wir ein anderes mal – entsteht aus Leidenschaft. Sich mit eben jener Leidenschaft der Herstellung eines Dinges zu widmen, das in letzter Konsequenz neben hoffentlich vorhandenen ästhetisch-formellen Qualitäten nichts weiter bedeutet als ein Abbild der eigenen Persönlichkeit, der eigenen Haltung zu einem Sachverhalt, kann nur leisten, wer in grenzenloser Selbstüberschätzung ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass, was auch immer er zu sagen haben, was er aus der Sache machen mag, wichtiger und bemerkenswerter ist, als was andere daraus machen würden. Sonst wird es beliebig und damit überflüssig.
Dass ein Jeder, der ein wertvolles Kunstwerk erschafft, sich damit zugleich notwendig als Humanist outet, ist einer jener Widersprüche der Post-Postmoderne, die ich hier wertfrei zur Kenntnis nehmen will.
Und so lassen Sie mich schließen mit jenen Worten, die ich vorhin in einem entkernten Friseursalon im Reuterkiez über laute Elektromusik brüllte, um eine Frau zu beeindrucken:
Das Ziel aller Kunst muss dafür sein. Das Ergebnis dagegen!
Buddhisten und Sozialpädagogen haben es schon immer geahnt: In Wirklichkeit suchen diese bösen Männer, die uns alle in die Luft sprengen wollen, nur ein bisschen Liebe und Zuneigung…