Was nix kost, is nix wert


Sims Alabim; 2009-05-14

Irgendwie  bin ich in einer schizophrenen Situation: einerseits möchte ich selbst mit der Schaffung von Kulturgut (Filmen, Büchern oder Comics) mein Geld verdienen, andererseits beteilige ich mich mit diesem Blog hier aktiv an einer Entwicklung, die die Aussicht auf ein solides Einkommen in dieser Branche immer zweifelhafter macht. Einerseits bin ich der Meinung, dass in einer idealen Gesellschaft allen Menschen alle Kulturgüter kostenlos zur Verfügung stehen sollten – andererseits sehe ich moralisch keinen Unterschied, ob man einen Film im Netz herunterlädt oder die DVD im Saturn unter der Jacke an der Kasse vorbeischmuggelt. Einerseits liebe ich das Internet für sein großes anarchistisches Potential, andererseits kann ich mich einfach nicht dagegen wehren, dass das Selbstverständnis, dass die Betreiber von Pirate Bay an den Tag legen, mich zum Kotzen bringt. Ich muss es einfach sagen: Ein breites Portal für das Herunterladen von Musik, Filmen und Computerprogrammen anzubieten, hat nichts mit dem Kampf für die Freiheit von Kunst und Kultur zu tun, sondern ist organisiertes Verbrechen. Nicht nur, weil es einzelnen Menschen die Möglichkeiten an die Hand gibt, eine Straftat zu begehen, sondern vor allem, weil es eine Haltung zementiert, die der Kunst weit mehr Schaden als Nutzen bringt: Während sich in allen Bereichen des Lebens die Menschen damit auseinandersetzen müssen, dass man für jeden Furz zu bezahlen hat, betrachtet man kulturelle Gegenstände als Inhalte eines freien Selbstbedienungsladens und ignoriert vollkommen, dass es auch Menschen gibt, die davon leben müssen.

Ich, dem die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens noch längst nicht radikal genug ist, bin der erste, der bereit dazu ist, gegen Kapitalismus und Monopolismus zu Felde zu ziehen. Der erste, der bereit ist, sich hinzustellen, und zu sagen: Das Recht eines Menschen, an sämtlichen Erzeugnissen der Zivilisation teilzuhaben, sollte völlig unabhängig sein von der Arbeit, die dieser Mensch innerhalb dieser Zivilisation ausführt. Ich glaube tatsächlich daran, dass das Grundprinzip von Internetportalen wie Wikipedia, in der richtigen Weise weitergedacht, der einzige Ausweg aus der Misere ist, in die die Finanzwelt uns hineingeritten hat.

Im Internet besteht, zumindest theoretisch, die Möglichkeit, eine Art freie und unkapitalistische Gesellschaft zu erschaffen. Wikipedia beispielsweise befreit uns von der Monopol- und Autoritätsstellung  des Großen Brockhaus, und ermöglicht ein “Wissens-Sharing”, zu dem jeder Mensch seinen Teil beitragen, und (noch wichtiger) auch davon profitieren kann, ohne zunächst selbst einen Beitrag ableisten zu müssen. Die administrativen Kräfte sind wahrhaftig auf ihre administrativen Funktionen reduziert, es gibt (zumindest, wenn man Wikipedia als geschlossenes System betrachtet) keinerlei Priviliegien und Exklusivitäten, die zu Machtmissbrauch anregen. Entstanden ist dabei eine für jedermann zugängliche Wissensquelle, die meiner Erfahrung nach erheblich zuverlässiger ist, als etwa DER SPIEGEL. Da mögen Startschwierigkeiten und Kinderkrankheiten drin stecken, aber das Prinzip des offenenen Forums funktioniert im Netz doch einigermaßen gut. Wer einen Blog betreibt, kann seine Meinung unzensiert, unredigiert, unangepasst und unverfälscht an alle weitertragen, die bereit sind, sich darauf einzulassen. Das System legt mir als Schreiber keinen Maulkorb an und zwingt Euch als Leser keinen Einheitsbrei auf: Wem meine Meinung nicht behagt, kann mit ein paar Klicks die genau entgegengesetzte finden – und er muss nichts dafür bezahlen.

Ich verdiene allerdings auch nichts dabei. Muss ich ja auch nicht. Ich mache das ja freiwillig. Mir geht es ja um die Sache. Oder um den Spaß. Und so lange ich die Freizeit habe, in der ich mir das leisten kann, profitiert jeder von der Situation. Der Ärger fängt an dem Tag an, an dem ich mit meiner Schreibe Geld verdienen muss. Und dann feststelle, dass es zwar für mein Ego ungeheuer toll ist, wenn die Leute meine Sachen gut finden, ich mir aber im wahrsten Sinne des Wortes davon nichts kaufen kann. Weil meine Leser sich daran gewöhnt haben, für meinen Blog nichts zu bezahlen, meine Bücher kostenlos auf ihr E-Book zu laden, meine Lieder von Freunden auf dem USB-Stick rüber zu ziehen, meine Filme auf YouTube zu sehen oder sich bei Pirate Bay runterzuladen, und meine Comics gleich mit. Vorausgesetzt natürlich, diese Filme werden überhaupt gedreht, weil die Absatzzahlen von Kinokarten und DVD-Verkäufen so rapide gesunken sind, dass die Industrie das zur Herstellung eines Films leider in absurder Höhe nötige Geld lieber in eine neue Klamotte von Mario Barth steckt, als in die Gehversuche eines Jungregisseurs. Die wenigen, die dumm genug sind, einen Diebstahl auch dann für einen Diebstahl zu halten, wenn das Diebesgut nur aus Daten besteht, und sich tapfer meine DVDs kaufen, werden dafür mit nicht wegschaltbaren, prätentiösen Spots genervt, die ihnen jenes schlechte Gewissen einzureden versuchen, das diejenigen, die eigentlich gemeint sind, schon lange nicht mehr haben.

Dass das Internet uns mit der Idee vertraut macht, dass alles darin kostenlos zu haben ist, hat leider zu einer erheblichen Schieflage geführt, was die schlichte Akzeptanz der Tatsache angeht, dass diejenigen, die den Content liefern, dafür auch gearbeitet haben. Ein gesellschaftlich relevanter Ansatz muss mit Geben und Nehmen zu tun haben, doch das Nehmen scheint sich im Netz erheblich schneller durchzusetzen, als das Geben. Man findet nichts dabei, Musikbibliotheken auf iTunes zu haben, deren Komplettspielzeit länger ist als die eigene Lebenserwartung, und für die man keinen Schnatz bezahlt hat, weil “Stars wie Micheal Jackson eh so reich sind, die merken das doch gar nicht.” Nein, die Micheals dieser Welt, ob sie nun Jackson oder Bay mit Nachnamen heißen, merken das tatsächlich nicht. Aber ich und 90 Prozent meiner Freunde, die mit mir das Studium an einer Filmhochschule begonnen haben, die werden das merken. Weil sie nämlich ihr Geld als Schnittassistenten bei Bauer sucht Schwein verdienen müssen! Weil die wenigen, die noch das Glück haben werden, einen Film finanziert zu bekommen, sich für einen Ausschnitt aus einem Beatles-Song, egal welche künstlerische Wirkung sie damit erzielen könnten,  dumm und dämlich bezahlen müssten, während sich jeder Depp den Song im Netzt für Umme runterlädt. Denn die Copyright-Inhaber wuchern natürlich dort, wo sie es noch können: Bei anderen Künstlern, die ein Stück nicht auf ihren mp3-Player laden, sondern als Baustein für ein weiteres Werk verwenden und damit letztlich den Kulturschatz bereichern möchten.

Natürlich, so lange ich die Zeit habe, unbezahlt seitenlang über diese Misere zu jammern, hat mich diese Misere eigentlich ja noch nicht so fest im Griff, dass ich zu Jammern wirklich Grund hätte. Natürlich ist Videopiraterie nur einer von unendlich vielen Gründen, die einem das Leben als Filmemacher schwer machen. Natürlich wird der Schaden, den sie anrichtet, hochgespielt und überbewertet. Natürlich, auch ich habe früher Filme im Fernsehen auf VHS aufgenommen, mir CDs von Freunden auf Kassette überspielt, natürlich sind auch auf meiner Festplatte Musikordner, die ich mir von Freunden rübergezogen habe. Und natürlich ist einem Künstler, der seine Berufung erst nimmt, die Tatsache, dass viele Leute seine Botschaft vernehmen wichtiger, als die Tatsache, dass viele Leute für seine Botschaft bezahlt haben.

Das ändert aber nichts daran, dass 99 Prozent der User von Pirate Bay keine Idealisten sind, die an einer neuen, freien Gesellschaft bauen, sondern Schwaben im Geiste, die einfach keinen Bock haben, für etwas zu bezahlen, was man auch umsonst bekommen kann. Leute, die weder die Traute noch den Ansporn, noch die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber hätten, jeden Tag auf dem Heimweg im Müller Markt eine DVD zu klauen, es aber geil finden, Star Trek schon zwei Wochen vor Kinostart aus dem Netz gesaugt zu haben. Das ist Egoismus, nichts anderes. Mit einer MiniDV Kamera in eine Sneak Preview zu gehen, den Film aufzunehmen und ihn ins Netz zu stellen, ist keine Anarchie sondern Vandalismus.

Es sind keine beruflichen Existenzängste, die mich so sauer machen, sondern die Tatsache, dass hier versucht wird, vollkommen eigennützigem Verhalten einen idealistischen Anstrich zu verpassen. Wer für freien Austausch von Gütern ist, der muss für den freien Austausch von allen Gütern sein, und nicht nur von denen, die sich digitalisieren lassen. Ansonsten sollte er zumindest die Eier haben, sich dazu zu bekennen, dass er zwar nicht mehr bei Saturn einkauft, den dortigen Werbeslogan aber verinnerlicht hat.

Ich wäre jedenfalls sofort bereit dazu, sämtliche Werke, die ich hoffentlich in der Zukunft noch irgendwie zustande bringe, sofort nach ihrer Fertigsstellung allen Menschen im Netz kostenlos zur Verfügung zu stellen. So lange die User der Filesharing-Plattformen mich dann auch umsonst mit Essen versorgen, mir die Haare schneiden und die Zähne richten, mich durch die Gegend chauffieren, mir die abgerissenen Knöpfe wieder annähen, die Fußreflexzonen massieren und meine Wohnung mit Heizung, Strom und Wasser versorgen.