Kein Respekt für Schutzengel?


Sims Alabim; 2012-09-29

Dieser Beitrag könnte etwas aktueller sein, aber ich habe eine Weile gezögert, ihn wirklich online zu stellen, weil es mir etwas eitel vorkam, ausgerechnet über Til Schweiger herzuziehen – und dafür wieder schlafende Hunde zu wecken. Aber es hilft nichts.

Neulich haben sich Til Schweiger und Roger Willemsen in einer Talkrunde ein „Wortgefecht“ geliefert – was sich angesichts der Reputation der beiden Kontrahenten im Umgang mit den für ein Wortgefecht benötigten Waffen so absurd anhört, als würde man sagen, Chuck Norris und Papst Benedikt hätten sich ein Kickboxmatch geliefert. Trotzdem schien es in der Talkshow irgendwie so Vibes zu geben, als wäre Willemsen der Depp. Natürlich finde ich Til Schweiger grundsätzlich schlimm, wie man eben jemanden schlimm finden muss, der mit Methoden, die man für billig und durchschaubar hält, genau den immensen Erfolg als Filmemacher hat, den man selbst gerne hätte, und ich finde auch Roger Willemsen grundsätzlich sympathisch, wie man eben jemanden grundsätzlich sympathisch finden muss, der gerne sieben verschiedene Sorten Schieße aus Heidi Klum rausprügeln möchte. Trotzdem würde mir dieses Intermezzo am Gesäß vorbeigehen, obwohl es dabei sogar um ein Thema geht, mit dem ich mich selbst im Augenblick beschäftige, wenn auch aus relativ unideologischen Gründen, und auch sicher nicht ganz so intensiv, wie „Til“ und „Roger“ das bislang wohl getan haben – oder zumindest Letzterer.

Doch irgendwie fühlte ich mich durch die Kampagne, mit der Til Schweiger sein Actiondrama „Schutzengel“ an den Mann bringen will, auf mehr als nur beruflicher Ebene beleidigt. Nein, nicht beleidigt: Ich fühle mich unangenehm angefasst. Für den Film lief im Kino kein normalen Trailer, sondern ein überlanges Video, in dem die Reaktionen von in Afghanistan stationierten deutschen Soldaten auf eine Exklusivvorführung zu sehen waren. Diese empfahlen dem deutschen Kinopublikum einen Besuch dieses Films, der endlich einmal zeigen würde, wie unsere Truppen sich fühlen.
Man halte sich vor Augen, dass es sich dabei (wie der richtige Trailer zeigt) um einen Thriller nach Hollywoodstrickmuster handelt, dem hierzulande kein krankes Huhn gesellschaftliche Relevanz bescheinigen würde, würde er als Importware mit Nicholas Cage in der Hauptrolle hier ankommen.

Dennoch zog unser Til von Talkshow zu Talkshow, und redete davon, wie wichtig es wäre, dass man in Deutschland den Soldaten (den Protagonisten seiner Werbekampagne!) endlich den Respekt entgegenbringen würde, den sie verdienen. Die gehen da in ein fremdes Land, riskieren täglich ihren Kopf, kommen dann nach Hause, und alles, was die da abbekommen ist übelster „Disrespect“.

Nun könnte man, wie auf dieser Seite ja auch schon durchexerziert, durchaus darüber streiten, ob der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sinnvoll ist – ob die Freiheit und Demokratie in Deutschland jetzt tatsächlich auch nur ein Jota mehr oder weniger in Gefahr ist als ohne diesen Einsatz. Das will Til Schweiger ja aber nicht einmal beurteilen. Ihm geht es nicht um den politischen Aspekt, sondern darum, dass diese Soldaten da unten eben einen lebensgefährlichen Job machen, und den machen sie für uns alle! Egal, ob gewisse Einsätze im Einzelfall sinnvoll waren oder nicht, jemand der es sich zum Beruf gemacht hat, sein Leben für die Sicherheit und Freiheit anderer zu riskieren, verdient den Respekt derer, für die er das riskiert. Denn das schlimmste, was so jemandem passieren kann, ist Zurückweisung von denen zu erfahren, die er beschützen will.

Für diese Haltung hat Til Schweiger sogar wissenschaftlichen Background (ob er das wohl weiß?). Glaubt man den Untersuchungen zum posttraumatischen Stresssymptom bei amerikanischen Soldaten, so ist die Kriegsheimkehrern in der Heimat entgegengebrachte Akzeptanz ein wesentlicher Faktor dafür, wie gut sie die schreckliche Erfahrung, entgegen all ihrer natürlichen Instinkte Artgenossen getötet zu haben, verarbeiten können. Die Tatsache, dass die Heimkehrer aus Vietnam im Gegensatz zu den Heimkehrern aus dem zweiten Weltkrieg von der Bevölkerung beschimpft und bespuckt wurden, sei demnach ein wesentlicher Grund dafür, warum PTSD bei Vietnamveteranen viel häufiger auftrete. Orden, Paraden und Memorial Days seien vor allen Dingen ein Signal der Gesellschaft (des Stammes, sozusagen) um den Traumatisierten zu vermitteln, dass das, was sie getan haben okay war.
Ich halte diese Theorie für ziemlich plausibel, und wenn sie stimmt, dann ist die mangelnde Akzeptanz des Afghanistan-Einsatzes für die heimkehrenden deutschen Soldaten sicherlich ein zusätzlicher, womöglich sogar ein entscheidender Stressfaktor. Nun liegt es mir natürlich fern, das Leiden von Menschen, die ohnehin schon viel gelitten haben, auch noch zu vergrößern, wenn ich doch meinen Teil dazu beitragen könnte, dieses Leiden zu mindern. Die Soldaten sind keine verachtenswerten Menschen, und es fällt mir ja auch schwer, keine Empathie für sie zu empfinden – sogar in diesem Schrecklichen Schutzengel-Werbevideo. Warum kann ich denn nicht über meinen Schatten springen, und auch als grundsätzlicher Gegner des Kriegseinsatzes trotzdem Respekt für den Mut und die Selbstlosigkeit der Soldaten empfinden, die ihn durchführen?

Ganz einfach: Weil die Argumentation von Til Schweiger auf emotionale Erpressung hinausläuft. Und ich will mich nicht emotional dazu erpressen lassen, das Commitment eines Anderen für eine Sache zu respektieren, wenn ich die Sache selbst für verkehrt halte.

Nun will ich sicher nicht bestreiten, dass in Einzelfällen Soldaten ungeheuer tapfere, bewundernswerte Dinge tun – wie sich etwa für einen verletzten Kameraden in den Kugelhagel werfen. Doch genauso wenig, wie einem die technische Brillanz von David Garrett Bewunderung für jeden Menschen abnötigt, der schon einmal eine Geige in der Hand hatte, sind einzelne Heldentaten eine ausreichende Begründung für die Glorifizierung des Soldatenberufes. Eines Berufes, der immerhin die weitläufige Selbstaufgabe eigner Entscheidungs- und Handlungsfreiheit zugunsten eines absoluten Befehlsgehorsams erfordert. Ein Entwicklungshelfer, der in Afghanistan Brunnen bohrt, wird mit Fug und Recht behaupten können, sich diesen Ort und diese Aufgabe ausgesucht zu haben, weil er seinen Einsatz dort für notwendig befunden hat. Ein Soldat, der nicht dort sein könnte, hätte die Bundesregierung diesen Einsatz nicht beschlossen, hat es mit dieser Argumentation schon schwerer. Er hat stattdessen beschlossen, sein Leben in die Hände politischer Entscheidungsträger zu legen.

Selbst Roger Willemsen findet es dann aber im weiteren Verlauf der Diskussion auch ganz schlimm, wenn Leute sagen, ein Soldat, der verletzt aus dem Auslandseinsatz heimkehrt, sei selbst schuld, er habe es sich ja so ausgesucht. Natürlich ist es verdammt unsensibel, das einem verwundeten Soldaten ins Gesicht zu sagen, aber sorry: Das ändert nichts daran, dass das eine ganz einfache, simple Tatsache ist. Wir haben im Augenblick keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesem Land. Wer sich in den Auslandseinsatz schicken lässt, geht bewusst und aus freien Stücken ein hohes Risiko ein. Punkt.

Wenn sich Samuel Koch das Rückgrat bricht, weil er bei Wetten dass einen Stunt aufführt, dann ist das zweifelsohne eine Tragödie. Selbstverständlich empfinde ich für diesen jungen Mann Mitleid. Selbstverständlich kann ich mich in seine Lage versetzen, und selbstverständlich würde ich nicht zu ihm am Krankenbett sagen: „Das hat man davon, wenn man unbedingt zu Wetten dass will!“ Aber soll ich jetzt Respekt für seinen Plan empfinden, vor laufender Kamera über Autos zu hüpfen? Macht die Tatsache, dass eine Sache potentiell gefährlich ist, und dass jemand dieses Risiko bewusst auf sich nimmt, weil die Sache es ihm Wert ist, sein Anliegen deswegen respektabel? Verletze ich die Menschenwürde von Samuel Koch, wenn ich auch nach seinem Unfall der Meinung bin, dass er daran halt leider ganz einfach selbst schuld ist? Und würde tatsächlich ernsthaft jemand argumentieren, da ich theoretisch die Möglichkeit gehabt hätte, an jenem Samstagabend Wetten dass einzuschalten und mich von der Sendung unterhalten zu lassen, hätte Samuel Koch seinen Sprung im Grunde auch für mich gemacht?

Nun kann man ja argumentieren, dass es zwischen Samuel Koch und einem Soldaten im Kriegseinsatz einen entscheidenden Unterschied gibt: Der Erste hat das, was er getan hat, hauptsächlich für sich getan, der Zweite tut es für Andere. Für sein Volk. Aber auch diese Argumentation führt in eine dumme Zwickmühle.
Das Problem ist nämlich, dass es Soldaten anderer Nationen genauso geht. Und das gilt leider auch für die Taliban, um gleich direkt zum passenden Extrembeispiel zu kommen. Wenn man sich in die Lage eines Talibankriegers versetzt, dann hat auch dieser relativ selbstlose Motive für sein Tun. Er glaubt an seine Religion, an die Worte des Propheten, oder an die Freiheit seines Landes. Er kämpft dagegen, dass eine in seinen Augen teuflische, westliche Dekadenz sein Land und sein Volk infiziert, er kämpft dagegen, dass die Politik seines Landes von westlichen Kräften fremdgesteuert wird. Seine Methoden mögen brutaler sein, dafür ist seine Lage auch verzweifelter.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: In meinen Augen sind die Taliban eine ziemliche Pest, und es würde Afghanistan besser gehen, wenn man sie los wäre. Ich halte nichts von deren Auffassung ihrer Religion und von der Art, wie sie diese den Leuten aufdrücken. Das ändert aber nichts daran, dass deren Motive aus deren Sicht genauso lauter oder unlauter sind, wie die eines Bundeswehrsoldaten. (Einzelfälle von Machtgeilheit und Sadismus einmal außen vor gelassen, denn auch darauf haben die Taliban keineswegs das Monopol).
Wenn mir jetzt also gesagt wird, ich solle den Soldaten Deutschlands Respekt für ihren Einsatz entgegenbringen, auch wenn ich mit der Methodik ihres Tuns nicht einverstanden bin und nicht alle Werte mit ihm Teile, dann muss ich zurückfragen: Welchen Grund habe ich dann, nicht auch den Taliban Respekt entgegenzubringen, wenn meine Abneigung gegenüber deren Werten und Methoden offenbar kein hinreichender Grund sein darf? Kann ich denn meinen Respekt vor dem Tun eines Menschen mit meiner Beurteilung seiner Motive und Handlungsweisen entkoppeln?
Dann läuft es eben doch wieder darauf hinaus, dass die deutschen Soldaten sich ihren Respekt deswegen verdient hätten, weil sie eben Deutsche sind, und im Auftrag einer Regierung handeln, die ich hätte mitwählen dürfen. Das ist dann aber wieder Nationalismus, und den lehne ich ab. Auch und gerade wenn es um Kriege geht.

Damit wir uns hier nicht missverstehen: Ich spreche den Soldaten nicht ihre Menschenwürde ab – im Gegenteil, mein Glauben an diese ist der Hauptgrund für meine pazifistische Haltung. Ich kann aber einen Menschen ganz grundsätzlich in seiner Menschlichkeit respektieren und ihn trotzdem für ein dummes Arschloch halten. Ich kann Motivationen und Ziele verstehen, ohne sie dabei gleich zu werten. Das gilt für alle Menschen, von Loriot bis zum pädophilen Nachbarn um die Ecke. Ich würde ja auch nie auf die Idee kommen, tatsächlich sieben Sorten Scheiße aus Heidi Klum rausprügeln zu wollen, aber das ist eher eine Sache des Anstandes, als eines wirklichen Respekts, den dieser Mensch mehr als ein anderer verdient hätte. Sobald ich aber aufgefordert bin, dem Tun eines Menschen eine Art von Respekt entgegenzubringen, mit dem ich sein Tun höher werte als das der meisten anderen, muss ich dessen Motive nicht nur verstehen, sondern auch gutheißen. Und als grundsätzlicher Kriegsgegner kann ich zwar jeden Soldaten als Menschen, aber keinen Menschen als Soldaten respektieren.

Was also soll ich jetzt anfangen mit dieser komischen Forderung des Herrn Schweiger, wir müssten den Soldaten mehr Respekt entgegenbringen? Wie soll das aussehen? Diese Forderung hätte dann ihren Sinn, wenn es hierzulande wahrhaftig ein Massenphänomen wäre, dass wir Heimkehrern ins Gesicht spucken und Toilettenpapier in ihre Gärten werfen. Einzelne mögen das zwar tun, aber Gegenstand öffentlicher Debatten und des gesellschaftlich geführten Diskurses ist ja nicht die Verachtenswürdigkeit des Soldaten sondern die Fragwürdigkeit seines Einsatzes. Soll diese Diskussion jetzt verstummen, als Zeichen des Respekts? Das Leid des Soldaten als Totschlagargument gegen öffentliche Kritik an Kriegseinsätzen?

Es ist ja völlig in Ordnung, wenn Til Schweiger sich von soldatischen Heldengeschichten beeindrucken lässt. Es sei ihm völlig unbenommen, großen Respekt vor Soldaten zu empfinden. Es ist auch völlig legitim, diesem Respekt durch die Darstellung eines (Ex-)Soldaten in seinem Film Ausdruck zu verleihen. Ein künstlerisches Medium ist schließlich ein Vehikel der Weltsicht seines Schöpfers, das ist schon okay. Und ich wäre der Letzte, der sich weigern würde, Schutzengel anzusehen, wenn ich den Eindruck gewonnen hätte, dass hier jemand darum bemüht war, ein authentisches Bild der deutschen Soldaten im Einsatz zu zeichnen. Aber selbst dann möchte ich bitte die Entscheidung, ob mir das Respekt für irgendwen abnötigt, selbst treffen.

Aber das ist hier nicht der Fall. Hier hat sich jemand, der sich inzwischen weigert, seine Werke vor dem Kinostart der Presse zu zeigen, ein dankbares Publikum ausgesucht, benutzt dessen Reaktionen zu Werbezwecken, und will mir dann sagen, ich solle gefälligst für diese Menschen Respekt empfinden und deshalb deren Empfehlung folgen und mir seinen Film anschauen. Ich soll also aus Rücksichtnahme gegenüber den Gefühlen der Teilnehmenden nicht nur durchs Hintertürchen einen Kriegseinsatz moralisch sanktionieren, sondern mir zur eigenen emotionalen Rückversicherung dazu auch noch einen Film von Til Schweiger anschauen? Da weiß ich wirklich nicht mehr, was die größere Zumutung ist!

one comment

  1. Was bleibt ist die Frage: Wie konnte Tarantino den Schweiger-Film als gut bezeichnen (oder ist Schweigers Englisch doch noch nicht vertrauenswürdig)?

    grabbe, October 11, 2012