Vor einiger Zeit habe ich hier in einem Anfall akuten Mitteilungsbedürfnisses meine Mail an Jürgen Boos, den Direktor der Frankfurter Buchmesse, gebloggt. Es ging um die Art wie mutige Menschenrechtler aus China kurzfristig, aufgrund von chinesischem Verlangem, von einem Vorab-Symposium zur Frankfurter Buchmesse ausgeladen wurden. Wegen öffentlichem Protest wurden sie dann wieder eingeladen. Die chinesische Delegation wurde darüber nicht informiert, worauf diese während der Ansprache der Menschenrechtler den Saal verlies. In der ersten Stellungsnahme von Boos klang es, als täten ihm die Delegierten mehr leid als Dai Qing und Bei Ling, was mich damals aufregte. Doch kurz darauf veröffenlichte Boos im Internet eine weitere Stellungsnahme in der er unter anderem schrieb:
Das offizielle China sagte uns in der Person des ehemaligen Botschafters Mei Zhaorong auf dem Symposium: “Wir sind nicht gekommen, um uns über Demokratie belehren zu lassen.” Demokratie und Meinungsfreiheit haben immer mit Reibung zu tun und der Eklat am Wochenende war nur der Anfang einer demokratischen Auseinandersetzung, die auf den Ehrengast China zukommt. Die Frankfurter Buchmesse bietet zwar keine Belehrung in Demokratie, aber sie ist gelebte Demokratie. Das sind die Spielregeln der Frankfurter Buchmesse.
Der Kompromiss unseres Projektleiters, mit den Autoren Dai Qing und Bei Ling zu sprechen und ihnen eine Alternative zum öffentlichen Auftritt auf dem Symposium nahe zu legen, war falsch. Dafür habe ich mich bei den Autoren und der Öffentlichkeit entschuldigt. Kompromisse zu Lasten der Meinungsfreiheit gibt es mit der Frankfurter Buchmesse nicht.
Auch ich bekam am 23.9. eine Antwort eines Stellvertreters von Boos, in der es unter anderem hieß:
Ich kann gut nachvollziehen, dass die Medienberichterstattung im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse für Kritik und Fragen gesorgt hat.
[…]
Die Frankfurter Buchmesse bietet ein Podium für die gesamte Vielfalt und Bandbreite aller Stimmen zu dem diesjährigen Ehrengast China. Während der Buchmesse werden sich rund 500 Veranstaltungen mit China und seiner Literatur beschäftigen. In etwa zu gleichen Teilen werden sowohl Vertreter der Volksrepublik China als auch Regimekritiker und in China und anderen Ländern lebende Minderheiten teilnehmen. […]
Seien Sie versichert: Die Frankfurter Buchmesse ist und bleibt ein Ort des freien Wortes und des freien Gedanken- und Meinungsaustausches. Sie ist dabei noch nie den Weg des geringsten Widerstandes gegangen und wird es auch in diesem Jahr nicht tun.[…]
All das hört sich gut und einigermaßen einsichtig an. Und ohne Frage ist es nicht einfach, so ein Event zu veranstalten, schon gar nicht wenn man sich “Dialog” auf die Fahne geschrieben hat.
Letzten Sonntag wurden nun Bei Ling und Dai Qing wieder kurzfristig von einer Abschlussveranstaltung ausgeladen. “Laut Dai Qing habe Ripken [der China-Projektleiter] ihr eine Viertelstunde vor Beginn der Veranstaltung gesagt, das Auswärtige Amt als Mitveranstalter des Empfangs wünsche ihren Auftritt nicht.” (Focus online) Der Projektleiter wurde inzwischen gefeuert.
Die ganze Farce lässt einen fragen, was mit “Dialog” eigentlich gemeint ist. In wie weit kann man mit Repräsentanten einer Diktatur in Dialog treten, die nicht nur im eigenen Land für Ungerechtigkeit und Grausamkeit sorgt, sondern auch blind andere Horror-Regimes, wie Iran, Sudan oder Nordkorea, mit Waffen versorgt, und gleichzeitig regelmäßig verhindert, dass die UN bei Verbrechen dieser Länder einschreitet.
Auf der anderen Seite gibt es die, welche sich so wahnsinnig gerecht vorkommen, indem sie von China am liebsten überhaupt nichts hören wollen. Nicht mit ihnen verhandeln, nichts hören wollen von der faszinierenden Kultur oder Geschichte dieses Landes und am besten nicht nur nicht mit China-Offiziellen, sondern mit überhaupt keinem Chinesen reden. Und wenn man mal mit einem redet, dann drückt man ihm am besten gleich den Finger auf die Brust: “Na, warum macht ihr denn da drüben nichts gegen eure miese Regierung? Macht doch mal Aufstand!” Genau die gleichen Leute, die sich dort wahrscheinlich ausschließlich auf ihre Karriere konzentrieren würden.
Aber warum auch nicht, wenn einem bei, wohlgemerkt offenem, Protest ein völlig ungewisses Schicksal droht? Ich weiß auch nicht, was ich machen würde. Wahrscheinlich würde ich mich gar nichts trauen. Aber gerade deshalb muss man Menschen wie Bei Ling und Dai Qing verdammt nochmal auf Händen tragen, wenn sie hierher kommen. Und sie nicht mit genau dem Gefühl gehen lassen, mit dem sie jetzt wahrscheinlich gegangen sind.