Ich wüsste da spontan jetzt auch niemanden. Aber ist das nicht schade? Hätte der Fliesentisch nicht besseres verdient, als die Wohnstuben junger Prekarier im Privatfernsehen zu zieren?
Es mag daran liegen, dass ich irgendwo in meinem Hinterkopf die nebulöse Erinnerung ausgrub an Cabuflés nicht mal zehnjährige Kinderfinger, die einst – wann und wo kann ich nicht sagen – Â fasziniert die Fuge zwischen zwei Fliesen eines Fliesentisches erkundeten (populärpsychologische Sticheleien werden in den Kommentaren entgegen genommen).
Vielleicht wirkt die Verwendung von Fliesen als Möbeloberfläche im Zeitalter von Furnier und Pressspan auch einfach ehrlicher als ein beliebiger leidlich an Holzoptik gemahnender Kunststoff.
Wie auch immer – fest steht jedenfalls: Ich will einen Fliesentisch! Unbedingt! Ganz dringend! Jetzt sofort! Hat irgendjemand einen über oder kennt jemanden?
Stefan Niggemeier kann mir offenbar schon mal nicht weiterhelfen…
Es war in der Diskussion faszinierend zu sehen, wie die Kinderschützer mit großer Naivität glaubten, dass eine Sendung, die RTL eine „Dokumentation†nennt, das tatsächliche Geschehen dokumentiert. Und wie die Fernsehleute mit ebenso großer Betriebsblindheit nicht glauben konnten, dass jemand annehmen könnte, dass das, was RTL in so einer Show zeigt, eine größtmögliche Annäherung an die Wirklichkeit wäre — und nicht vor allem den üblichen Inszenierungs-Regeln folgen würde.
Normalerweise finde ich Besprechungen einzelner Politikerreden eher ermüdend. Aber wenn eine Rede vom amerikanischen Präsidenten als Ansprache an die „muslimische Welt“, zwei zusammen völlig bedeutungslose Worte, in der Hauptstadt eines autoritären, pseudodemokratischen Polizeistaates, in dem die Hauptgesetzesquelle die Scharia ist, angekündigt wird, dann ist es vielleicht doch wert, ein bisschen genauer zu schauen. Im Prinzip ist an der Rede nichts falsch, außer dem, was man auch vorher schon vermuten konnte. Und es nichts dran zu rütteln, dass Obama ein guter und angenehmer Sprecher ist.
Das Hauptproblem ist, dass gleichzeitig Klischees und Vereinfachungen bekämpft werden sollen, während sie gebaut werden. Es gibt eine muslimische Welt noch weniger als es eine christliche Welt gibt. Schiiten, Sunniten, Wahhabiten, Sufiten, Aleviten, usw. bekämpfen sich nicht nur gegenseitig, sondern auch untereinander. Wenn man den Irak beispielweise nach Religionsrichtungen aufteilen würde, hätte man bestenfalls lauter Ministaaten von der Größe kleiner Städte.
Obama weiß das natürlich, deswegen ist es ja auch nur eine symbolische Rede und letztendlich nicht mehr als eine Mischung aus allgemeinen Schmeichelein und ein paar Dingen, die zwar nicht neu sind, aber auch nicht zu wenig gesagt werden können.
Aber ob es gut ist, ein Bild eines nicht-existenten einheitlichen Islam zu zeichnen und dabei Kultur mit Religion quasi gleichzusetzen, während demokratische und säkulare Werte implizit als „westlich“ gebrandmarkt werden, wage ich zu bezweifeln.
Homöopathie wird in der Regel mit den ähnlichen Argumenten verteidigt, mit denen auch Aberglaube und Religion gerechtfertigt werden soll. Wenn’s hilft, wo ist das Problem? Das Warum spielt keine Rolle mehr, subjektives Erleben wird zum ultimativen Kriterium erhoben und es kümmert auch nicht, dass es ehrlichere Wege gibt, die Kraft des Unbewussten zu nutzen, wie Hypnose. (Ehrlich, weil das Grundkonzept der Hypnose nicht auf übersinnlichen Unfug zurückgreifen muss, was einzelne Hypnotiseure behaupten, steht auf einem anderen Blatt.) Und schließlich haben jetzt sogar die Schweizer per Volksvotum die “Komplementärmedizin” in ihre Verfassung verankert, was die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen gleich dazu veranlasste etwas ähnliches für Deutschland zu fordern. Es wird mal wieder angeführt, dass Akupunktur in manchen Studien höhere Erfolgsquoten erzielte als konventionelle Behandlungsmethoden, teilweise fast doppelt so hoch. Was natürlich gerne verschwiegen wird ist, dass Fake-Akupunktur, wo Nadeln einfach irgendwo hin gestochen werden, genauso gut abschneidet. Das ganze ist also vielmehr ein Beweis für die erstaunliche Heilungskraft unseres Unbewussten, welche durch verschiedene, ehrliche Ansätze viel mehr genutzt werden sollte. Darunter fällt z.B. auch ein respektvolles und verständnisvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient, was das reguläre Krankensystem von den “Alternativen” sicher teilweise lernen könnte. Der Placebo-Effekt ist keineswegs der Dummen-Bonus, den Leichgläubige für ihre Naivität einsacken. Er ist ein Beweis, dass die Psyche auch bei körperlichen Schwierigkeiten über beeidruckende Heilungskräfte verfügen kann. Warum es aber nicht nur moralisch verfänglich sondern gefährlich ist, beispielsweise Homöopathie als mehr als die Abzocke mit beleidigend hirnrissiger pseudo-wissenschaftlicher Erklärung zu bezeichnen, die sie ist, zeigt dieser Brief, in dem Ärzte und Forscher die WHO mehr oder weniger anflehen, Homöopathie zu verurteilen. Denn die Behauptungen, die hier vielleicht zu “ganz harmlosen komplementären Maßnahmen” führen, schüren besonders in Entwicklungsländern falsche Hoffungen und können katatrophale Auswirkungen haben.
Zwei Zitate aus dem Brief:
“The aggressive stance some homeopathic practitioners take towards life-saving drugs for HIV, TB, malaria and other diseases that ravage the developing world is irresponsible, patronising and unnecessary. We should not deny people in developing countries access to the full facts and to high-quality scientific evidence.”
“The catastrophic consequences of promoting irrational and ineffective treatments for serious illnesses have been demonstrated in South Africa, where Thabo Mbeki’s policies have led to an estimated 365,000 unnecessary premature deaths. The prospect of replicating this reckless behaviour elsewhere in developing countries by advocating homoeopathic treatments for AIDs and other potentially lethal conditions is appalling. I hope that the timely intervention by the Voice of Young Science Network will help to pre-empt a public health disaster. It illustrates the importance of young scientists, torchbearers for a better future, taking a stand and speaking out.”
Schöner Artikel im exzellenten Blog Bad Science von Ben Goldacre über den Missbrauch wissenschaftlicher Studien in den Medien.
[…]”This is how I think it works. Journalists have a 1950s B-movie view of science. To them, it offers a feeling tone of cold, unquestionable truth that can be used to paste a veneer of objectivity over any moral prejudice you might have,”[…]
In Kurzform: Zu wenig Geld von Anfang an – kranker Hauptdarsteller – Sandsturm am Set – Versicherungsprobleme – Abbruch nach gut einer Woche Dreh.
Es ist nunmehr offiziell, dass die renommierte Independentklitsche Recorded Picture Company, die auch Gilliams “Tideland” produzierte, die Vorproduktion für “The Man who killed Don Quixote” anlaufen lässt.
Irgendwie bin ich in einer schizophrenen Situation: einerseits möchte ich selbst mit der Schaffung von Kulturgut (Filmen, Büchern oder Comics) mein Geld verdienen, andererseits beteilige ich mich mit diesem Blog hier aktiv an einer Entwicklung, die die Aussicht auf ein solides Einkommen in dieser Branche immer zweifelhafter macht. Einerseits bin ich der Meinung, dass in einer idealen Gesellschaft allen Menschen alle Kulturgüter kostenlos zur Verfügung stehen sollten – andererseits sehe ich moralisch keinen Unterschied, ob man einen Film im Netz herunterlädt oder die DVD im Saturn unter der Jacke an der Kasse vorbeischmuggelt. Einerseits liebe ich das Internet für sein großes anarchistisches Potential, andererseits kann ich mich einfach nicht dagegen wehren, dass das Selbstverständnis, dass die Betreiber von Pirate Bay an den Tag legen, mich zum Kotzen bringt. Ich muss es einfach sagen: Ein breites Portal für das Herunterladen von Musik, Filmen und Computerprogrammen anzubieten, hat nichts mit dem Kampf für die Freiheit von Kunst und Kultur zu tun, sondern ist organisiertes Verbrechen. Nicht nur, weil es einzelnen Menschen die Möglichkeiten an die Hand gibt, eine Straftat zu begehen, sondern vor allem, weil es eine Haltung zementiert, die der Kunst weit mehr Schaden als Nutzen bringt: Während sich in allen Bereichen des Lebens die Menschen damit auseinandersetzen müssen, dass man für jeden Furz zu bezahlen hat, betrachtet man kulturelle Gegenstände als Inhalte eines freien Selbstbedienungsladens und ignoriert vollkommen, dass es auch Menschen gibt, die davon leben müssen.
Ich, dem die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens noch längst nicht radikal genug ist, bin der erste, der bereit dazu ist, gegen Kapitalismus und Monopolismus zu Felde zu ziehen. Der erste, der bereit ist, sich hinzustellen, und zu sagen: Das Recht eines Menschen, an sämtlichen Erzeugnissen der Zivilisation teilzuhaben, sollte völlig unabhängig sein von der Arbeit, die dieser Mensch innerhalb dieser Zivilisation ausführt. Ich glaube tatsächlich daran, dass das Grundprinzip von Internetportalen wie Wikipedia, in der richtigen Weise weitergedacht, der einzige Ausweg aus der Misere ist, in die die Finanzwelt uns hineingeritten hat.
Im Internet besteht, zumindest theoretisch, die Möglichkeit, eine Art freie und unkapitalistische Gesellschaft zu erschaffen. Wikipedia beispielsweise befreit uns von der Monopol- und Autoritätsstellung des Großen Brockhaus, und ermöglicht ein “Wissens-Sharing”, zu dem jeder Mensch seinen Teil beitragen, und (noch wichtiger) auch davon profitieren kann, ohne zunächst selbst einen Beitrag ableisten zu müssen. Die administrativen Kräfte sind wahrhaftig auf ihre administrativen Funktionen reduziert, es gibt (zumindest, wenn man Wikipedia als geschlossenes System betrachtet) keinerlei Priviliegien und Exklusivitäten, die zu Machtmissbrauch anregen. Entstanden ist dabei eine für jedermann zugängliche Wissensquelle, die meiner Erfahrung nach erheblich zuverlässiger ist, als etwa DER SPIEGEL. Da mögen Startschwierigkeiten und Kinderkrankheiten drin stecken, aber das Prinzip des offenenen Forums funktioniert im Netz doch einigermaßen gut. Wer einen Blog betreibt, kann seine Meinung unzensiert, unredigiert, unangepasst und unverfälscht an alle weitertragen, die bereit sind, sich darauf einzulassen. Das System legt mir als Schreiber keinen Maulkorb an und zwingt Euch als Leser keinen Einheitsbrei auf: Wem meine Meinung nicht behagt, kann mit ein paar Klicks die genau entgegengesetzte finden – und er muss nichts dafür bezahlen.
Ich verdiene allerdings auch nichts dabei. Muss ich ja auch nicht. Ich mache das ja freiwillig. Mir geht es ja um die Sache. Oder um den Spaß. Und so lange ich die Freizeit habe, in der ich mir das leisten kann, profitiert jeder von der Situation. Der Ärger fängt an dem Tag an, an dem ich mit meiner Schreibe Geld verdienen muss. Und dann feststelle, dass es zwar für mein Ego ungeheuer toll ist, wenn die Leute meine Sachen gut finden, ich mir aber im wahrsten Sinne des Wortes davon nichts kaufen kann. Weil meine Leser sich daran gewöhnt haben, für meinen Blog nichts zu bezahlen, meine Bücher kostenlos auf ihr E-Book zu laden, meine Lieder von Freunden auf dem USB-Stick rüber zu ziehen, meine Filme auf YouTube zu sehen oder sich bei Pirate Bay runterzuladen, und meine Comics gleich mit. Vorausgesetzt natürlich, diese Filme werden überhaupt gedreht, weil die Absatzzahlen von Kinokarten und DVD-Verkäufen so rapide gesunken sind, dass die Industrie das zur Herstellung eines Films leider in absurder Höhe nötige Geld lieber in eine neue Klamotte von Mario Barth steckt, als in die Gehversuche eines Jungregisseurs. Die wenigen, die dumm genug sind, einen Diebstahl auch dann für einen Diebstahl zu halten, wenn das Diebesgut nur aus Daten besteht, und sich tapfer meine DVDs kaufen, werden dafür mit nicht wegschaltbaren, prätentiösen Spots genervt, die ihnen jenes schlechte Gewissen einzureden versuchen, das diejenigen, die eigentlich gemeint sind, schon lange nicht mehr haben.
Dass das Internet uns mit der Idee vertraut macht, dass alles darin kostenlos zu haben ist, hat leider zu einer erheblichen Schieflage geführt, was die schlichte Akzeptanz der Tatsache angeht, dass diejenigen, die den Content liefern, dafür auch gearbeitet haben. Ein gesellschaftlich relevanter Ansatz muss mit Geben und Nehmen zu tun haben, doch das Nehmen scheint sich im Netz erheblich schneller durchzusetzen, als das Geben. Man findet nichts dabei, Musikbibliotheken auf iTunes zu haben, deren Komplettspielzeit länger ist als die eigene Lebenserwartung, und für die man keinen Schnatz bezahlt hat, weil “Stars wie Micheal Jackson eh so reich sind, die merken das doch gar nicht.” Nein, die Micheals dieser Welt, ob sie nun Jackson oder Bay mit Nachnamen heißen, merken das tatsächlich nicht. Aber ich und 90 Prozent meiner Freunde, die mit mir das Studium an einer Filmhochschule begonnen haben, die werden das merken. Weil sie nämlich ihr Geld als Schnittassistenten bei Bauer sucht Schwein verdienen müssen! Weil die wenigen, die noch das Glück haben werden, einen Film finanziert zu bekommen, sich für einen Ausschnitt aus einem Beatles-Song, egal welche künstlerische Wirkung sie damit erzielen könnten, dumm und dämlich bezahlen müssten, während sich jeder Depp den Song im Netzt für Umme runterlädt. Denn die Copyright-Inhaber wuchern natürlich dort, wo sie es noch können: Bei anderen Künstlern, die ein Stück nicht auf ihren mp3-Player laden, sondern als Baustein für ein weiteres Werk verwenden und damit letztlich den Kulturschatz bereichern möchten.
Natürlich, so lange ich die Zeit habe, unbezahlt seitenlang über diese Misere zu jammern, hat mich diese Misere eigentlich ja noch nicht so fest im Griff, dass ich zu Jammern wirklich Grund hätte. Natürlich ist Videopiraterie nur einer von unendlich vielen Gründen, die einem das Leben als Filmemacher schwer machen. Natürlich wird der Schaden, den sie anrichtet, hochgespielt und überbewertet. Natürlich, auch ich habe früher Filme im Fernsehen auf VHS aufgenommen, mir CDs von Freunden auf Kassette überspielt, natürlich sind auch auf meiner Festplatte Musikordner, die ich mir von Freunden rübergezogen habe. Und natürlich ist einem Künstler, der seine Berufung erst nimmt, die Tatsache, dass viele Leute seine Botschaft vernehmen wichtiger, als die Tatsache, dass viele Leute für seine Botschaft bezahlt haben.
Das ändert aber nichts daran, dass 99 Prozent der User von Pirate Bay keine Idealisten sind, die an einer neuen, freien Gesellschaft bauen, sondern Schwaben im Geiste, die einfach keinen Bock haben, für etwas zu bezahlen, was man auch umsonst bekommen kann. Leute, die weder die Traute noch den Ansporn, noch die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber hätten, jeden Tag auf dem Heimweg im Müller Markt eine DVD zu klauen, es aber geil finden, Star Trek schon zwei Wochen vor Kinostart aus dem Netz gesaugt zu haben. Das ist Egoismus, nichts anderes. Mit einer MiniDV Kamera in eine Sneak Preview zu gehen, den Film aufzunehmen und ihn ins Netz zu stellen, ist keine Anarchie sondern Vandalismus.
Es sind keine beruflichen Existenzängste, die mich so sauer machen, sondern die Tatsache, dass hier versucht wird, vollkommen eigennützigem Verhalten einen idealistischen Anstrich zu verpassen. Wer für freien Austausch von Gütern ist, der muss für den freien Austausch von allen Gütern sein, und nicht nur von denen, die sich digitalisieren lassen. Ansonsten sollte er zumindest die Eier haben, sich dazu zu bekennen, dass er zwar nicht mehr bei Saturn einkauft, den dortigen Werbeslogan aber verinnerlicht hat.
Ich wäre jedenfalls sofort bereit dazu, sämtliche Werke, die ich hoffentlich in der Zukunft noch irgendwie zustande bringe, sofort nach ihrer Fertigsstellung allen Menschen im Netz kostenlos zur Verfügung zu stellen. So lange die User der Filesharing-Plattformen mich dann auch umsonst mit Essen versorgen, mir die Haare schneiden und die Zähne richten, mich durch die Gegend chauffieren, mir die abgerissenen Knöpfe wieder annähen, die Fußreflexzonen massieren und meine Wohnung mit Heizung, Strom und Wasser versorgen.
Amokläufe an Schulen wird es jetzt keine mehr geben. Nicht etwa, weil scharfe Waffen aus dem Verkehr gezogen würden, nicht etwa, weil man darüber nachdächte, aus der Schule wieder etwas anderes zu machen als eine Selektionsmaschine für die 80 zu 20 Gesellschaft, sondern, weil die potentiellen Gefährder in Zukunft nicht länger auf den Paintball-Schlachtfeldern zu Killermaschinen werden.
Die Bundesregierung hat sich also nach der letzten Bluttat zu Konsequenzen durchgerungen, und die bestehen aus dem Verbot von Paintball.
(Okay, nebenbei denkt man noch über die biometrische Sicherung von Waffenschränken nach, aber “da ist die Technik noch nicht so weit…”)
Ich hatte lange überlegt, in Sachen Amoklauf von Winnenden lieber mein Maul zu halten. Ich wollte mich aus einer derart emotional aufgeladenen Thematik heraushalten, und meinen Ärger darüber herunterschlucken, dass der Politik auf der Suche nach Gründen (bzw. Schuldigen) nichts anders einfällt, als Actionfilme und Ego-Shooter verantwortlich zu machen. Nicht erst seit der Lektüre von “Kinder brauchen Monster” bin ich der Meinung, dass Gewalt in den Medien uns eher dabei hilft, mit Gewalt umzugehen, als dass sie Gewalt erzeugen würde. Mir kann keiner erzählen, dass ein Typ, der nach dem Konsum gewalttätiger Computerspiele mit einer geladenen Waffe in die Schule marschiert und dort Menschen abknallt um sich anschließend selbst umzubringen, geistig gesund geblieben wäre, hätte er stattdessen mal lieber Thomas Mann gelesen.
Weil es mir also so unendlich billig und verlogen und zu kurz gedacht erscheint, als Reaktion auf Amokläufe Computerspiele zu verbieten, wollte ich mich selbst zurückhalten, und auch keine Verschärfung des Waffengesetzes (und ich meine eine wirkliche Verschärfung, nicht so einen Witz) oder eine Verbesserung der Zustände an unseren Schulen als Lösungsvorschlag propagieren, weil auch das mir, ehrlich gesagt, viel zu einfach vorkommt, um die Lösung für so ein diffiziles Problem zu sein.
Ich wollte schweigen, weil ich mir nicht wirklich erklären kann, was in einem Menschen vorgehen muss, der zu so einem Amoklauf in der Lage ist (abgesehen vielleicht von der fiktiven Gestalt des Heumann im letzten Post), geschweige denn, was die Gesellschaft tun könnte, um Taten dieser Art zu verhindern.
Wenn ich jetzt aber höre, dass die vermutlich einzige bleibende Konsequenz, zu der unsere Politik sich durchringt, tatsächlich im Verbot eines ulkigen Spiels besteht, dann muss ich zumindest laut aufschreien darüber, wie die Demokratie wieder einmal ihre unschlagbare Wirkungskraft unter Beweis stellt. Sportschützen oder Jäger, die ihren “Sport” tatsächlich mit scharfen Waffen betreiben, haben eine zu große Lobby, um eine wirkliche Gesetzesverschärfung fürchten zu müssen. Ihre Warnungen vor “blindem Aktionismus” wurden erhört. Auch um die Ego-Shooter mache ich mir keine Sorgen: Etwas, womit viel Geld verdient werden kann, wird in unserem Land nicht von der Bildfläche verschwinden. Bleibt also die vergleichsweise kleine Gemeinde von Leuten, die Spaß daran haben, sich im Wald mit Farbkugeln zu beballern, die keine starke Lobby haben und auch keinen großen Absatzmarkt garantieren, als letzter Sündenbock für ein Phänomen, das seinen Ursprung genauso im Paintball hat, wie AIDS im Playboy-Magazin.
So wird Politik gemacht. Über grundsätzliche Fragen, wo so viel Frust herkommt, dass er sich in solchen Gewaltexzessen entladen muss, wird nicht nachgedacht. Das System bloß nicht in Frage stellen, und wenn man angesichts zorniger Elternverbände und geifernder Medien zum Handeln gezwungen wird, dann einfach dorthin schlagen, wo die wenigsten Wähler Aua schreien.
Und dann will man mir erzählen, wie leben im besten aller gesellschaftlichen Systeme.
Wenn ich Paintballspieler wäre, ich würde meine Ausrüstung anlegen und einen Amoklauf im Bundestag starten. Anschließend würde ich mir selbst grüne Farbe ins Gesicht schießen.
Heumann hatte Geburtstag, und er würde die Doors auflegen.
Weitere Gedanken hatte er sich über den Verlauf des Tages nicht gemacht, wurde ihm bewusst, als nach und nach die ersten Gäste erschienen. Er hatte im Garten seiner Eltern ein Partyzelt aufstellen lassen, es war mit einer reichhaltigen Kuchenplatte bestückt, später am Abend würde es Grillware geben, Musik natürlich und Tanz und reichlich zu trinken, aber er hatte sich nicht um eine nähere Auswahl der Musik gekümmert, es war ihm egal, früher oder später würde ein paar seiner Freunde, wie sie es immer taten, dieses Amt mehr oder weniger an sich reißen, ihren iPod mit der Anlage verbinden und das laufen lassen, was ihrer Meinung nach die beste Playlist für den Abend war. Heumann kümmerte das nicht, er war sogar zufrieden, dass ihm jemand diese Aufgabe abnahm, so lange er an einem bestimmten Punkt des Abends dazu kommen würde, die Doors aufzulegen. „The End“.
Die ersten Gäste waren die Paare mit Kindern. Für sie war es natürlich bequemer, am Nachmittag zu kommen. Heumann hatte vollstes Verständnis dafür. Die Kinder würden schreiend und tobend durch den Garten rennen, mindestens zwei davon würden in eine handfeste Auseinandersetzung geraten, die dazugehörigen Eltern würden, weil sie einander gut verstanden, nicht mehr unternehmen als einen halbherzigen Versuch, den Streit zu schlichten. Die Jüngsten würden in ihren Kinderwagen schlummern, aufwachen, ein hustendes, quäkendes Baby-Heulen von sich geben und von ihren Müttern in einer stillen Ecke des Hauses oder des Gartens, zum Beispiel hinten bei der alten Kinderschaukel, die Brust bekommen. Heumann ertappt sich dabei, wie er einer alten Schulfreundin, die soeben einen ikeagrünen Kinderwagen vor sich herschiebend das Grundstück betreten hat, eine Sekunde zu lange auf die voluminöse Brust starrt.
Heumann ist derzeit Single. Heumann lebt derzeit nicht in einer Beziehung. Heumann hat seine Wohnung derzeit für sich allein. Heumann wird derzeit per Hand betrieben. Heumann wird 30, und wenn er sieht, wie all seine Schulkameraden ihr Privatleben zur Kleinfamilie ausgebaut haben, spürt er einen Stachel. Dieser Stachel wird nicht verschwinden, wenn die Elternpaare nach dem Genuss mehrere Portionen Grillfleisch sehr schnell erklären werden, dass die Kleinen nun ins Bett müssten, und sie selbst seien es ja nun leider auch nicht mehr gewohnt, und nach 22 Uhr fallen ihnen gerne schon Mal die Augen zu. Heumann wird sich dann einreden, wie frei er doch ist, dass ihm die Augen noch nicht zufallen, dass er noch bis in die Puppen tanzen wird auf seinem Geburtstag, mit all seinen Freunden. Heumann fragt sich, ob er warten soll, bis all die Eltern mit ihren Kindern fort sind, ehe er die Doors auflegt.
This is the end…
Heumann macht sich nichts vor. Er weiß, dass auch die kinderlosen Gäste gegen Mitternacht verschwinden werden. Die meisten von ihnen haben feste Freundinnen, was er ihnen neidet, oder feste Freunde, die er beneidet, und die werden entweder mit dabei sein und langsam an der Seite ihres Lebensabschnittsgefährten müde und quengelig werden, nicht anders als die Kinder, oder sie werden zuhause warten und gesagt haben „wenn du vor ein Uhr heimkommst bin ich noch wach”, und seine Freunde werden diese Zeichen zu deuten gewusst haben, und weil das Grundstück ja doch ein wenig außerhalb liegt und der Weg nach Hause weit ist, werden die Meisten dem subtil genervten Blick ihrer Partner irgendwann nachgeben und „es dann Mal packen.” Übrig bleiben werden ein paar Hartgesottene, die Verwandtschaft, die sowieso hier übernachtet, und Andrea von der Arbeit, mit der Heumann nichts anfangen kann.
Es ist ein herrlicher Tag, die Sonne scheint, alle Gäste, die sich gerade erst kennengelernt oder einander schon lange nicht mehr gesehen haben, können Gesprächslücken mit der Feststellung füllen, dass man schon großes Glück habe mit dem Wetter. Die Eltern müssen ihre Kinder ermahnen, die Kuchenstücke nicht einfach in sich hinein zu schaufeln, sondern Obacht zu geben wegen der Wespen. Sie beschreiben ihren Sprösslingen den qualvollen Tod, den man erleidet, wenn einem eine Wespe von innen in den Hals gestochen hat. Der ikeagrüne Kinderwagen steht leer, und Heumann muss seinen Drang überwinden, Ausschau nach der Besitzerin zu halten. Im Geiste sieht er sie hinten im Garten auf der Kinderschaukel sitzen, den tiefen Ausschnitt des Sommerkleides so weit nach unten gezogen, dass sie ihre mächtige, runde Brust herauspressen kann, um den kleinen Vampir daran nuckeln zu lassen.
Das Zelt füllt sich mit Gästen. Es ist etwas zu heiß darin und die weißen Seitenwände des Zeltes riechen nach Plastikplane. Später am Abend wird es kühler werden und dann wird man froh sein über das Zelt. Heumann stellt einander die Gäste vor. Alte Schulkameraden, entfernte Verwandte, Urlaubsbekanntschaften, Arbeitskollegen, Freunde von Früher, ein paar Verflossene, und ein paar, die es nicht einmal zu Verflossenen gebracht haben (was nicht daran liegt, dass Heumann es nicht versucht hätte, oh nein), alle sind sie gekommen. Sogar sein alter Mathematiklehrer ist da. Und fast seine ganze Abiturklasse. Das Abitur jährt sich zum zehnten Mal in diesem Sommer, und da spart man sich die mühevolle Organisation eines Klassentreffens, wenn einfach alle zu Heumanns Geburtstag kommen. Die meisten von ihnen werden dieses Jahr ebenfalls 30 oder sind es schon geworden. Von nicht einmal einem Viertel hat Heumann eine Einladung bekommen. Ihn wundert das nicht. Die anderen haben vermutlich auch nicht so groß gefeiert, denkt er sich.
Ein Windhauch fegt durch das Zelt und lässt einen Spätsommergeruch hindurchwehen, der eigentlich nicht hierher gehört. Erst sehr viel später an diesem ereignisreichen Abend wird Heumann auffallen, dass es nach gemähtem Gras gerochen hat, das zum Trocknen auf den Feldern liegt, nach dem Staub abgeernteter Getreidefelder und dem gesunden Schweiß eines harten Arbeitstages der in den roten Strahlen eines brennenden Sonnenuntergangs trocknet. Dabei ist es gerade erst Juni. Heumann blickt unwillkürlich auf und sieht einen Cowboy im Eingang des Zeltes stehen. Der hereinwehende Staub reduziert seine Gestalt auf eine graue Silhouette im Gegenlicht. Heumann sieht den breitkrempigen Hut, den Umriss des langen Staubmantels, möglicherweise sogar die schweren Revolver an den Hüften des Mannes und wundert sich nicht einmal. Eine Schulfreundin mit Glutamatunverträglichkeit und Lactoseallergie hat ihren eigenen Kuchen mitgebracht, und fragt Heumann, ob er ein Stück probieren möchte. Bis Heumann Nein gesagt hat, ist der Revolvermann aus seinem Bewusstsein verschwunden. Weiterlesen…
Teil 1 von 6 (Rest direkt unter “Ähnliche Videos”, Verzeihung für meine Faulheit)
Hitchens ist imo noch ein gutes Stück radikaler was Anti-Religiösität angeht als Dawkins, auch moderaten Religiösen gegenüber, einer der vielen Standpunkte, die ich mit ihm nicht teile. Nichtdestotrotz ein hoch intelligenter Mann mit komplexen Meinungen, der die faszinierende Eigenschaft hat, dass es ungeheuer Spaß macht ihm zuzuhören oder ihn zu lesen, auch wenn man nicht mit ihm übereinstimmt.