Regen


Malibu Aircraft; 2010-04-04

Die Nacht hat ihre Pforten geöffnet. Auf den Straßen glänzt der Regen und die reflektierte Leuchtreklame in den Pfützen sagt dir mehr über deine Zeit und über dich, als du eigentlich wissen willst. Du gehst in einen Club, du trinkst, du tanzt, du lernst jemanden kennen. Ihr geht nach draußen, es ist Vollmond.
Doch jetzt ändert sich die Wirklichkeit mit einem Mal, etwas verändert dich. Du siehst ein Bild, deine neue Bekanntschaft wird haariger, verwandelt sich unter schmerzvollen Zuckungen in ein Biest, ein mörderisches Wesen, einen Werwolf.
Du zwinkerst. Alles ist wieder normal. Die Wirklichkeit ist so wie sie ist und nicht anders.
Ihr geht die Straßen entlang. Der Wind bläst, es tut so gut ihn im Gesicht zu spüren, einen Rest der Wildheit der Natur, die aus dieser Stadt verbannt wurde zugunsten einer anderen Wildheit, einer Wildheit, die niemand versteht.
Du hältst die Hand deiner Bekanntschaft.
„Wäre es nicht schön“, sagst du. „oder erstaunlich oder vielleicht auch erschreckend, jedenfalls aufregend, wenn sich alles ändern würde, die Welt, unsere Leben, von einem Tag auf den anderen.“
Und ihr spielt Szenarien durch, was würde geschehen wenn. Und du erinnerst dich an einen Moment, als du noch ein Kind warst und nach oben in den Nachthimmel geblickt hast und die Sterne gesehen hast und du warst dort. Du warst an diesen anderen Orten, in den fernen Sonnensystemen dieser Sterne, du warst dort, du hast die außerirdischen Wesen gesehen, andere Welten, farbenreich und so spannend, so wunderbar fremd und neu.
Und jetzt schaust du nach oben und ja, es ist schön und ja, es ist einzigartig, die Sterne, der Himmel, der selbe Mond, den die großen Frauen und Männer der Geschichte auch bewundert haben, das ist schon was, das ist schon erstaunlich. Aber du bist eben hier auf der Erde und das wird sich auch nicht ändern.
Aber wenn sich alles ändern würde, von einem Tag auf den anderen, dann wäre alles anders.
Deine Begleitung raucht, ist gut angetrunken, aber vielleicht bist du das ja auch, du bist dir nicht ganz sicher, sie schaut dich an, mit großen Augen, einem freundlichen Grinsen und du lächelst.
Ein Licht umhüllt euch und ihr werdet emporgehoben. Eine tiefe Stimme sagt:
„Ihr wurdet auserwählt. Das Schicksal der Menschheit liegt in euren Händen. Ich werde euch in eine andere Welt schicken, wo ihr zusammen gegen dunkle Mächte kämpfen werdet. Ihr könnt sie klar erkennen, sie tragen Hörner und lachen auf diabolische Weise. Ich werde euch mit erstaunlichen Kräften ausstatten, ihr werdet fliegen können und stark sein und…“
Irgendwo zerbricht eine Flasche, Menschen lachen, das Licht erlischt, die Stimme grummelt noch „Och, hmm, vielleicht auch nicht…“ und löst sich dann auf.
„Hallo.“ sagst du zu der Person, die vor dir steht.
„Hallo.“ sagt sie zurück und die Augen dieser anderen Person lächeln.
Die Person küsst dich und du kannst dir nicht helfen, du weißt nicht warum, aber eine Träne löst sich aus deinem Auge. Die Person küsst die Träne weg.
Ein seltsamer Moment, bevor du sie zu dir einlädst, sie wirkt verlegen, lächelt, lehnt dankend ab, aber gibt dir ihre Nummer, bevor sie in die Dunkelheit verschwindet.
Du verfluchst dich mal wieder und natürlich die Welt, denn die Welt eignet sich nun mal so hervorragend zum Verfluchen, verfluchst diese Träne, verfluchst den Regen, der jetzt wieder einsetzt. Ein bisschen früher und das Weinen des Himmels hätte dein eigenes ertränken können, aber nein; und ein bisschen verfluchst du auch die andere Person, die für einen Moment so getan hatte, als wäre sie keine fremde Person, obwohl sie es natürlich war.
Du bist müde, willst ins Bett, willst schlafen, dich den Träumen ergeben, die bereits knapp am Rande deines Sichtfelds in die Wirklichkeit dringen.
Aber etwas hält dich hier an diesem Ort. An diesem Leben. An dieser Welt. Was wäre, wenn?
Diese Frage. Wenn es die nicht gäbe.
Was wäre dann?