Nachtrag China Buchmesse


Malibu Aircraft; 2009-10-24

Vor einiger Zeit habe ich hier in einem Anfall akuten Mitteilungsbedürfnisses meine Mail an Jürgen Boos, den Direktor der Frankfurter Buchmesse, gebloggt. Es ging um die Art wie mutige Menschenrechtler aus China kurzfristig, aufgrund von chinesischem Verlangem, von einem Vorab-Symposium zur Frankfurter Buchmesse ausgeladen wurden. Wegen öffentlichem Protest wurden sie dann wieder eingeladen. Die chinesische Delegation wurde darüber nicht informiert, worauf diese während der Ansprache der Menschenrechtler den Saal verlies. In der ersten Stellungsnahme von Boos klang es, als täten ihm die Delegierten mehr leid als Dai Qing und Bei Ling, was mich damals aufregte. Doch kurz darauf veröffenlichte Boos im Internet eine weitere Stellungsnahme in der er unter anderem schrieb:

Das offizielle China sagte uns in der Person des ehemaligen Botschafters Mei Zhaorong auf dem Symposium: “Wir sind nicht gekommen, um uns über Demokratie belehren zu lassen.” Demokratie und Meinungsfreiheit haben immer mit Reibung zu tun und der Eklat am Wochenende war nur der Anfang einer demokratischen Auseinandersetzung, die auf den Ehrengast China zukommt. Die Frankfurter Buchmesse bietet zwar keine Belehrung in Demokratie, aber sie ist gelebte Demokratie. Das sind die Spielregeln der Frankfurter Buchmesse.

Der Kompromiss unseres Projektleiters, mit den Autoren Dai Qing und Bei Ling zu sprechen und ihnen eine Alternative zum öffentlichen Auftritt auf dem Symposium nahe zu legen, war falsch. Dafür habe ich mich bei den Autoren und der Öffentlichkeit entschuldigt. Kompromisse zu Lasten der Meinungsfreiheit gibt es mit der Frankfurter Buchmesse nicht.

Auch ich bekam am 23.9. eine Antwort eines Stellvertreters von Boos, in der es unter anderem hieß:

Ich kann gut nachvollziehen, dass die Medienberichterstattung im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse für Kritik und Fragen gesorgt hat.

[…]

Die Frankfurter Buchmesse bietet ein Podium für die gesamte Vielfalt und Bandbreite aller Stimmen zu dem diesjährigen Ehrengast China. Während der Buchmesse werden sich rund 500 Veranstaltungen mit China und seiner Literatur beschäftigen. In etwa zu gleichen Teilen werden sowohl Vertreter der Volksrepublik China als auch Regimekritiker und in China und anderen Ländern lebende Minderheiten teilnehmen. […]

Seien Sie versichert: Die Frankfurter Buchmesse ist und bleibt ein Ort des freien Wortes und des freien Gedanken- und Meinungsaustausches. Sie ist dabei noch nie den Weg des geringsten Widerstandes gegangen und wird es auch in diesem Jahr nicht tun.[…]

All das hört sich gut und einigermaßen einsichtig an. Und ohne Frage ist es nicht einfach, so ein Event zu veranstalten, schon gar nicht wenn man sich “Dialog” auf die Fahne geschrieben hat.

Letzten Sonntag wurden nun Bei Ling und Dai Qing wieder kurzfristig von einer Abschlussveranstaltung ausgeladen. “Laut Dai Qing habe Ripken [der China-Projektleiter] ihr eine Viertelstunde vor Beginn der Veranstaltung gesagt, das Auswärtige Amt als Mitveranstalter des Empfangs wünsche ihren Auftritt nicht.” (Focus online) Der Projektleiter wurde inzwischen gefeuert.

Die ganze Farce lässt einen fragen, was mit “Dialog” eigentlich gemeint ist. In wie weit kann man mit Repräsentanten einer Diktatur in Dialog treten, die nicht nur im eigenen Land für Ungerechtigkeit und Grausamkeit sorgt, sondern auch blind andere Horror-Regimes, wie Iran, Sudan oder Nordkorea, mit Waffen versorgt,  und gleichzeitig regelmäßig verhindert, dass die UN bei Verbrechen dieser Länder einschreitet.

Auf der anderen Seite gibt es die, welche sich so wahnsinnig gerecht vorkommen, indem sie von China am liebsten überhaupt nichts hören wollen. Nicht mit ihnen verhandeln, nichts hören wollen von der faszinierenden Kultur oder Geschichte dieses Landes und am besten nicht nur nicht mit China-Offiziellen, sondern mit überhaupt keinem Chinesen reden. Und wenn man mal mit einem redet, dann drückt man ihm am besten gleich den Finger auf die Brust: “Na, warum macht ihr denn da drüben nichts gegen eure miese Regierung? Macht doch mal Aufstand!” Genau die gleichen Leute, die sich dort wahrscheinlich ausschließlich auf ihre Karriere konzentrieren würden.

Aber warum auch nicht, wenn einem bei, wohlgemerkt offenem, Protest ein völlig ungewisses Schicksal droht? Ich weiß auch nicht, was ich machen würde. Wahrscheinlich würde ich mich gar nichts trauen. Aber gerade deshalb muss man Menschen wie Bei Ling und Dai Qing verdammt nochmal auf Händen tragen, wenn sie hierher kommen. Und sie nicht mit genau dem Gefühl gehen lassen, mit dem sie jetzt wahrscheinlich gegangen sind.

Jugendschutz oder Zensur?


Cabuflé; 2009-10-23

In einem zweiteiligen Artikel auf Telepolis hat Hans Schmid sich recht ausführlich und angemessen polemisch mit der fragwürdigen Praxis der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien auseinandergesetzt. Unbedingt lesenswert.

Teil 1: Kasperltheater, Folterpornos und Zensoren – Die Nouvelle Vague des Horrorfilms in den Krallen deutscher Jugendschützer

(…) An den Indizierungsentscheidungen fällt mir die Sicherheit des Urteils auf. Diskussionsbedarf bestand offenbar nur hinsichtlich der Frage, ob ein Film in Liste A oder Liste B eingetragen werden soll und ob Frontière(s) zum Rassenhass anreizen und das NS-Regime verherrlichen könnte, weil das sabbernde Familienoberhaupt der Kannibalen früher bei der SS war (eher nicht, befand das Gremium). Mir ist diese Meinungsstärke leider nicht gegeben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die genannten Filme gut oder schlecht finde und ob ich sie empfehlen würde, wenn ich das dürfte. Bei mir ist die Meinungsbildung ein Prozess. Als Jugendschützer wäre ich ein Versager, denn von vornherein weiß ich so gut wie gar nichts (beim 3er-Gremium ist das ganz anders). (…)

Teil 2: Böse Filme zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz – Wie eine Bundesoberbehörde die Vorgaben des höchsten deutschen Gerichts befolgt

(…) Die BPjM ist doch noch fündig geworden. Nicht bei der Wissenschaft oder im Feuilleton von Zeitungen und Zeitschriften, sondern im Kommentarteil von Internet-Versandhändlern. Eine seiner 12 Textseiten zu A l’intèrieur füllt das 3er-Gremium mit den “Filmrezensionen” von “blade41”, “Mr. Vincent Vega” und “McHolsten”. Mit Verlaub: Das ist Realsatire. Solche Kommentare von Internet-Usern sind völlig legitime Meinungsäußerungen, aber Filmrezensionen sind es in aller Regel nicht. Ich will überhaupt nicht ausschließen, dass Mr. Vincent Vega & Co. eine solche Rezension schreiben könnten (dazu gehört, dass man nicht nur eine Meinung hat, sondern diese auch begründet), aber sie haben es nicht getan, weil es nicht verlangt war. Wenn die BPjM so tut, als erfasse sie “Echo und Wertschätzung in Kritik und Wissenschaft”, indem sie ein paar Sätze von McHolsten zitiert, ist das eine Travestie. (…)

so ist das nun mal


Cabuflé; 2009-10-11

Meine sehr verehrten Damen und Herren: Ich bin betrunken. In diesem Sinne möchte ich Ihnen gerne mitteilen:

Wer für die Mehrheit seiner Mitmenschen etwas anderes als Verachtung übrig hat, kann niemals wahrer Künstler sein.

Das mag jetzt zunächst klingen wie das, was ein besoffener Regisseur auf einer Berliner Szeneparty sagt, um Frauen zu beeindrucken, aber ich kann das begründen. Ich muss an den JuSo denken, der damals, als wir mit Brigitte Wimmer in Berlin waren – auf Staatskosten, versteht sich: “Politik- und Infofahrt” – fragte: “Georg, wie stehst du eigentlich zu der gelben Abkürzung?”

Er wollte wissen, ob ich es moralisch in Ordnung fände, vom Club ins Hotel ein Taxi zu nehmen. Natürlich ist das eine politische Frage, wie so manches, aber eben gerade nicht so, wie der Typ, der seine Jugend an Gerhard Schröder verschwendet hat, mit seinem Gratisgewissen meinte.

Die Sache gestaltet sich folgendermaßen: Kunst – gute Kunst, und die Diskussion darüber, was das eigentlich bedeute und wer das definiert, führen wir ein anderes mal – entsteht aus Leidenschaft. Sich mit eben jener Leidenschaft der Herstellung eines Dinges zu widmen, das in letzter Konsequenz neben hoffentlich vorhandenen ästhetisch-formellen Qualitäten nichts weiter bedeutet als ein Abbild der eigenen Persönlichkeit, der eigenen Haltung zu einem Sachverhalt, kann nur leisten, wer in grenzenloser Selbstüberschätzung ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass, was auch immer er zu sagen haben, was er aus der Sache machen mag, wichtiger und bemerkenswerter ist, als was andere daraus machen würden. Sonst wird es beliebig und damit überflüssig.

Dass ein Jeder, der ein wertvolles Kunstwerk erschafft, sich damit zugleich notwendig als Humanist outet, ist einer jener Widersprüche der Post-Postmoderne, die ich hier wertfrei zur Kenntnis nehmen will.

Und so lassen Sie mich schließen mit jenen Worten, die ich vorhin in einem entkernten Friseursalon im Reuterkiez über laute Elektromusik brüllte, um eine Frau zu beeindrucken:

Das Ziel aller Kunst muss dafür sein. Das Ergebnis dagegen!

Al Qaida Partnerbörse


Cabuflé; 2009-09-21

Buddhisten und Sozialpädagogen haben es schon immer geahnt: In Wirklichkeit suchen diese bösen Männer, die uns alle in die Luft sprengen wollen, nur ein bisschen Liebe und Zuneigung…

Al Qaida Partnerbörse

Neuromarketing und so


Cabuflé; 2009-09-19

In einem neulich von Malibu Aircraft verlinkten CBS-Beitrag über den aktuellen Stand der Neurobiologie tauchte auch der Begriff “Neuromarketing” auf. Mit diesem Thema beschäftigte sich unlängst eine Folge der Sendung SWR2-Aula:

Kauf mit dem limbischen System
Was ist Neuromarketing? Von Christian E. Elger. SWR2 Aula vom 30.08.2009.

Meine halbgebildete Meinung dazu:

Der Beitrag ist – gerade als Ergänzung zu M.A.s Post und unserer Diskussion darüber – auf jeden Fall interessant, deshalb der Link. Abgesehen davon ist mir Proffessor Elger (oder zumindest sein Vortrag) zunächst mal zutiefst unsympathisch, weil das, worüber er hier spricht, eines von vielen Beispielen ist, wie Forschungsarbeit auf eine Weise genutzt wird, die der Gesellschaft nicht nützt oder womöglich gar schadet.

Desweiteren zeigt dieser Vortrag meiner bescheidenen Meinung nach letztlich weniger das Potenzial der Neurobiologie auf als ihre immer noch sehr engen Grenzen: Dass monotone wiederkehrende Reize auf lange Sicht weniger intensiv wahrgenommen werden als einzelne unerwartete, dass mit einer emotionalen Komponente verknüpfte Informationen besonders leicht aufgenommen werden, dass beim kaufgeilen Mob – ergo bei uns allen – der Verstand aussetzt, sobald das Wort “Rabatt” fällt, sind sämtlich Phänomene, die Psychologen, Verhaltensforscher, Soziologen so oder ähnlich schon seit Jahren kennen. Dass auch ein Hirnscan das alles nochmals empirisch bestätigen kann, ist sicher interessant, aber doch vor allem als ein Forschungserfolg für die Neurobiologen. Für den Rest der Welt erstmal kein Grund, vom Hocker zu fallen.

Auch Elgers Bewertung des einzigen Beispiels, in dem die neurobiologischen Ergebnisse signifikant von der klassischen Wahrnehmung abweichen (die Kampagne “einer Kosmetikfirma”, ganz offensichtlich Doves “Initiative für wahre Schönheit“), überzeugt mich aus zwei Gründen nicht:

Einmal liefern die Hirnscans notwendigerweise nur Informationen über die unmittelbare kurzfristige Reaktion beim Betrachten des Werbematerials, während so bedeutende Fragen wie die soziale Reichweite der Kampagne und die langfristige Imagebildung des Unternehmens außen vor bleiben. Ich kann mich beispielsweise erinnern, dass dies einer der ganz wenigen Fälle war, in denen ich ein offensichtlich als Werbespot konzipiertes Video von Freunden viral weitergeleitet bekam. Darüber hinaus erklärt Elger die – ohne Frage interessanten – empirischen Ergebnisse leichtfertig mit trivialen evolutionspsychologischen Formeln, die sicher nicht unplausibel sind, aber eben doch spekulativ bleiben und beispielsweise die soziale und biographische Prägung – die nachweislich bedeutend für die Bildung neuroligischer Verknüpfungen sind – völlig ignorieren.

Das wirklich beängstigende an der ganzen Sache für mich selbst: ich kriege gerade mal wieder das Gefühl, dass ich ein unglaublich guter P.R.ler wäre. Ich sollte mir ernsthaft Gedanken über den Marktwert meiner Seele machen…

Éclaire über Lobo


Cabuflé; 2009-09-05

Ich habe gerade versucht, meinem guten Freund Briand Éclaire (in seiner Zweitidentität Cecil B., Frontman der großartigen Indiepopper The Patricks), der mit der digitalen Bohème nicht so richtig viel am Hut hat, zu erklären, wer Sascha Lobo ist. Letztlich habe ich exemplarischerweise einfach seinen Auftritt auf 3sat laufen lassen, in welchem der verhinderte Kampfhahn unter anderem die himmelhoch inkompetente Feuilletonlüge wiederkäut, die Piratenpartei sei “aus der Pirate Bay hervorgegangen”.

Mit der ihm eigenen Präzision kommentierte Herr Éclaire:

Sind wir hier bei der Augsburger Puppenkiste, oder was?

Die übrigen, nicht minder zutreffenden Äußerungen des Kollegen zitiere ich hier vorsichtshalber nicht, da ich nicht ausschließen kann, dass auch ein Lobo über schlagkräftige Anwälte verfügt, die im Zweifelsfalle zur Verteidigung einer wo auch immer verorteten “Würde” Gewehr bei Fuß stünden.

Danke, Briand!

Kurze Buchempfehlung


Malibu Aircraft; 2009-08-24

Das neue Buch von einem der bekanntesten autistischen Savants Daniel Tammet “Embracing the Wide Sky” oder auf deutsch “Wolkenspringer” ist eine exzellente Lektüre, die ich mal eben bedingungslos empfehlen möchte. Tammet hält (laut Wikipedia) den europäischen Rekord im Aufsagen von  Nachkommastellen von Pi und lernte für eine Dokumentation innerhalb einer Woche Isländisch. Deine Röhre (so sorry) enthält zahlreiche Videos über ihn.

Er beleuchtet hier auf kritische Art einen weit gefächerten Themenkreis vom Wesen von Intelligenz und Logik über den Ursprung der Sprache zur Kreativität und futuristischer Gehirnforschung. Er verbindet dabei seine eigenen Erfahrung mit einem ganzen Haufen von, vor allem neuropsychologischen, Studien. Gleichzeitig ist das Buch aber außerordentlich angenehm zu lesen und mehr eine poetische Reise in den menschlichen Geist als irgendwas sonst. Tammet behandelt natürlich keins der Themen auch nur ansatzweise erschöpfend, sondern zeigt neue Anstöße und Sichtweisen auf.

Sollte vielleicht noch anmerken, dass ich Tammets anderes Buch noch nicht gelesen habe, kann deswegen also nicht sagen, wie es im Vergleich dazu ist.

Es ist spät…


Cabuflé; 2009-06-20

090618b1Grafik: Mediengestalter [via]

Ich habe gerade eine Stunde lang versucht, mir endlich auch eine fein ziselierte Polemik zu der Farce um das vorgestern verabschiedete Gesetz zur Schaffung von Internetsperren aus den Rippen zu leiern. Drauf geschissen. Spreeblick hat die Eckdaten und lesenswerte Links, der Freischwimmer [via] die vollständige namentliche Liste jener wahlweise ignoranten, opportunistischen oder paranoiden Politclowns, die alle zusammen nicht so viel essen können, wie ich kotzen möchte.

Im Übrigen sei auf die Möglichkeit hingewiesen, dem Bundespräsidenten, ohne dessen noch ausstehende Unterschrift das Gesetz bekanntlich nicht in Kraft treten kann, einen Gruß im Gästebuch zu hinterlassen und jenen, denen immer noch nicht klar ist, worum es hier eigentlich geht, Oliver Jungens Artikel in der FAZ [via] ans Herz gelegt.

Offener Brief an meine lieben Kollegen


Cabuflé; 2009-06-13
Post von Cabufle

Liebe deutsche Kulturfuzzis und Kassenköppe!

Sagt mal: Nen Clown gefrühstückt? Die Pillen nicht genommen? Saure Latte im Macchiato? Zu viel killergespielt? Nein? Aber sonst geht’s noch gut, ja?

Der freundliche Offsprecher der Kulturzeit rät euch aus aktuellem Anlass:

Vielleicht sollte sich die Kultur also ein Beispiel nehmen an Opel und Co. und ganz selbstverständlich Rechte in der Politik einfordern, statt im vorauseilenden Gehorsam zu fürchten, dass die Etats schrumpfen.

Als ob nicht im Gegenteil die Warenwirtschaft diese schlechte Angewohnheit – ähnlich wie das Ausbeuten ewiger Praktikanten – vielmehr von euch abgeschaut haben könnte.

Als ob nicht seit Jahrzehnten ein ewiges Jammern gleich Muezzinsrufen aus den Elfenbeintürmen schallte, der Staat möge doch bitte, nein er müsse, sei moralisch verpflichtet, die Kultur zu fördern, ergo eure Mäuler zu stopfen, eure Leiber zu kleiden und eure freundlichen hellen Altbauwohnungen in ruhiger Lage zu heizen, weil ihr selbst euch dessen außer Stande seht.

Da unsere Volksvertreter nun so nebenbei ins Grundgesetz schrieben, sie würden dann in zwölf Jahren mal aufhören mit dem Schuldenmachen, setzt ihr noch einen drauf, und statt die Obrigkeit deswegen zu verhöhnen, wie es den Dichtern und Gauklern zu Gesicht stünde, tut ihr mit ernster Miene so als habe dieses Musterbeispiel an politischer Effekthascherei tatsächlich irgend etwas zu bedeuten und schreit mit der euch eigenen Versorgungsmentalität noch etwas lauter als sonst.

Im Gestus des satten Arschlochs westlich-mittelständischer Provenienz, dem der Strom aus der Steckdose kommt und das Essen vom Supermarkt meint ihr, der Staat solle um Himmels Willen weiter misswirtschaften, bevor ihr nur eine Probebühne schließen müsstet, nur ein Symposium weniger abhalten, oder jenen bürokratischen Wasserkopf trockenlegen, der ohnehin mehr als die Hälfte aller Gelder verschlingt, ehe sie bei den Künstlern ankommen.

Und einmal mehr sollt ihr euch deshalb von mir und Meinesgleichen fragen lassen:

Ist es euch jemals in den Sinn gekommen, dass der Konsum von Kulturgütern irgendeiner Art zwar ein Menschenrecht sein mag (und der HartzIV-Satz unter anderem deshalb menschenunwürdig ist, weil er Empfänger eben davon ausschließt), das Schaffen von Kulturgütern zum Broterwerb jedoch ein Luxus?

Dass Kunst, die zu anderem gut ist als nur den Pöbel zu belustigen (und den Pöbel Belustigen ist keine Schande – es ist ehrliche harte Arbeit, für die der Pöbel letztlich immer einen angemessenen Preis zu zahlen bereit sein wird), dem Künstler letztlich Lohn genug zu sein hat, ein Ding von Leidenschaft und Ehre und nicht ein Dienst, den man irgendjemandem – und zuallerletzt dem Staat – erweist?

Dass Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf also ein wünschenswerter Nebeneffekt solcher Kunst sein mögen, aber niemals deren eigentliches Ziel und noch weniger deren Bedingung?

Dass jeder Künstler, der sich von öffentlichen Geldern und somit letztlich dem Wohlwollen der Herrschenden abhängig macht, freiwillig sein edelstes Recht, namentlich die Freiheit von staatlicher Einflussnahme aufgibt?

Eure geistige Armut kotzt mich an. Ihr habt nichts begriffen.

Wer sich zu fein ist, im Zweifel entweder den Pöbel zu belustigen oder kellnern zu gehen, hätte mal lieber was Anständiges lernen sollen!

Herzlichst

Euer Cabuflé

Fliesentisch! Fliesentisch!


Cabuflé; 2009-06-04

Dirk vom Kompetenzcenter dokumentiert ebenda in einer beachtlichen Fleißarbeit die hohe Fliesentischdichte im zeitgenössischen Unterschichtenfernsehen.

Stefan Niggemeier schreibt in ähnlichem Zusammenhang:

Persönlich kenne ich exakt null Menschen, die einen Fliesentisch ihr eigen nennen (…) Aber das entspricht ja genau der Zahl der Menschen, die ich kenne, die schon mal bei „Mitten im Leben”, „Erwachsen auf Probe” oder in ähnlichen Sendungen mitgewirkt haben.

Ich wüsste da spontan jetzt auch niemanden. Aber ist das nicht schade? Hätte der Fliesentisch nicht besseres verdient, als die Wohnstuben junger Prekarier im Privatfernsehen zu zieren?

Es mag daran liegen, dass ich irgendwo in meinem Hinterkopf die nebulöse Erinnerung ausgrub an Cabuflés nicht mal zehnjährige Kinderfinger, die einst – wann und wo kann ich nicht sagen –  fasziniert die Fuge zwischen zwei Fliesen eines Fliesentisches erkundeten (populärpsychologische Sticheleien werden in den Kommentaren entgegen genommen).

Vielleicht wirkt die Verwendung von Fliesen als Möbeloberfläche im Zeitalter von Furnier und Pressspan auch einfach ehrlicher als ein beliebiger leidlich an Holzoptik gemahnender Kunststoff.

Wie auch immer – fest steht jedenfalls: Ich will einen Fliesentisch! Unbedingt! Ganz dringend! Jetzt sofort! Hat irgendjemand einen über oder kennt jemanden?

Stefan Niggemeier kann mir offenbar schon mal nicht weiterhelfen…

***

Und wo wir gerade dabei sind, möchte ich gerne noch auf Niggemeiers großartigen Artikel zu RTLs neuestem Unfug “Erwachsen auf Probe” hinweisen, der die heute übliche Entfremdung zwischen Medienmachern und ihren (potenziellen) Konsumenten exemplarisch illustriert:

Es war in der Diskussion faszinierend zu sehen, wie die Kinderschützer mit großer Naivität glaubten, dass eine Sendung, die RTL eine „Dokumentation” nennt, das tatsächliche Geschehen dokumentiert. Und wie die Fernsehleute mit ebenso großer Betriebsblindheit nicht glauben konnten, dass jemand annehmen könnte, dass das, was RTL in so einer Show zeigt, eine größtmögliche Annäherung an die Wirklichkeit wäre — und nicht vor allem den üblichen Inszenierungs-Regeln folgen würde.