Re: Atheismus ist Religion


Malibu Aircraft; 2009-04-13

Nach der Lektüre des vorigen, sehr interessanten Beitrags des geschätzten Sims Alabim, möchte ich auch noch eine Antwort geben und dabei gleichzeitig meinen Senf zu dem ganzen Themengebiet ablassen. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich das in Form eines Beitrags und nicht eines Kommentars mache, aber es ist doch etwas länger geworden als geplant.

Nur noch zwei kurze Klarstellungen von mir im voraus: Selbstverständlich gilt auch von meiner Seite, dass jede, evtl. polemische, Attacke nur im Kontext eines fröhlichen und intelligenten Diskurses und keinesfalls persönlich zu sehen ist. Zweitens meine ich, wenn ich das Wort Wissenschaft benutze im Wesentlichen was z.B. Wikipedia damit meint:

Wissenschaft ist die Erweiterung des Wissens durch Forschung, seine Weitergabe durch Lehre, der gesellschaftliche, historische und institutionelle Rahmen, in dem dies organisiert betrieben wird, sowie die Gesamtheit des so erworbenen menschlichen Wissens. Forschung ist die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen sowie deren systematische Dokumentation und Veröffentlichung in Form von wissenschaftlichen Arbeiten. Lehre ist die Weitergabe der Grundlagen des wissenschaftlichen Forschens und die Vermittlung eines Ãœberblicks über das Wissen eines Forschungsfelds, den aktuellen Stand der Forschung.“

Eine Einschränkung hätte ich bezüglich dieser Definition allerdings. Ich würde „der gesellschaftliche, historische und institutionelle Rahmen, in dem dies organisiert betrieben wird“ ausklammern. Nicht dass das komplett falsch wäre, aber ich glaube dieser Teil ist nur mit sehr viel Vorsicht zu genießen. Die Rassenlehre der Nazis fällt möglicherweise auch in den „gesellschaftliche[n], historische[n] und institutionelle[n] Rahmen“ dieser Zeit, ich würde sie aber höchstens als Pseudowissenschaft bezeichnen. Unter „methodische Suche nach neuen Erkenntnissen“ verstehe ich auch die Beleuchtung unterschiedlicher Standpunkte und Hinterfragung grundsätzlicher, möglicherweise bereits etablierter Prinzipien. Diesbezüglich wäre z.B. eine kritische Diskussion über das Gebiet der Psychoanalyse nützlich, in der es haufenweise Literatur gibt, die sich regelmäßig auf imho nicht ausreichend oder gar nicht bewiesene Grundannahmen Freuds beziehen. Was also in meiner Definition übrigbleibt ist im Prinzip das neugierige Suchen nach neuen Erkenntnissen und die systematische Weitergabe dieser. Eine wichtige Ergänzung noch: Es ja irgendwie logisch, dass man im Bezug auf Wahrheitsfindung, also nicht den persönlichen, subjektiven Glauben betreffend, sondern, was aufgrund rationaler Argumentation für eine Menge von Leuten gemeinsam akzeptierbar ist, so weit wie möglich mit falsifizierbaren Aussagen arbeiten muss. Ein Beispiel für eine nicht falsifizierbare Aussage wäre „Es gibt pinke Schwäne.“ Dieser Satz lässt sich zwar durchaus verifizieren, indem man z.B. einen pinken Schwan findet. Aber die einzige Möglichkeit die Sache zu klären ist eben, solange zu suchen bis man zufällig einen findet. Es liegt also bei dem, der an pinke Schwäne glaubt, was ja durchaus eine Anfangshypothese sein kann, den Beweis zu erbringen. Niemand kann, um einen kleinen Sprung zu machen, von einem Atheisten erwarten, dass er Gott widerlegt. Alles was wir tun können, ist zu zeigen, dass es keine realen Beweise für seine Existenz gibt. Das macht seine Existenz zwar nicht unmöglich, aber aus unserer Sicht eben nun mal sehr sehr unwahrscheinlich.

Nun aber zum Beitrag des geschätzten Sims Alabim. Leider muss ich gleich zu Beginn widersprechen: Atheismus ist, wie der Name schon sagt, keine Religion und mir ist durchaus bewusst, dass das polemisch gemeint ist. Ich kann aber verstehen, wenn manche „Neue Atheisten“ durch eine gewisse arrogante „Ich-hab-die-Weisheit-mit-Löffeln-gefressen-und-mache-in-meinem-Privatleben-nie-irrationale-Sachen“-Haltung den Vergleich mit missionarischen Religiösen nahe legen. Was mich betrifft, es ist jederfraus oder –manns Sache, was persönlich geglaubt wird. Nur sollte Religion und Aberglaube bitte radikalst aus der Politik rausgehalten werden und natürlich hält mein, durchaus vorhandener, Respekt vor persönlichen, privat-psychologischen Empfindungen mich auch nicht davon ab, meine Meinung kund zu tun.

Natürlich kann sich jeder seine Vorbilder in der Geschichte selbst rauszusuchen, prinzipiell möchte ich aber darauf hinweisen, dass fast die gesamte dokumentierte Menschheitsgeschichte hinweg ein „Outing“ als Atheist nahezu überall, wenn nicht zu körperlicher Gefahr, so doch zumindest zu extremer gesellschaftlicher Isolation geführt hat. Selbstverständlich galt/gilt auch manchmal das Gegenteil, siehe Sowjetunion.

Was Moores Statement betrifft, habe ich Monsieur Cabuflé in seinem Kommentar nichts hinzuzufügen. Warum die Vermutung, dass das Bewusstsein ein Ergebnis neurobiologischer Prozesse ist, dessen Wert irgendwie herabsetzen soll, erschließt sich auch mir nicht. Genauso wenig wie die Behauptung, dass dies irgendwie zur Verwässerung von Richtig und Falsch beitragen sollte oder dass es Kunstwerke zu Zufallsprodukten macht. Auch sehe ich nicht, wie die Erkenntnis, „wenn man in Wald und Flur nur verschiedene Kohlenstoffzustände erkennt“, es rechtfertigt die Natur zu zerstören. Das Verständnis naturwissenschaftlicher Vorgänge mindert in meinen Augen nicht deren Wert, ganz im Gegenteil. Ich wünschte, ich hätte diesbezüglich „Der entzauberte Regenbogen“ von Dawkins, das mir gestern geschenkt wurde, bereits gelesen und das sich wohl genau damit auseinandersetzt

Ich sehe auch weder Zusammenhang noch Sinn darin, jeglichen medizinischen Fortschritt unter dem „Siegeszug des Materialismus“ zusammenzufassen und ihn für das Elend in der Welt verantwortlich zu machen. Und leider muss ich auch sagen, dass Sätze wie „Aber seine [wissenschaftlicher Fortschritt] Ausnutzung ist so eng mit dem Entstehen dieser perversen Zustände verknüpft, dass für mich jede Lobpreisung dieses Fortschritts einen schalen Beigeschmack bekommt.“ wenig zu meiner Erhellung und ich würde sogar behaupten, wenig zur Veränderung jener Zustände beitragen, was imho an der viel zu allgemeinen Verwendung der Worte „Wissenschaft“ und „wissenschaftlicher Fortschritt“ liegt. Dass die Erfindung der Atombombe nicht gerade zur hellsten Stunde der Menschheit gehört (auch wenn sie maßgebend zur Entwicklung des modernen Computers beigetragen hat, was aber hoffentlich ohnehin früher oder später geschehen wäre) dürfte klar sein, aber welche Schuld beispielweise erwähnten medizinischen Fortschritt trifft, ist mir nicht klar. Nur um das zu trennen: Politik und Wissenschaft sind verschiedene Dinge. Die Politik der meisten Pharmaziefirmen ist in der Regel größtenteils abstoßend, die Tatsache an sich aber, dass wichtige Medikamente(, die dann „illegal“ oder viel zu spät in armen Gebieten ankommen,) erfunden werden, ist ja wohl zweifelsfrei eine positive.

Was die Moral betrifft, stimme ich geschätztem Herrn Sims größtenteils zu. Wie jemand rechtfertigt, warum sie oder er „gut“ und moralisch handelt bzw. welche Erklärung dafür herangezogen wird, ändert nichts an der Handlung selbst. Ich habe aber Probleme, wenn, wie bei manchen Arbeitgebern der Caritas beispielsweise ein „christliches Menschenbild“ als Einstellungskriterium herangezogen wird. Was genau bedeutet das? Was genau bedeutet christliche oder muslimische oder jüdische Moral? Bedeutet es, dass ich mich z.B. auch daran halten muss: (3. Mose 20,10): “Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben.” Oder daran, dass laut Koran schon Unglaube Sünde ist. Damit will ich nicht behaupten, dass nicht auch schöne, moralische, poetische, ja erleuchtende Passagen in religiösen Texten zu finden sind. Doch als moralisches Handbuch sind die religiösen Texte eben nur dann geeignet, wenn klar ist, manche Stellen sind Unfug und manche können durchaus Quellen hoher Inspiration sein. Es ist eben einfach nicht so klar und eindeutig , was eine christliche, etc. Moral ist. Religion sollte nicht mehr Autorität in dem philosophischen Diskurs um Moral haben, als irgendjemand sonst. Dass religiöse Menschen darüber hinaus im Durchschnitt nicht altruistischer handeln als nicht religiöse Menschen ist mittlerweile mehrfach durch Studien belegt.

Ich kenne mich auf dem Gebiet des Materialismus oder der „Geheimwissenschaften“ nicht genügend aus, kann den Positionen des geschätzten Sims Alabim hier aber soweit ich das sehe zustimmen. Wie du ja sagst sind Wissenschaft und Materialismus nicht zwangsläufig dasselbe.

Weiter also im Text: Leider muss ich heftigst widersprechen, wenn werter Herr Alabim schreibt : “Ob jemand auf Busse schreibt „God does not exist” oder auf Plakate „God hates Fags“, da sehe ich in punkto Borniertheit wenig Unterschied.“ Auch wenn meines Wissens diese Initiative nicht von Dawkins gestartet wurde und es ja wie du nachgeschoben hast „God does probably not exist“ sehe ich da Unterschiede, die größer nicht sein könnten. „God does probably not exist“ ist eine Meinung und eine die durch die simple Tatsache, dass es keine nachgewiesenen Gottesbeweise gibt, mehr als zementiert wird. Dieser Satz ist für mich nicht mehr boniert als „Harry Potter does not exist“. „God hates Fags“ dagegen ist eine offensichtlich aggressive Beleidigung in der die Gewaltandrohung fast spürbar ist.

Wie von Cabuflé ja bereits sehr schön ausgedrückt, heißt weder Wissenschaft noch Atheismus, dass subjektive Welten, Gefühle, Fantasien, Empfindungen, Erfahrungen nicht etwas absolut wunderbares und menschliches sind und ihr Wert verringert sich kein Stück dadurch, dass es daneben noch die objektive Realität, die natürlich nicht absolut eindeutig ist, gibt. Aber wenn ich reale, konkrete Lebensentscheidungen treffen will, dann will ich eben doch wissen, wo ungefähr die Grenze liegt zwischen Objektivem und Subjektivem bzw. was mit einigem Recht als „objektive Wahrheit“ bezeichnet werden kann und da hilft die Wissenschaft und dafür ist sie da.

Zum Wesentlichen Rest des Beitrages kann ich nur sagen: dito. Mich kotzt es genauso an, wenn manche Leute Atheismus oder Wissenschaft nur als weiteres Label benutzen, um ihre Ignoranz und Arroganz zur Schau zu tragen. Aber der „Spirit“ einer neugierigen Wissenschaft, der Gedanke, dass rationales Betrachten aus mehr als einem Blickwinkel etwas Gutes ist, dass Glauben um des Glaubens willen und verbohrtes Beharren auf subjektiven Empfindungen, wenn es um weltliche, politische Dinge geht, dagegen schlecht ist, das ist etwas mit dem ich mich auf jeden identifizieren kann.

Aber ist es nicht auch einfach etwas langweilig zu sagen „God did it“, wenn es z.B. um den Urknall geht, während es haufenweise viel interessanterer Theorien von Multiversen, Paralleluniversen und was weiß ich nicht noch alles gibt? Was mich persönlich betrifft habe ich einfach festgestellt, dass die meisten religiösen und esoterischen „Erklärungen“ wie Gedankenstopper auf mich wirken. Hier hast du deine Erklärung und gut is. Kein weiteres Warum, kein Weiterfragen, wie z.B. „Und wer hat Gott gemacht?“. Dabei würde ich mich durchaus als spirituellen Menschen bezeichnen. Nicht im religiösen oder esoterischen Sinn. Ich liebe z.B. Meditation. Und ich finde es wunderbar, dass man jetzt real messen kann, wenn jemand in Trance geht, dass man messen kann, wie sich die Gehirnströme verändern, dass andere Regionen durchblutet werden, usw.. Das macht das Erlebnis nur umso besser, weil ich weiß, dass es etwas reales ist und nicht etwas, das ich mir nur einbilde. Und etwas wunderschönes noch dazu.

9 comments

  1. Dürfte nicht überraschen, dass ich mich weitgehend anschließe.

    Aber obwohl wir in dieser Debatte offenbar zum gleichen Lager gehören, kann ich natürlich mal wieder meine Fresse nicht halten und habe ein paar klugscheißerische Anmerkungen zu einzelnen Passagen:

    – Zu Freud: Ich bin mir da nicht komplett sicher, aber soweit ich weiß, wird Freuds Psychoanalyse in der heutigen psychologischen Forschung und Lehre eher als “erste Schritte in die richtige Richtung” angesehen werden, während ihre Inhalte im Detail eher als poetisch-intuitive Beschreibungen des menschlichen Geistes gelten.

    – Richard Dawkins ist tatsächlich kein Initiator der Bus-Kampagne aber einer ihrer offiziellen Unterstützer. (Und auf die Gefahr hin, seine Sympathiewerte weiter zu senken: Er hält das Wort “probably” eigentlich für zu milde.)

    – Was Materialismus betrifft, ist es wichtig zwischen dem umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes (der i.d.R. eine vorrangig dem Streben nach materiellem Reichtum verpflichtete Geisteshaltung meint) und der philosophischen bzw. erkenntnistheoretischen Denkschule des Materialismus zu unterscheiden.
    Letztere geht (vereinfacht ausgedrückt) davon aus, dass alles was existiert, auf Materie zurückgeführt werden kann und damit den Naturgesetzen unterworfen ist, ohne daraus irgendwelche Werturteile abzuleiten.
    Ich bin mit dem aktuellen erkenntnistheoretischen Diskurs nicht vertraut genug, um hier ein differenziertes Bild zu zeichnen, würde allerdings behaupten, dass Materialismus in diesem Sinne durchaus eng mit der wissenschaflichen Methode verknüpft ist.

    Cabuflé, April 14, 2009
  2. Da fiel mir nach dem einsamen Feierabendbier doch noch was auf:

    Wenn die Caritas als kirchlicher Verein nur Christen beschäftigen will, finde ich das in der Sache zwar irgendwie bekloppt und kontraproduktiv, aber dennoch ihr gutes Recht.

    Cabuflé, April 14, 2009
  3. Auf zwei Aspekte möchte ich noch eingehen, nachdem ich dem geschätzten Kollegen Malibu Aircraft für seinen Beitrag zur Sache gedankt habe.

    Durch meinen Bezug auf Tim (Asprin-hat-keine-Nebenwirkungen) Minchin ist offenbar der Eindruck entstanden, ich würde ausgerechnet den medizinischen Fortschritt für das Elend der Dritten Welt verantwortlich machen. Dem ist nicht so. Und ich weiß auch, dass Wissenschaft und Politik zwei paar Schuhe sind. Nur leider stehen sie oft im selben Schuhschrank.

    Wissenschaft lässt sich meiner Ansicht nach nur in der Theorie so sauber von der Politik trennen, wie man sich das wünschen würde (ebenso die Religion). In der Realität hat das Forschen um der reinen Erkenntnis willen allein aus finanziellen Gründen einen Stellenwert wie Studentenfilme in der Filmindustrie: Man braucht es halt, damit neue Talente sich entwickeln, aber wenn die dann erwachsen sind, soll die Invenstition sich auch gelohnt haben, sprich: Sollen sich aus den neuen Erkenntnissen auch neue Produkte ableiten lassen. Ich glaube, dass einem Großteil der Menschheit die Atomtheorie am A… vorbei ginge, wenn sie nicht nützlich wäre, um Atombomben und Atomkraftwerke zu bauen. Die Wissenschaft versorgt die Industrie mit neuen Möglichkeiten und dieser Industrie verdanken die “Industriestaaten” ihren Vorteil zu einem großen Teil.
    Ich mag in diesem Punkt uneinsichtig sein, doch wenn jemand sagt: “Fortschritt ist toll, weil er meine Lebenserwartung verbessert,” dann ist das ebenso einseitig wie: “Katholizismus ist toll, die haben so viele schöne Kirchen gebaut.” Das Problem mit dem Fortschritt ist nicht nur, dass die Entwicklungsländer nicht daran teilhaben dürfen, sondern dass sie ihn finanzieren.
    Und ich wage weiterhin zu behaupten, dass ein Mensch, der die Pflanzen und Tiere dieser Erde wahrhaftig als Gottes Schöpfung empfindet, sich vielleicht nicht so schnell dafür hergibt, Weizensorten herzustellen, auf deren Aussaat bestimmte Agrarunternehmen ein Patent anmelden können – auch wenn dieses Tun auch aus rein politischen Gründen als ebenso verdammenswert betrachtet werden kann.

    “God does probably not exist” ist eine absolut legitime Aussage, wenn jemand damit die Frage nach seiner Einstellung zur Religion beantwortet. Sobald man damit aber Busse beschriftet, macht man damit eine andere Aussage, hängt den ungesagten Zusatz “…so stop believing” hintendran. Wenn ich denselben Satz mit Harry Potter auf Busse schreiben würde, würde ich damit auch eine andere Aussage machen, als nur zu zeigen, dass ich persönlich eine Romanfigur von einem echten Menschen unterscheiden kann. Dieser Satz wäre sofort ein Kommentar zum Gesellschaftsphänomen Harry Potter, und zwar kein schmeichelhaftes.
    Sobald ich der Meinung bin, meine Ansicht mit einem Ausrufezeichen versehen auf ein Plakat schreiben und dieses Plakat in Fernsehkameras halten zu müssen, betätige ich mich politisch. Menschen die von mir empfundene Unwahrscheinlichkeit eines Gottes vor Augen halten zu müssen, mag weniger aggressiv und bösartig sein, als Menschen ihrer sexuellen Orientierung wegen zu Freiwild zu erklären, aber in beiden Fällen mische ich mich in politische Zusammenhänge und die Intimsphäre fremder Menschen ein.

    Sims Alabim, April 14, 2009
  4. @Cabuflé: Ist mir durchaus klar, dass die Psychoanalyse im weiten Feld der “psychologischen Forschung” zum Glück nur einen wesentlich kleineren Teil darstellt als noch vor einigen Jahrzehnten. Meine Kritik bezog sich ja auch ausschließlich auf die Psychoanalyse selbst, die ja gewissermaßen zu einem eignen “Wissenschafts”gebiet geworden ist, das zwar in sich selbst logisch ist, aber imho eben zu wenig auf Kritik von “außen”, also z.B. anderen psychologischen Feldern wie der Neuropsychologie reagiert. Ich gebe aber gerne zu, dass ich mich da noch genauer informieren sollte. Schon möglich, dass es innerhalb der Psychoanalyse Bereiche gibt auf die das nicht in dem Maße zutrifft.
    Was die Caritas betrifft, will ich gar nicht bestreiten, dass es ihr Recht ist, es geht mir eben nur gegen meinen ganz persönlichen Strich, dass ein Verein, der (zusammen mit der Diakonie) z.B. 70% der Kindertagesstätten in der Hand hat, der sich zu einem Drittel aus staatlichen Zuschüssen finanziert und der in seiner Satzung den Kampf gegen Diskriminierung verkündet, in Wirklichkeit die größe (legale) Diskriminierung in Deutschland betreibt, was ja Homosexualität beispielsweise ebenfalls einschließt.

    @Sims Alabim: Ich will auf keinen Fall behaupten – und ich glaube Tim (Aspirin-hat-FAST-keine-Nebenwirkungen) Minchin ebenfalls nicht, dass jeder Wissenschaftler das Beste für die Welt im Sinn hat. Vielleicht war ich etwas unsachlich die ideale Trennung von Wissenschaft und Politik so selbstverständlich hinzustellen. Trotzdem muss ich -auf die Gefahr hin, dass ich etwas schwerfällig wirke- bitten, zu präzisieren, wie genau die Entwicklungsländer den Fortschritt denn finanzieren. Bzw. wie eine Einstellung wissenschaftlicher Forschung ihnen nützen würde, was ja dann irgendwie der Umkehrschluss wäre.
    Was die Bus-Kampagne betrifft, was spricht dagegen, besagte Meinung auch öffentlich kund zu tun? Der echte Zusatz war mit “Now stop worrying and enjoy your life” ja auch durchaus positiv. Nach deiner Logik wäre auch jedes öffentliche religiöse Symbol und jede religiös motivierte Werbung ein Eingriff in die Intimsphäre fremder Menschen. Und da es dem ja kaum ein Entkommen gibt, kann ich einen entgegengesetzen Dämpfer nur begrüßen und sei es nur um zu zeigen, dass es auch “andere Wahrheiten” gibt.

    PS.: Hatte am Anfang des Beitrags bei den Schwänen versehentlich bisschen Blödsinn geschrieben. Ist korrigiert.

    Malibu Aircraft, April 14, 2009
  5. Eine Einstellung wissenschaftlichen Forschens würde den Entwicklungsländern natrürlich genauso wenig helfen, wie sie momentan von dessen Forführung groß profitieren. Das Problem ist -wie gesagt- in der Hauptsache politisch und wirtschaftlich. Darauf jetzt detailiert einzugehen würde ein Themengebiet öffnen, gegen das unsere theologische Debatte Pipifax ist. Die Entwicklunsländer finanzieren natürlich nicht dezidiert unsere Forschung – sie finanzieren unseren kompletten Lebensstil, der es uns überhaupt möglich macht, zu forschen, zu entwickeln, zu expandieren und Raubbau an der Biosphäre unseres Planeten zu betreiben anstatt uns darum kümmern zu müssen, wie wir für den nächsten Tag Reis auf den Teller kriegen.

    Um noch einmal an den Anfang zurückzukehren: Aspirin gibt es nicht nur deshalb, weil unermüdliche Mediziner in dem noblen Streben, die Menschen glücklicher zu machen, seinen Wirkstoff entdeckt, erforscht, isoliert, mit Vitamin C versetzt und in Tabletten oder Pülverchen verwandelt haben, sondern auch, weil entsprechende Finanziers mit handfestem Profitstreben ihnen das nötige Kleingeld zur Verfügung gestellt haben, und sich jetzt mit Aspirin eine goldene Nase verdienen. Das schmälert die Leistung der beteiligten Mediziner zunächst einmal nicht, stellt aber die Tatsache, dass es Aspirin überhaupt gibt, in einen anderen Kontext.
    Und leider hat das Wort “Fortschritt” für mich diesen Kontext.
    Ich wage zu behaupten, dass die Forschung auf diesem Gebiet vermutlich nicht ganz so weit gediehen wäre, wenn Kopfschmerzen eine Krankheit wären, die auschließlich unter den Bewohnern von Ghana grassieren würde.

    Ich empfinde übrigens einen beträchtlichen Teil von Werbung (egal wofür) als Eingriff in meine Intimsphäre. Wenn es nur nach mir ginge, möchte ich auch über die Verfügbarkeit unserer zahlreichen Industrieprodukte nur dann informiert werden, wenn ich nachfrage.
    Und ja, sobald ein religiöses Symbol nicht mehr zur Schau gestellt wird, weil sich damit Gläubige bekennen oder es zum Vollzug ihres Rituals gehört, sondern es dem Zweck dient, andere Menschen zum Konvertieren zu bewegen, dann geht mir das auf den Zeiger.

    Mein Vergleich war natürlich mit Absicht recht schroff, und ich kann verstehen, wenn jemand, der den Einfluss der Religionen als zu omnipräsent empfindet, froh über diese Busaufschriften ist.

    Allerdings könnte jeder katholische Schwulenhasser, den es nervt, dass unsere Gesellschaft drauf und dran ist die gottlose Homosexualität okay zu finden, mit denselben Argumenten die “God hates Fags” Plakate verteidigen.

    Es scheint wohl wirklich so zu sein, dass jeder von uns jene gesellschaftlichen Strömungen, die dem eigenen Weltbild widersprechen immer als präsenter, aggressiver, allgegenwärtiger und intoleranter empfindet, als diejenigen, die es bestätigen.

    Ich jedenfalls glaube, dass alle Menschen, die sich einer Sache, die Gott betrifft, sei es seine Existenz oder gar seine Meinung, so sicher sind, dass sie sie auf Plakate schreiben, damit eine Haltung an den Tag legen, die ich als “borniert” zu bezeichnen die Stirn habe.

    Sims Alabim, April 14, 2009
  6. @Malibu A:

    (…) ein Verein, der (zusammen mit der Diakonie) z.B. 70% der Kindertagesstätten in der Hand hat, der sich zu einem Drittel aus staatlichen Zuschüssen finanziert und der in seiner Satzung den Kampf gegen Diskriminierung verkündet, (…)

    Das habe ich nicht mitbedacht. So gesehen hat die ganze Sache natürlich doch einen anderen Stellenwert.

    @Sims:

    Da wir schon die ganze Zeit so viel Spaß mit Analogien haben:

    “In der Realität hat das Forschen um der reinen Erkenntnis willen allein aus finanziellen Gründen einen Stellenwert wie Studentenfilme in der Filmindustrie: Man braucht es halt, damit neue Talente sich entwickeln, aber wenn die dann erwachsen sind, soll die Invenstition sich auch gelohnt haben”

    Guter Vergleich. Ich denke du wirst mir zustimmen, wenn ich sage, dass trotz der ganzen Scheiße, die das Studiosystem ausspuckt, trotz der Arschlöcher, die in der Branche abhängen, trotz aller fragwürdigen wirtschaftlichen Aspekte das Filmemachen an sich etwas wunderbares ist. Got the point?

    ***

    Ich empfinde übrigens einen beträchtlichen Teil von Werbung (egal wofür) als Eingriff in meine Intimsphäre. Wenn es nur nach mir ginge, möchte ich auch über die Verfügbarkeit unserer zahlreichen Industrieprodukte nur dann informiert werden, wenn ich nachfrage.

    Nur fürs Protokoll nach der ganzen Zankerei: Hier bin ich jetzt mal sowas von deiner Meinung!

    Cabuflé, April 15, 2009
  7. Sorry für die späte Antwort, auch wenn wir an diesem Punkt vielleicht wirklich nicht viel weiter kommen.
    Ich denke auch, dass jetzt die ganze Büchse der Wissenschaft- und Wirtschaftpolitik – und -geschichte aufzumachen zu viel ist.
    Und auch bei dem Bus kommen wir vielleicht nicht weiter. Ich glaube nach wie vor, dass es nützlich ist, im öffentlichen Leben klarzumachen, dass nicht jeder an Gott glaubt (und damit meine ich die allgemein gängige Definition von Gott, also nicht nur Gott als Synonym für das Unbekannte). Und ich finde es auch legitim sich der Nichtexistenz desselben, wenn auch nicht hunderprozentig, so doch ziemlich sicher zu sein. Von meiner Perspektive aus hat das nichts mit Borniertheit zu tun, denn wenn mir jemand Gottes Existenz beweisen würde, würde ich ja sofort meine Meinung ändern und ich meine, viele Atheisten ebenfalls.
    Dass Werbung jeder Art überall ist, ist leider so, langfristig bin ich auch für eine Kultur in der das nicht der Fall ist, aber solange es nun mal so ist, finde ich es kurzfristig wichtiger die Message rauszubringen. Da die Gottesbehauptung so willkürlich ist, hat in diesem einen Fall das parolenartige Auftreten sogar etwas sympathisches. Um etwas zu widerlegen für das es keine Beweise gibt, braucht man ebenfalls keine Beweise.

    Malibu Aircraft, April 19, 2009
  8. Irgendwie muss ich doch immer wieder über die Busse und die Plakate nachdenken.

    Trotz meines Statements, dass ich es borniert finde, seine Meinung über die Meinung Gottes öffentlich zur Schau zu tragen, hätte ich beispielsweise große Freude daran, mit einem T-Shirt durch die Gegend zu laufen, auf dem “GOD LOVES FAGS” geschrieben stünde (auch auf die Gefahr hin, damit vermutlich sehr irreführende Balzsignale zu geben).
    Wenn man mich fragen würde, ob das auch tatsächlich meine Meinung wäre, würde ich ehrlich bejahen können, denn wenn ich an einen Gott glaube, dann an einen, der all seine Geschöpfe liebt.

    Das ist aber noch nicht der Knackpunkt, denn dann könnte ich ja auch “GOD LOVES SQUIRRELS” auf das Textil drucken. Der Knackpunkt ist, dass ich ein solches Shirt nicht tragen würde, um meinen Glauben zur Schau zu stellen, sondern um mich in einem gesellschaftlichen Diskurs zu bekennen und zu positionieren. Das Hemd wäre weniger eine Aussage darüber, was ich von Gott, sondern mehr darüber, was ich von bornierten, christlichen Schwulenhassern halte.

    Und auch Dawkins und Konsorten geht es in meinen Augen nicht darum, einfach nur ihren Standpunkt zu verdeutlichen. Die Gesellschaft hat auch ohne Busaufschriften ein Bewusstsein für die Existenz des Atheismus. Dawkins sucht ständig nach einer Bühne für seinen Standpunkt, weil er glaubt, alle anderen Menschen wären mit seiner Sicht der Dinge besser dran.
    “Stop worrying and enjoy your life” mag positiv klingen, aber es impliziert, dass für gläubige Menschen der Glauben eine Bürde ist, der ihnen das Leben schwer macht. Aber was ist, wenn mir das Vertrauen auf die Existenz einer höheren Instanz das Leben stattdessen leichter gemacht hat?

    Sims Alabim, April 24, 2009
  9. Wem der Glaube persönlich hilft, ohne dass er dadurch jemand anderem schadet, der braucht sich auch nicht im geringsten angegriffen zu fühlen. Vielleicht seh ich das auch nur so eng, weil ich an mich selbst so mit 15 denke, als ich selber so mit meinem Glauben gerungen habe, aber den letzten Schritt ewig vor mir hergeschoben hatte, weil ich (vermutlich fälschlicherweise) annahm, dass es niemand in meinem Umfeld gibt, der einfach nicht an Gott glaubt. (Auch jetzt mag ich das Label “Atheimus” übrigens nicht wirklich, es erinnert mich irgendwie an Bin-kein-Tennisspieler oder so, also Namenfindung für ein Negativ, irgendwie seltsam, aber vermutlich sprachlich schon notwendig, um einigermaßen klare Tatsachen zu schaffen.) Damals hätte mir so ein Plakat vielleicht schon was gegeben. Möglicherweise aber auch nicht.
    Ich will jetzt auch nicht bis auf die Zähne die Buskampagne verteidigen (mir persönlich gefallen vor allem die Farben nicht). Nur meine persönliche Wahrnehmung ist zwar schon, dass gerade seit kurzem Atheismus im öffentlichen Diskurs präsent ist, aber halt immer noch lang nicht genug. Dabei geht es mir nicht darum, irgendwelche Leute von ihrem Glauben abzubringen. Aber darüber reden sollte man schon. Und klarmachen, dass nicht jeder Glaube schlecht ist, aber dass man Gott trotzdem nicht braucht.

    Malibu Aircraft, April 29, 2009