Sims Alabim; 2009-12-10
Neulich war ich beim Rathaus am Marienplatz. Ich wollte für das Volksbegehren für den Nichtraucherschutz in Bayern unterschreiben. Als ich gesehen habe, dass die Schlange die komplette Frontseite des Rathauses entlang ging, und dann um die Ecke verschwand, dachte ich schon, ich gehe wieder, ich wollte schließlich noch ins Kino. Als ich dann gesehen habe, dass die Schlange um die Ecke noch eimal so lang war und beinahe schon wieder die nächste Rathausecke erreichte, habe ich mich komischerweise angestellt. (Später habe ich dann gesehen, dass es spiegelverkehrt noch eine zweite, ebenso lange Schlange gab. Das Rathaus war also zu 75 % von Nichtrauchern “umstellt”).
Ich bin ja normalerweise weder ein Freund demokratischer Veranstaltungen noch habe ich einen besonderen Kick dabei, wenn ich mich irgendwelchen Tätigkeiten anschließe, denen sich alle anschließen. Diesmal war es anders. Diesmal hat es ungeheuer Spaß gemacht, sich inmitten zahlreicher Weihnachtseinkäufer solidarisch mit denen zu erklären, die an ihrem Feierabend eine Dreiviertelstunde wegen einer Unterschrift in der Kälte stehen. Buchstäblich im Minutentakt wurde man von Passanten gefragt, wofür man denn hier anstehe und ob es etwas umsonst gäbe. Eine Frau meinte im Vorbeigehen, sie müsse nicht unterschreiben, sie sei schließlich schon seit 20 Jahren Nichtraucher. Einige (vorzüglich junge, hippe Typen) demonstrierten “uns” gegenüber Genervtheit, weil es doch schließlich ätzend sei, Abends beim Weggehen ständig zum Rauchen rausgehen zu müssen.
Ich finde es erstaunlich, was man alles für Argumente gegen ein generelles Rauchverbot in Gaststätten und Clubs findet. Die armen Raucher würden ausgegrenzt, die Nachbarn belästigt durch den Lärm vor der Tür, die Straßenreinigung müsse mehr arbeiten wegen den ganzen Kippen auf dem Bürgersteig, die Wirte machten weniger Umsatz, und in den Discos würde der Schweißgeruch auf einmal so unangenehm deutlich zu Tage treten.
Im Vergleich zu dem simplen Gedanken daran, wie gesund es ist, Zigarettenrauch “aktiv” oder “passiv” (also freiwillig oder gezwungenermaßen) einzuatmen finde ich all diese Argumente lächerlich, und ich bin mir sicher, jeder andere würde das genauso empfinden, wenn Zigaretten in den letzten fünf Jahren erst erfunden worden wären, und eine kleine Lobby von Abhängigen das Recht einfordern wollte, diese Droge an öffentlichen Plätzen oder gar in Lokalen, am Ende noch in Anwesenheit von Kindern, konsumieren zu dürfen.
Der Vergleich mag übertrieben wirken, aber für mich ist ein Rauchverbot in Gaststätten ein so selbstverständlicher Schritt für das Allgemeinwohl wie die Abschaffung der Sklaverei oder die Einführung von Sicherheitsgurten. Neben dem Dosenpfand vielleicht eine der wenigen vernünftigen politischen Initiativen der letzten Jahre. Aber kaum haben ein paar Entscheidungsträger in der Politik endlich Mal ein wenig Eier gezeigt, schon wird überall Geschrei laut. Es gibt immer irgendjemanden, der dann “Umsatzeinbußen” zu beklagen hat, und das scheint ja in Bayern eines der schlimmsten Totschlagargumente überhaupt zu sein. Man kann ja alles machen, so lange nicht irgendwem irgendwo der Umsatz einbricht. Also rudert die Politik zurück, entschärft, weicht auf, lässt verblassen, was einst einem minimalen Standart von gesundem Menschenverstand entsprochen hat. Und nun stellen sich also die Menschen auf die Straße, um kund zu tun, dass es einen beträchtlichen Anteil nicht herumquängelnder, nörgelnder Staatsbürger ohne Umsatzeinbußen gab, die mit dem Nichtraucherschutz scheinbar ganz glücklich gewesen sind. Ich war einer davon, und deswegen hatte ich meine Freude daran, in dieser Schlange zu stehen, und mich dort zwischen wildfremden Menschen nicht alleine zu fühlen.
Ich will aber auf einen ganz anderen Punkt hinaus. Jenseits der Demokratieseligkeit, die einen in so einer Schlange überkommen kann, hat mir die ganze Sache nur wieder vor Augen geführt, wer in einer Demokratie eigentlich das sagen hat: Nicht das Volk, sondern der Teil des Volkes, der am lautesten schreit, wenn ihm was wehtut. Nicht das Volk will den Nichtraucherschutz, sondern diejenigen, denen er wichtig genug ist, dafür zur Unterschrift anzustehen. Die Meinung der schweigenden Mehrheit fällt eigentlich nicht ins Gewicht, weil die schweigende Mehrheit meistens keinen Bock hat, sich für irgendwas in die Schlange zu stellen, Initiativen loszutreten, und ein Großteil davon geht auch nicht zur Wahl. Und das beste ist: Wenn sie es doch einmal tut, gibt es danach viele, die sich wünschten, sie hätte es nicht getan.
Ich kenne Leute, die sonst immer davon herumtönen, wie wichtig es sei, sich am demokratischen Prozess zu beteiligen, die am Wahlsonntag den “hat gewählt”- Button bei Facebook anklicken, und die nun sagen, dass sie nach der Entscheidung der Schweizer gegen Minarette ihre Einstellung zu Volksentscheiden noch einmal überdenken müssten. Hoppla, liebe linksliberale studentische Mitte:Â Heißt das nicht, dass Demokratie nur dann toll ist, wenn die Ergebnisse auch so linksmittig ausfallen, wie man selbst gerne hätte? Was ist denn, wenn die Schweizer nun einmal antiislamistische Betonköpfe sind, die keine Minarette in ihrem Land haben wollen? Haben sie denn nicht das Recht dazu? Wenn in einer Demokratie tatsächlich das Volk regiert, muss diesem dann nicht auch grundsätzlich das Recht zugestanden werden, ein Volk von Arschlöchern zu sein, und dementsprechende Entscheidungen zu treffen?
Der Glaube an die Demokratie fußt auf drei unausgesprochenen Grundannahmen, die ich alle für sehr zweifelhaft halte: 1. Demokratisch getroffene Entscheidungen sind Mehrheitsentscheidungen. 2. Was die Mehrheit will, ist für die Mehrheit auch das beste. 3. Was das beste für die Mehrheit ist, ist fair, gerecht, und damit gut.
1. An jeglichem demokratischen Entscheidungsprozess, vom Volksentscheid bis zur Bundestagswahl, beteiligen sich immer nur diejenigen, die ein konkretes Anliegen haben, oder die noch genug Elan und Blauäugigkeit besitzen, um an die Möglichkeit echter politischer Veränderung zu glauben. Nun könnte man sagen, dass die Beteiligung ja dennoch jedem offen steht, und wer auf sein Recht verzichtet, die Stimme abzugeben, ist halt selbst schuld. Diese Sichtweise ist berechtigt, aber dann hieße das letztlich: Demokratie ist ein Club, in dem nur die Mitglieder entscheiden, was auf den Tisch kommt, während man diejenigen ignoriert, die mit der Speisekarte von Anfang an unzufrieden waren. An einer Wahl beteiligt sich nämlich nur, wer das, was zur Wahl steht, für bedeutsame Alternativen hält. Und dabei geht es nicht nur darum, an welchen Alternativen es oft mangelt, sondern auch, worüber man uns überhaupt Entscheidungsmöglichkeiten in die Hand gibt. Ich würde ja behaupten, dass viele der Schweizer, die sich gegen den Bau von Minaretten entschieden haben, diesen Standpunkt nur eingenommen haben, weil man ihnen überhaupt eine Wahl angeboten hat. Hätte es den Volksentscheid nicht gegeben, wäre es vielen von ihnen doch scheißegal gewesen, wer da irgendwo ein Minarett hinbaut. Jetzt aber kann die konservative “Volkspartei” so tun, als sei dies dem Volk schon immer ein großes Anliegen gewesen.
2. Nehmen wir einmal an, man würde aus Punkt 1 die Lehre ziehen, dass ein Volksentscheid nur Volksentscheid genannt werden kann, wenn nicht irgenein prozentualer Anteil der Bevölkerung, sondern 100% aller Wahlberechtigten ihre Stimme dazu abgeben. Jeder von uns würde per Post einen Stimmzettel bekommen und müsste seine Haltung zum Thema “Rauchen in der Kneipe” in die Form eines Kreuzchens in einem von zwei Kästchen gießen. Nehmen wir weiterhin an, die Raucher befänden sich in unserem Land in einer eindeutigen Mehrheit und hätten keinen Bock, zugunsten quengelnder Astmathiker und Kinder (die eh ins Bett und nicht in die Kneipe gehören) zum Rauchen immer vor die Tür zu gehen. Nehmen wir also an, ein ganzes Volk würde mit eindeutig feststellbarer Mehrheit seine Ãœberzeugung kund tun, dass auch weiterhin überall geraucht werden darf, wo getrunken und gefeiert wird. Hat das Volk sich damit auf lange Sicht tatsächlich einen Gefallen getan?
3. Noch einmal zu den Minaretten. Nehmen wir sie einmal, Debatten über den generellen Wert von Religion und das Blabla über “islamistischen Terror” einfach außen vor lassend, als Symbol für die Möglichkeit einer eingewanderten Minderheit, ihre Kultur inmitten eines Landes auszuüben, in dem eigentlich eine andere Kultur vorherrschend ist; einfacher gesagt, als Symbol für Toleranz. Alle, die sich jetzt für das Schweizer Volk schämen, sind (meiner Meinung nach zurecht) der Ansicht, Toleranz sei ein ethisch und moralisch hochstehender Wert, eine Tugend, die wir in Zukunft dringend brauchen werden, um tödliche Konflikte zu vermeiden, und die wir daher pflegen sollten. Dennoch kann es durchaus denkbar sein, dass es den Schweizern faktisch besser geht, wenn sie unter sich bleiben, und Islamisten gar nicht erst ins Land lassen. Lasst uns also einmal annehmen, die Schweizer hätten in diesem Punkt nicht nur tatsächlich mehrheitlich, sondern auch tatsächlich zu ihrem eigenen Besten entschieden – auch wenn wir diese Entscheidung zurecht als intolerant erkennen. Haben wir jetzt das Recht, ja nicht sogar die Pflicht, dagegen zu gehen? Brauchen die Schweizer eine Lektion in Sachen Offenheit und Toleranz? Nicht, damit es ihnen besser geht, sondern damit die Welt in 500 Jahren vielleicht ein besserer Ort geworden ist? Hätte man also das moralische Recht, einen Volksentscheid zu übergehen, wenn man ihn für unmoralisch hält?
Wer jetzt ja sagt, muss zugeben, dass er nicht wirklich an Demokratie glaubt, in der alle Macht vom Volke auszugehen hat. Wer nein sagt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass die Politik, die er verteidigt, den Pragmatismus über den Idealismus stellt.
Ich für meinen Teil möchte an dieser Stelle die kühne und erst noch zu beweisende Behauptung aufstellen, dass die wenigsten Schritte, die der Mensch im Laufe seiner Geschichte hin zu einer freien und gerechten Gesellschaft unternommen hat, durch demokratische Entscheidungen und Prozesse zustande gekommen sind. Um Sklaven zu befreien, um die Apartheid abzuschaffen, um eine Gleichberechtigung von Mann und Frau zu erreichen, um behinderte Menschen in unsere Gesellschaft einzugliedern, und um irgendwann auch die Todesstrafe oder dieses scheiß Nikotin endlich loszuwerden, brauchen wir mehr als Unterschriftenlisten, Volksentscheide und Parteien, deren Regierungszeit von der Popularität ihrer Entscheidungen abhängt.
Die meisten Menschen, denen ich so etwas sage, legen mir daraufhin nahe, einen besseren Vorschlag zu machen. Ein Regierungssystem zu entwerfen, das die Möglichkeit hat, gegen den Willen eines Volkes aber dennoch in dessen Sinne zu entscheiden, und dem nicht die Gefahr innewohnt, zur Diktatur zu verkommen. So ein Konzept habe ich leider nicht in der Schreibtischschublade. Das hindert mich aber nicht daran, die gefeierte Demokratie trotzdem scheiße zu finden. Sie ist nicht demokratisch genug, um Korruption, Klüngelei und Lobbyismus in den alltäglichen Entscheidungen zu verhindern, aber auch nicht “diktatorisch” genug, um langfristige Entscheidungen treffen zu können, die möglicherweise unpopulär, letztlich aber ethisch gut und richtig sind. Deswegen haut das mit dem Atomausstieg und dem Klimaschutz auch nicht hin: Keine demokratische Regierung bleibt lange genug an der Macht, um die notwendigen Entscheidungen notfalls gegen den Willen des Volkes bis zum Ende ausfechten zu können (geschweige denn gegen den Willen der Leute mit den “Umsatzeinbußen”).
Die Lust auf Könige haben uns die Diktatoren ausgetrieben – also lassen wir uns von Krüppeln regieren, und ab und zu, wenn dabei zu wenig für uns abfällt, ersetzen wir einen Krüppel gegen den nächsten, geben ihm genauso viele Möglichkeiten, kurzfristig viel zu verbocken und genauso wenig Macht, langfristig viel zu verändern. Weil es damit nicht getan sein kann, wird es wohl noch lange dauern, bis ich auf Facebook den “hat gewählt”- Button anklicke. Lieber unterschreibe ich noch auf vielen anderen Listen, die leider meistens nicht die nötige Stimmenanzahl bekommen, um überhaupt ernst genommen zu werden. Ich beruhige mich damit, dass ich mir sagen kann: Weder heißt das Scheitern einer Bürgerinitiative, dass ihre Ziele falsch waren, noch heißt ein Volksentscheid, dass das Volk eine vernünftige Entscheidung getroffen hätte. Im Kasperletheater der Politik ist das leider alles relativ.
Malibu Aircraft; 2009-10-24
Vor einiger Zeit habe ich hier in einem Anfall akuten Mitteilungsbedürfnisses meine Mail an Jürgen Boos, den Direktor der Frankfurter Buchmesse, gebloggt. Es ging um die Art wie mutige Menschenrechtler aus China kurzfristig, aufgrund von chinesischem Verlangem, von einem Vorab-Symposium zur Frankfurter Buchmesse ausgeladen wurden. Wegen öffentlichem Protest wurden sie dann wieder eingeladen. Die chinesische Delegation wurde darüber nicht informiert, worauf diese während der Ansprache der Menschenrechtler den Saal verlies. In der ersten Stellungsnahme von Boos klang es, als täten ihm die Delegierten mehr leid als Dai Qing und Bei Ling, was mich damals aufregte. Doch kurz darauf veröffenlichte Boos im Internet eine weitere Stellungsnahme in der er unter anderem schrieb:
Das offizielle China sagte uns in der Person des ehemaligen Botschafters Mei Zhaorong auf dem Symposium: “Wir sind nicht gekommen, um uns über Demokratie belehren zu lassen.” Demokratie und Meinungsfreiheit haben immer mit Reibung zu tun und der Eklat am Wochenende war nur der Anfang einer demokratischen Auseinandersetzung, die auf den Ehrengast China zukommt. Die Frankfurter Buchmesse bietet zwar keine Belehrung in Demokratie, aber sie ist gelebte Demokratie. Das sind die Spielregeln der Frankfurter Buchmesse.
Der Kompromiss unseres Projektleiters, mit den Autoren Dai Qing und Bei Ling zu sprechen und ihnen eine Alternative zum öffentlichen Auftritt auf dem Symposium nahe zu legen, war falsch. Dafür habe ich mich bei den Autoren und der Öffentlichkeit entschuldigt. Kompromisse zu Lasten der Meinungsfreiheit gibt es mit der Frankfurter Buchmesse nicht.
Auch ich bekam am 23.9. eine Antwort eines Stellvertreters von Boos, in der es unter anderem hieß:
Ich kann gut nachvollziehen, dass die Medienberichterstattung im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse für Kritik und Fragen gesorgt hat.
[…]
Die Frankfurter Buchmesse bietet ein Podium für die gesamte Vielfalt und Bandbreite aller Stimmen zu dem diesjährigen Ehrengast China. Während der Buchmesse werden sich rund 500 Veranstaltungen mit China und seiner Literatur beschäftigen. In etwa zu gleichen Teilen werden sowohl Vertreter der Volksrepublik China als auch Regimekritiker und in China und anderen Ländern lebende Minderheiten teilnehmen. […]
Seien Sie versichert: Die Frankfurter Buchmesse ist und bleibt ein Ort des freien Wortes und des freien Gedanken- und Meinungsaustausches. Sie ist dabei noch nie den Weg des geringsten Widerstandes gegangen und wird es auch in diesem Jahr nicht tun.[…]
All das hört sich gut und einigermaßen einsichtig an. Und ohne Frage ist es nicht einfach, so ein Event zu veranstalten, schon gar nicht wenn man sich “Dialog” auf die Fahne geschrieben hat.
Letzten Sonntag wurden nun Bei Ling und Dai Qing wieder kurzfristig von einer Abschlussveranstaltung ausgeladen. “Laut Dai Qing habe Ripken [der China-Projektleiter] ihr eine Viertelstunde vor Beginn der Veranstaltung gesagt, das Auswärtige Amt als Mitveranstalter des Empfangs wünsche ihren Auftritt nicht.” (Focus online) Der Projektleiter wurde inzwischen gefeuert.
Die ganze Farce lässt einen fragen, was mit “Dialog” eigentlich gemeint ist. In wie weit kann man mit Repräsentanten einer Diktatur in Dialog treten, die nicht nur im eigenen Land für Ungerechtigkeit und Grausamkeit sorgt, sondern auch blind andere Horror-Regimes, wie Iran, Sudan oder Nordkorea, mit Waffen versorgt, und gleichzeitig regelmäßig verhindert, dass die UN bei Verbrechen dieser Länder einschreitet.
Auf der anderen Seite gibt es die, welche sich so wahnsinnig gerecht vorkommen, indem sie von China am liebsten überhaupt nichts hören wollen. Nicht mit ihnen verhandeln, nichts hören wollen von der faszinierenden Kultur oder Geschichte dieses Landes und am besten nicht nur nicht mit China-Offiziellen, sondern mit überhaupt keinem Chinesen reden. Und wenn man mal mit einem redet, dann drückt man ihm am besten gleich den Finger auf die Brust: “Na, warum macht ihr denn da drüben nichts gegen eure miese Regierung? Macht doch mal Aufstand!” Genau die gleichen Leute, die sich dort wahrscheinlich ausschließlich auf ihre Karriere konzentrieren würden.
Aber warum auch nicht, wenn einem bei, wohlgemerkt offenem, Protest ein völlig ungewisses Schicksal droht? Ich weiß auch nicht, was ich machen würde. Wahrscheinlich würde ich mich gar nichts trauen. Aber gerade deshalb muss man Menschen wie Bei Ling und Dai Qing verdammt nochmal auf Händen tragen, wenn sie hierher kommen. Und sie nicht mit genau dem Gefühl gehen lassen, mit dem sie jetzt wahrscheinlich gegangen sind.
Cabuflé; 2009-10-23
In einem zweiteiligen Artikel auf Telepolis hat Hans Schmid sich recht ausführlich und angemessen polemisch mit der fragwürdigen Praxis der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien auseinandergesetzt. Unbedingt lesenswert.
Teil 1: Kasperltheater, Folterpornos und Zensoren – Die Nouvelle Vague des Horrorfilms in den Krallen deutscher Jugendschützer
(…) An den Indizierungsentscheidungen fällt mir die Sicherheit des Urteils auf. Diskussionsbedarf bestand offenbar nur hinsichtlich der Frage, ob ein Film in Liste A oder Liste B eingetragen werden soll und ob Frontière(s) zum Rassenhass anreizen und das NS-Regime verherrlichen könnte, weil das sabbernde Familienoberhaupt der Kannibalen früher bei der SS war (eher nicht, befand das Gremium). Mir ist diese Meinungsstärke leider nicht gegeben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die genannten Filme gut oder schlecht finde und ob ich sie empfehlen würde, wenn ich das dürfte. Bei mir ist die Meinungsbildung ein Prozess. Als Jugendschützer wäre ich ein Versager, denn von vornherein weiß ich so gut wie gar nichts (beim 3er-Gremium ist das ganz anders). (…)
Teil 2: Böse Filme zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz – Wie eine Bundesoberbehörde die Vorgaben des höchsten deutschen Gerichts befolgt
(…) Die BPjM ist doch noch fündig geworden. Nicht bei der Wissenschaft oder im Feuilleton von Zeitungen und Zeitschriften, sondern im Kommentarteil von Internet-Versandhändlern. Eine seiner 12 Textseiten zu A l’intèrieur füllt das 3er-Gremium mit den “Filmrezensionen” von “blade41”, “Mr. Vincent Vega” und “McHolsten”. Mit Verlaub: Das ist Realsatire. Solche Kommentare von Internet-Usern sind völlig legitime Meinungsäußerungen, aber Filmrezensionen sind es in aller Regel nicht. Ich will überhaupt nicht ausschließen, dass Mr. Vincent Vega & Co. eine solche Rezension schreiben könnten (dazu gehört, dass man nicht nur eine Meinung hat, sondern diese auch begründet), aber sie haben es nicht getan, weil es nicht verlangt war. Wenn die BPjM so tut, als erfasse sie “Echo und Wertschätzung in Kritik und Wissenschaft”, indem sie ein paar Sätze von McHolsten zitiert, ist das eine Travestie. (…)
Cabuflé; 2009-09-21
Buddhisten und Sozialpädagogen haben es schon immer geahnt: In Wirklichkeit suchen diese bösen Männer, die uns alle in die Luft sprengen wollen, nur ein bisschen Liebe und Zuneigung…
Cabuflé; 2009-06-26
DISCLAIMER: Ich fühle mich genötigt nochmal zu betonen, dass ich ein Freund des Rechtes am geistigen Eigentum bin. Und sogar die Idee, dass eine zentrale Stelle das Kassieren und Verteilen von Tantiemen übernimmt, ist ja auf den ersten Blick nicht die Schlechteste.
Allerdings darf als bekannt vorrausgesetzt werden, dass Organisationen ab einer gewissen Größe – zumal wenn ihnen von staatlicher Seite eine Alleinstellung quasi garantiert ist – dazu neigen im Besten Falle bürokratische Ungetüme zu werden, im schlimmsten Fall dekadent und korrupt. Die Gema in ihrer jetzigen Form tut für das Gros der Musiker ungefähr so viel wie Gewerkschaften für Arbeitnehmer.
Beispiele dafür hat Jens Berger auf Telepolis zusammengetragen:
Wenn ein Künstler auf einem von ihm selbst veranstalteten Konzert seine eigene Musik spielt, so muss er die Gebühren für seine eigene Musik an die GEMA abführen und bekommt – im besten Fall – seine Gebühren, abzüglich der Verwaltungskosten der GEMA, zurück. Dieser “beste Fall” tritt jedoch eher selten auf. (…) Selbst wenn die Konzerte gut besucht sind, fließt oft weniger Geld an den Künstler zurück, als ihm eigentlich zustehen würde. (…) ein Hauptteil der GEMA-Einnahmen landet im “großen Topf” und aus ihm werden vor allem die Künstler bezahlt, die im Radio rauf und runter gespielt werden und die in den Verkaufshitparaden auf den obersten Plätzen stehen. Die Abgaben, die Konzertveranstalter für eine junge Nachwuchsband abführen müssen, landen so über die Umverteilungsmaschinerie der GEMA in den Taschen der Bohlens und Grönemeyers. (…)
Wenn der Veranstalter es nicht schafft, genügend Zuschauer für zu sein Konzert zu begeistern, so ist er doppelt gestraft. Ihm entgehen nicht nur Eintrittsgelder und Einnahmen aus dem Getränkeumsatz, er muss auch genauso viel GEMA-Gebühren abführen, wie bei einer ausverkauften Veranstaltung. Immer mehr Kneipiers oder Kleinveranstalter scheuen dieses Risiko und bieten entweder gar keine Live-Musik mehr an, wenn sie sich nicht sicher sein können, dass das Konzert sehr gut besucht ist, oder legen die GEMA-Gebühren auf die Künstler um.
Für Nachwuchskünstler ist es allerdings auch nicht eben attraktiv, wenn sie bei ihren Konzerten nicht nur kein Geld bekommen, sondern sogar Geld mitbringen müssen. Die Geschäftspraktiken der GEMA fördern so direkt und indirekt die Monokultur des Mainstreams.
Eine online-Petition zu eben dieser Problematik hat vor ein paar Tagen die 50.000er Grenze überschritten, wonach der Bundestag verpflichtet ist, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Wie ernst man dort derartige Eingaben nimmt, war ja erst kürzlich beim Thema Internetsperren zu beobachten. Da zu hoffen bleibt, dass dem Thema in diesem Rahmen eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird, mag sich das Zeichnen der Petition dennoch lohnen.
Cabuflé; 2009-06-20
Grafik: Mediengestalter [via]
Ich habe gerade eine Stunde lang versucht, mir endlich auch eine fein ziselierte Polemik zu der Farce um das vorgestern verabschiedete Gesetz zur Schaffung von Internetsperren aus den Rippen zu leiern. Drauf geschissen. Spreeblick hat die Eckdaten und lesenswerte Links, der Freischwimmer [via] die vollständige namentliche Liste jener wahlweise ignoranten, opportunistischen oder paranoiden Politclowns, die alle zusammen nicht so viel essen können, wie ich kotzen möchte.
Im Ãœbrigen sei auf die Möglichkeit hingewiesen, dem Bundespräsidenten, ohne dessen noch ausstehende Unterschrift das Gesetz bekanntlich nicht in Kraft treten kann, einen Gruß im Gästebuch zu hinterlassen und jenen, denen immer noch nicht klar ist, worum es hier eigentlich geht, Oliver Jungens Artikel in der FAZ [via] ans Herz gelegt.
Cabuflé; 2009-06-13
Liebe deutsche Kulturfuzzis und Kassenköppe!
Sagt mal: Nen Clown gefrühstückt? Die Pillen nicht genommen? Saure Latte im Macchiato? Zu viel killergespielt? Nein? Aber sonst geht’s noch gut, ja?
Der freundliche Offsprecher der Kulturzeit rät euch aus aktuellem Anlass:
Vielleicht sollte sich die Kultur also ein Beispiel nehmen an Opel und Co. und ganz selbstverständlich Rechte in der Politik einfordern, statt im vorauseilenden Gehorsam zu fürchten, dass die Etats schrumpfen.
Als ob nicht im Gegenteil die Warenwirtschaft diese schlechte Angewohnheit – ähnlich wie das Ausbeuten ewiger Praktikanten – vielmehr von euch abgeschaut haben könnte.
Als ob nicht seit Jahrzehnten ein ewiges Jammern gleich Muezzinsrufen aus den Elfenbeintürmen schallte, der Staat möge doch bitte, nein er müsse, sei moralisch verpflichtet, die Kultur zu fördern, ergo eure Mäuler zu stopfen, eure Leiber zu kleiden und eure freundlichen hellen Altbauwohnungen in ruhiger Lage zu heizen, weil ihr selbst euch dessen außer Stande seht.
Da unsere Volksvertreter nun so nebenbei ins Grundgesetz schrieben, sie würden dann in zwölf Jahren mal aufhören mit dem Schuldenmachen, setzt ihr noch einen drauf, und statt die Obrigkeit deswegen zu verhöhnen, wie es den Dichtern und Gauklern zu Gesicht stünde, tut ihr mit ernster Miene so als habe dieses Musterbeispiel an politischer Effekthascherei tatsächlich irgend etwas zu bedeuten und schreit mit der euch eigenen Versorgungsmentalität noch etwas lauter als sonst.
Im Gestus des satten Arschlochs westlich-mittelständischer Provenienz, dem der Strom aus der Steckdose kommt und das Essen vom Supermarkt meint ihr, der Staat solle um Himmels Willen weiter misswirtschaften, bevor ihr nur eine Probebühne schließen müsstet, nur ein Symposium weniger abhalten, oder jenen bürokratischen Wasserkopf trockenlegen, der ohnehin mehr als die Hälfte aller Gelder verschlingt, ehe sie bei den Künstlern ankommen.
Und einmal mehr sollt ihr euch deshalb von mir und Meinesgleichen fragen lassen:
Ist es euch jemals in den Sinn gekommen, dass der Konsum von Kulturgütern irgendeiner Art zwar ein Menschenrecht sein mag (und der HartzIV-Satz unter anderem deshalb menschenunwürdig ist, weil er Empfänger eben davon ausschließt), das Schaffen von Kulturgütern zum Broterwerb jedoch ein Luxus?
Dass Kunst, die zu anderem gut ist als nur den Pöbel zu belustigen (und den Pöbel Belustigen ist keine Schande – es ist ehrliche harte Arbeit, für die der Pöbel letztlich immer einen angemessenen Preis zu zahlen bereit sein wird), dem Künstler letztlich Lohn genug zu sein hat, ein Ding von Leidenschaft und Ehre und nicht ein Dienst, den man irgendjemandem – und zuallerletzt dem Staat – erweist?
Dass Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf also ein wünschenswerter Nebeneffekt solcher Kunst sein mögen, aber niemals deren eigentliches Ziel und noch weniger deren Bedingung?
Dass jeder Künstler, der sich von öffentlichen Geldern und somit letztlich dem Wohlwollen der Herrschenden abhängig macht, freiwillig sein edelstes Recht, namentlich die Freiheit von staatlicher Einflussnahme aufgibt?
Eure geistige Armut kotzt mich an. Ihr habt nichts begriffen.
Wer sich zu fein ist, im Zweifel entweder den Pöbel zu belustigen oder kellnern zu gehen, hätte mal lieber was Anständiges lernen sollen!
Herzlichst
Euer Cabuflé
Malibu Aircraft; 2009-06-04
Normalerweise finde ich Besprechungen einzelner Politikerreden eher ermüdend. Aber wenn eine Rede vom amerikanischen Präsidenten als Ansprache an die „muslimische Welt“, zwei zusammen völlig bedeutungslose Worte, in der Hauptstadt eines autoritären, pseudodemokratischen Polizeistaates, in dem die Hauptgesetzesquelle die Scharia ist, angekündigt wird, dann ist es vielleicht doch wert, ein bisschen genauer zu schauen. Im Prinzip ist an der Rede nichts falsch, außer dem, was man auch vorher schon vermuten konnte. Und es nichts dran zu rütteln, dass Obama ein guter und angenehmer Sprecher ist.
Das Hauptproblem ist, dass gleichzeitig Klischees und Vereinfachungen bekämpft werden sollen, während sie gebaut werden. Es gibt eine muslimische Welt noch weniger als es eine christliche Welt gibt. Schiiten, Sunniten, Wahhabiten, Sufiten, Aleviten, usw. bekämpfen sich nicht nur gegenseitig, sondern auch untereinander. Wenn man den Irak beispielweise nach Religionsrichtungen aufteilen würde, hätte man bestenfalls lauter Ministaaten von der Größe kleiner Städte.
Obama weiß das natürlich, deswegen ist es ja auch nur eine symbolische Rede und letztendlich nicht mehr als eine Mischung aus allgemeinen Schmeichelein und ein paar Dingen, die zwar nicht neu sind, aber auch nicht zu wenig gesagt werden können.
Aber ob es gut ist, ein Bild eines nicht-existenten einheitlichen Islam zu zeichnen und dabei Kultur mit Religion quasi gleichzusetzen, während demokratische und säkulare Werte implizit als „westlich“ gebrandmarkt werden, wage ich zu bezweifeln.
Malibu Aircraft; 2009-06-04
Homöopathie wird in der Regel mit den ähnlichen Argumenten verteidigt, mit denen auch Aberglaube und Religion gerechtfertigt werden soll. Wenn’s hilft, wo ist das Problem? Das Warum spielt keine Rolle mehr, subjektives Erleben wird zum ultimativen Kriterium erhoben und es kümmert auch nicht, dass es ehrlichere Wege gibt, die Kraft des Unbewussten zu nutzen, wie Hypnose. (Ehrlich, weil das Grundkonzept der Hypnose nicht auf übersinnlichen Unfug zurückgreifen muss, was einzelne Hypnotiseure behaupten, steht auf einem anderen Blatt.) Und schließlich haben jetzt sogar die Schweizer per Volksvotum die “Komplementärmedizin” in ihre Verfassung verankert, was die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen gleich dazu veranlasste etwas ähnliches für Deutschland zu fordern. Es wird mal wieder angeführt, dass Akupunktur in manchen Studien höhere Erfolgsquoten erzielte als konventionelle Behandlungsmethoden, teilweise fast doppelt so hoch. Was natürlich gerne verschwiegen wird ist, dass Fake-Akupunktur, wo Nadeln einfach irgendwo hin gestochen werden, genauso gut abschneidet. Das ganze ist also vielmehr ein Beweis für die erstaunliche Heilungskraft unseres Unbewussten, welche durch verschiedene, ehrliche Ansätze viel mehr genutzt werden sollte. Darunter fällt z.B. auch ein respektvolles und verständnisvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient, was das reguläre Krankensystem von den “Alternativen” sicher teilweise lernen könnte. Der Placebo-Effekt ist keineswegs der Dummen-Bonus, den Leichgläubige für ihre Naivität einsacken. Er ist ein Beweis, dass die Psyche auch bei körperlichen Schwierigkeiten über beeidruckende Heilungskräfte verfügen kann. Warum es aber nicht nur moralisch verfänglich sondern gefährlich ist, beispielsweise Homöopathie als mehr als die Abzocke mit beleidigend hirnrissiger pseudo-wissenschaftlicher Erklärung zu bezeichnen, die sie ist, zeigt dieser Brief, in dem Ärzte und Forscher die WHO mehr oder weniger anflehen, Homöopathie zu verurteilen. Denn die Behauptungen, die hier vielleicht zu “ganz harmlosen komplementären Maßnahmen” führen, schüren besonders in Entwicklungsländern falsche Hoffungen und können katatrophale Auswirkungen haben.
Zwei Zitate aus dem Brief:
“The aggressive stance some homeopathic practitioners take towards life-saving drugs for HIV, TB, malaria and other diseases that ravage the developing world is irresponsible, patronising and unnecessary. We should not deny people in developing countries access to the full facts and to high-quality scientific evidence.”
“The catastrophic consequences of promoting irrational and ineffective treatments for serious illnesses have been demonstrated in South Africa, where Thabo Mbeki’s policies have led to an estimated 365,000 unnecessary premature deaths. The prospect of replicating this reckless behaviour elsewhere in developing countries by advocating homoeopathic treatments for AIDs and other potentially lethal conditions is appalling. I hope that the timely intervention by the Voice of Young Science Network will help to pre-empt a public health disaster. It illustrates the importance of young scientists, torchbearers for a better future, taking a stand and speaking out.”
|