Beziehungen sind wie Apple-Rechner


Sims Alabim; 2009-03-16

1. Jeder glaubt, sie wären besser als die Alternative. Wer das Gegenteil behauptet, ist nie ganz glaubwürdig. Die Wenigsten aber können gut genug damit umgehen, um die Vorteile wirklich zu nutzen. Wenn sie neu sind, sind sie toll, doch bald geht der Stress los. Man gibt ungern zu, wie viele Mängel sie haben, und wie kümmerlich die Serviceleistungen des Herstellers sind.

2. Sie kommen in jedem Hollywoodfilm vor.

3. Die Alternative ist leider auch nicht besser.

Spaß mit der Wünschelrute


Sims Alabim; 2009-03-06

Nachdem ich darum gebeten wurde, mich über Wünschelruten zu informieren, habe ich das getan und bin auf die “Skeptiker” von GWUP gestoßen, und auf einen lustigen Fernsehbeitrag, in dem Wünschelruten als Humbug entlarvt werden.

Zunächst: Persönlich habe ich keine Meinung zu Wünschelruten. Weder bin ich davon überzeugt, noch hat es für mich jemals einen Grund gegeben, ihre Funktionsweise anzuzuweifeln. Wer aber der Meinung ist, der unumstößliche wissenschaftliche Nachweis durch GWUP müsse mich nun eindeutig vom Aberglauben bekehrt haben, der irrt. Ich werde jetzt einmal so tun, als wäre ich fest von dem Funktionieren von Wünschelruten überzeugt, und ein paar Gründe nennen, warum an dieser Überzeugung dann so leicht nicht zu rütteln wäre, wie die Schulweisheit sich das gerne erträumt. Schon Weiland Fox Mulder hat auf die Frage, warum er so hartnäckig an UFOs glaube, geantwortet: Because all the evidence to the contrary is not entirely persuasive.

Um die Pointe gleich vorwegzunehmen: Ich will damit keine Lanze für Wünschelruten brechen, sondern nur aufzeigen, dass auch die Gegenposition letzlich nur eines ist: another belive-system.

Das fängt ja schon bei der Frage an: Wer ist überhaupt aufgebrochen, um etwas über Wünschelruten herauszufinden? Waren es unvoreingenommene, neugierige Wissenschaftler? Nein, es waren Angehörige einer Gruppe von “Skeptikern”, die Homöopathie im selben Atemzug mit UFO-Sichtungen nennen, und von denen man erwarten darf, dass sie schon vor dem Experiment von seinem Ausgang überzeugt waren.

Rudolf Steiners Begriff der „Geisteswissenschaft” wird immer wieder mit dem Argument kritisiert, er sei ein Oxymoron: Der Geist als solches sei ein (Wunsch-) Gedankenkonstrukt, dass sich der physischen Wahrnehmung entziehe und deshalb auch nicht wissenschaftlich untersucht werden könne. Witzigerweise kann man dieses Argument umgekehrt auch auf die Grundprämisse von GWUP anwenden: Wissenschaftler, die versuchen, auf der Ebene der Wissenschaft Dinge zu widerlegen, die dadurch definiert sind, dass sie dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nach jenseits wissenschaftlicher Erklärungen liegen. Deren unausgesprochenes Kredo lässt sich meist auf folgenden Gedanken herunterbrechen: Was nicht beweisbar ist, existiert nicht. Von dieser ausgehend, wirken die Argumente der Wissenschaft plausibel.

Nur: So gemein das auch ist, wenn ich die Existenz von etwas nicht beweisen kann, habe ich sie damit noch nicht widerlegt. Die Frage ist also: Liefert die Wissenschaft überzeugende Erkärungen dafür, warum der Glaube an so viel Nichtexistentes in der Evolutionsgeschichte des menschlichen Gedankengutes so ungeheuer erfolgreich ist?

Kommen wir aber nun zu dem Fernsehbeitrag. (Da ich mich hauptsächlich auf diesen und nicht auf die Textpassagen beziehe, wollen wir dafür fairerweise außen vor lassen, dass allein aufgrund ihres Entstehungsprozesses dem Inhalt von Fernsehbeiträgen weitaus mehr Skepsis entgegenzubringen ist, als schriftlichen Publikationen).

Was mich überzeugt ist die Erklärung des Geologen, es gäbe gar keine Wasseradern, weil hier ein Experte auf dem Gebiet seines Expertenwissens argumentiert. Nur weil es aber keine Adern gibt, muss das zwangsläufig schon heißen, dass es nichts gibt, was Wünschelruten aufspüren können? Könnte es denn nicht sein, dass auf dieser Welt Kräfte wirken, in Ermangelung besseren Wissens bis Dato als “Wasseradern” erklärt, die zwar wissenschaftlich noch nicht erfasst, einem Menschen mit der entsprechenden geistigen Disposition jedoch vermittels Wünschlruten, Pendeln o.ä. zugänglich sind?

Das hat der Labortest nämlich nicht widerlegt. Der Labortest hat lediglich bewiesen, dass zwei Wünschelrutengänger nicht in der Lage waren, einen vollen Wassereimer unter 12 leeren Wassereimern herauszufinden.

In anderen Gebieten der Wissenschaft ist es längst offen ausgesprochenes Gedankengut, dass eine Laborsituation immer Einfluss auf das Ergebnis hat, egal um wie viel Neutralität man sich bemühen mag. Und ein zugedeckter Wassereimer in einem sterilen Labor ist doch was anderes, als irgenwelche Kräfteverhältnisse in der freien Natur.

Was gar nicht zur Sprache kam: Das Ergebnis der Wünschelrutengänger lag nicht nur daneben, es lag signifikant daneben. In beiden Fällen hieß es: Allein durch das Zufallsprinzip hätten die beiden Männer mehr Treffer haben müssen. Nun könnte man daraus auch ableiten, dass die Methode der Wünschelrutengänger schon einmal nicht auf das Zufallsprinzip beruht, sondern sie offenbar in der Laborsituation sogar richtiggehend fehlgeleitet hat. Das ist nun schon interessant: Hätten die beiden das Wasser aufspüren können (was stochastisch natürlich noch unwahrscheinlicher, dennoch aber nicht unmöglich ist) wären die Versuchsleiter bereit gewesen, dies als Beweis zu akzeptieren, und hätten dafür sogar eine hohe Summe bezahlt. Die signifikant niedrige Trefferquote ist ihnen jedoch Beweis für gar nichts, weil sie ihren Erwartungen entspricht, und sich die damit zusammenhängende Schadenfreude on screen auch gut macht.

Warum aber waren die Herren mit Wünschelrute und Pendel so überzeugt von sich selbst? Haben die beiden wirklich aus reiner Geldgier ein Lottospiel versucht? Immerhin sind sie das Risiko eingegangen, vor laufender Kamera und damit in der breiten Öffentlichkeit ihre Reputation und ihre Karriere zu ruinieren. Wären sie Schwindler, hätten sie sich auf den Deal niemals eingelassen. David Copperfield erfüllt auch keine Publikumswünsche.

Irgendwie müssen die beiden also geglaubt haben, dass ihre Methode funktioniert. Die Erklärung, die GWUP dafür liefert: Die Männer waren unbewusst selbst für die Bewegung ihrer Wünschelrute bzw. ihres Pendels verantwortlich. Dort, wo eine Reaktion erwartet werde, würden minimale Bewegungen der Wünschelrute als Ausschlag interpretiert, durch die Erregung über den Ausschlag entstünden dann unbewußte Bewegungen der Hand, die sich weiter auf die Wünschelrute übertragen und zu einem verstärkten, nun als eindeutig wahrgenommenen Ausschlag kulminieren würden.

Ich stehe damit vielleicht allein da, aber ich muss einfach sagen: Die Vorstellung, das Menschen sich ein Leben lang derartig selbst bescheißen und so wenig psychische Kontrolle über ihre Physis haben, sich damit bis zu dem Labortest jedoch irgendwie durchschlagen konnten, halte ich persönich für ebenso abenteuerlich wie die von herumwabernden Kraftfeldern, die sich mit Pendeln und Wünschelruten aufspüren lassen. Sicherlich mag diese psychologische Wirkung ein Teil des ganzen Spaßes mit Wünschelruten sein, aber reicht sie über alle Einzelfälle hinweg als Erklärung dafür aus, warum sich dieser Aberglauben seit 500 Jahren gehalten hat?

Weil das offenbar auch die Wissenschaft nicht so ganz überzeugt, wird noch eine zweite Erklärung herangezogen: Dass Gustav Freiherr von Pohl 1930 in einem Dorf nämlich gelungen ist, was im Labor immer fehlschlägt, nämlich allein anhand einer Wünschelrute exakt zutreffende Aussagen über die Krebserkrankungen in einer Gemeinde zu treffen, sei nichts anders als ein Taschenspielertrick gewesen. Der Mann soll nicht an seiner Wünschelrute, sondern allein an den (wieder unbewußten) Reaktionen seiner Begleiter festgestellt haben, wenn auf dem Grundstück, das er abging, Todesfälle aufgetreten waren. Donnerwetter! Auch das ist ein Kunststück, das Applaus verdient. Wenn Uri Geller das könnte, könnte er sich eine Menge peinlicher Fernsehauftritte sparen.

Man könnte jetzt doch die Summe, die den Wünschelrutengängern für das Aufspüren von Wassereimern versprochen worden ist, auch für denjenigen ausloben, der (ohne Wünschelrute) von ein paar alten Herren durch ein Dorf geführt, allein an deren unbewußten Reaktionen Aussagen über die Krebstode der Ortschaft treffen kann. Der Ausgang dieses Feldversuches würde mich interessieren.

Wir halten also fest: Wünschelrutengänger sind je nach Trefferquote entweder Scharlatane mit bewundernswertem Talent, oder Selbsttäuscher, die über Jahre hinweg nicht bemerken, dass sie die Ausschläge ihres Instrumentes selbst produzieren.

Haben wir hier nicht einfach nur alten Aberglauben durch neuen Aberglauben ersetzt? Früher haben wir Erklärungen in „Zwergen, Gnomen, Elfen” gesucht, heute machen wir für all das die Unzulänglichkeit unseres eigenen Denk- und Wahrnehmungsapparates verantwortlich und verpflanzen alle Ursachen ins menschliche Gehirn. Wir sind also eher bereit, zu akzeptieren, dass wir alle potenziel etwas irre und disfunktional sind, als dass es mehr zwischen Himmel und Erde geben könnte, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.

Vom Standpunkt eines -sagen wir- Drehbuchautoren gesehen, ist beides gleich phantastisch. Man muss sich jetzt nur zwischen einer Folge Akte X und einer Komödie entscheiden. Wenn man sich unsere Gesellschaft allerdings so anschaut, ist die zweite vielleicht sogar tatsächlich die weitaus plausiblere Variante.

Sims Alabims kommentierte Schlagzeilen #2


Sims Alabim; 2009-03-03

Heute: Handy wichtiger als Partner

Eine Studie soll ergeben haben, dass das Handy im Leben der Menschen meiner Generation ( das wären dann noch die Twenty-Somethings) eine größere Rolle spielt, als der Partner, Lover, bzw. “Lebensabschnittsgefährte”.

Ich warte ja sowieso schon lange auf das Handy, das alles kann. Das i-Phone ist ein Anfang, aber noch nicht konsequent genug. Zum Beispiel könnte man es noch mit den Eigenschaften eines Tamagochis ausstatten, das nicht mit Nahrung, sondern mit Anrufen und SMS gefüttert werden will, weil es sonst an sozialer Vernachlässigung eingeht. Wer sein Handy nicht täglich zur Kommunikation mit seinen Freunden benutzt, der wird bald zusehen müssen, wie das arme Viech krank wird und verreckt.

Es sei denn natürlich, das Handy kann sich seine Freunde auch selbst suchen. Genauso wie zwei Hundebesitzer kaum aneinander vorbeigehen können, ohne dass die vierbeinigen Genossen sich kurz anschnüffeln um sich dann entweder zu ignorieren, anzugiften oder noch intensiver zu beschnüffeln, können auch bald keine zwei Besitzer vernachlässigter Handys aneinander vorbeigehen, ohne dass die Telefone automatisch ihre Nummern austauschen und schon einmal die gespeichteren Daten auf mögliche gemeinsame Freunde, gemeinsame Hobbys oder gemeinsames Konsumverhalten abgleichen. Wird eine ausreichend große Gemeinsamkeit ermittelt, rufen die Handys sich gegenseitig automatisch an, und man kann auf diese Weise neue Menschen kennenlernen und hat bald eine Freundesliste die auf vierstellige Zahlen zusteuert.

Und das ist natürlich gut, weil: je mehr Freunde man hat, umso größer die Wahrscheinlichkeit, einen Anruf oder eine SMS zu bekommen, die das Überleben des scheißteueren Telefons sichert. Und das ist, wie wir ja wissen, unser Lebensmittelpunkt.

Categories : Diverses

Sims Alabims kommentierte Schlagzeilen #1


Sims Alabim; 2009-03-03

Heute: NEUER BUSEN VOM CHRISTKIND

Okay, ist schon eine Weile her, seit ich das im Schaukasten einer Münchner Tageszeitung gelesen habe.

Weniger die Tatsache, dass irgendwelche Sternchen sich von ihrem reichen Liebhaber eine Brust-OP zu Weihnachten schenken lassen, sondern die (zumindest im süddeutschen Raum) zweideutige Formulierung hat mich dabei irritiert.

Welche Bilder wären wohl bei mir hervorgerufen worden, hätte ich diese Schlagzeile im zarten Alter von sechs oder sieben Jahren gelesen? Die eines Christuskindes (das man sich jetzt wie das auf der letzten Seite vom Struwwelpeter vorstellen muss) mit golden schimmerndem Heiligenschein und Lara Croft -artigen Auswüchsen unter dem Gewand, oder gar die sich unter dem Schein der Christbaumkerzen unter glitzerndem Geschenkpapier wölbender, weiblicher Rundungen?

Wäre ich der Redakteur des Artikels gewesen, hätte ich ihn mit Rücksicht auf die Vorstellungswelt jüngerer, unfreiwilliger Mitleser, vielleicht etwas sinnbildlicher verpacken lassen, etwa mit Süßer die Glocken nie klingen…

(Manchmal kann ich billigen Wortspielen nicht widerstehen).

Categories : Gesellschaft  Medien

Die Insel – eine Parabel


Sims Alabim; 2009-02-22

Vor langer Zeit einmal als Geschichte in einer Geschichte entworfen. In seiner Aussage tendenziöser, als ich es in Erinnerung hatte. Eifrige Leser dieser Seite (gibt es solche?) werden schnell draufkommen, warum sie mir wieder eingefallen ist.

Es war einst eine Insel, die lag einsam im weiten Meer. Ihre Küsten waren flach, das Land fruchtbar und die Menschen dort mit ihrem Dasein zufrieden.  Auf den Feldern gedieh das Getreide, auf den Weiden züchteten sie Schafe, in den Hainen Obst, und Abends sahen sie dem Tod Sonne zu, wenn sie im Meer versank.

Eines Tages rollte ein schwerer Sturmwind über die See. Die Wellen tosten und schlugen gegen den Strand, das Meer war schwarz, und Blitze zuckten über den Himmel.

Tags darauf fand man gegen den Strand hingeworfen ein eigentümliches, hölzernes Gebilde, in dessen Trümmern fand man ein paar Menschen mit langen Bärten, mehr tot als lebendig. Obwohl man sich nicht erklären konnte, woher diese Fremden gekommen waren, richtete man ihnen Lager, gaben ihnen zu Essen und zu Trinken und pflegten ihre Wunden.

Doch wie staunte man, als die Männer endlich ihren Mund auftaten, und ganz und gar unverständliche Worte über ihre Lippen kamen.

Da begriffen die Menschen auf der Insel, dass das Meer diese Männer geboren haben musste, dass das hölzerne Gefährt, mit dem sie gekommen waren, ihre Wiege gewesen war, und dass diese Männer erst das Sprechen lernen mussten, wie die kleinen Kinder; genauso wie es auch eine Zeit lang dauerte, bis sie das Laufen beherrschten.

Nach einer langen Zeit aber hatten die Männer aus dem Meer endlich das Sprechen gelernt. Doch was sie nun erzählten, das kam den Bewohnern der Insel erst so töricht vor, dass sie glaubten, die Männer hätten noch immer den Geist eines Kindes.

Mit ihrer Wiege, so erzählten die Seemänner, seien sie über das Meer gefahren. Der hölzerne Kiel sei über die Wellen geritten, ohne darin unterzugehen, und der Wind habe in große aufgespannte Tücher geblasen, und auf diese Weise habe er sie über das Meer getragen.

Da lachten die Menschen, und führten die Seemänner zum Strand und zeigten ihnen den Horizont. „Dort,” sagten sie, „ist das Meer zu Ende. Man kann das ganze Meer erblicken, wenn man nur einmal den Strand herumgeht, bis man wieder hier ankommt. Wenn ihr mit euerer Wiege über dieses Meer gefahren wärt, so hätten wir euch doch sehen müssen.”

Als nun die Sonne morgens im Osten den Horizont hinaufstieg, sprachen die Seemänner: „Seht die Sonne. Gestern ist sie dort im Meer versunken, nun taucht sie am anderen Ende wieder auf. Ist das nicht ein Beweis, dass die Welt hinter dem Rand des Meeres weiter geht?”

Da lachten die Inselbewohner und sprachen: “Aber diese Sonne ist doch nicht  dieselbe wie gestern. Das Meer gebiert jeden Tag eine neue Sonne, und wenn sie zu erlöschen beginnt, sinkt sie hernieder und stirbt im Meer.”

Da erzählten die Seeleute den Inselbewohnern von der Welt, aus der sie kamen, und von der Welt die sie bereist hatten. Sie erzählten ihnen von den weiten Küsten ferner Länder, von goldenen Palästen und weißen Städten, von grünen Wäldern und heißen Wüsten, von hohen Bergen und Ländern aus gefrorenem Wasser, von Flüssen und Ebenen, von Herden mächtiger Tiere, von fremden Völkern, von Ungeheuern und Helden, von jahrelangen Kriegen und rauschenden Festen, von allen Wundern dieser Welt.

Doch die Menschen auf der Insel hielten all das für Traumgesichter und Hirngespinste, und sie zweifelten am Verstand der bärtigen Männer.

Da beschlossen die Seeleute, ein neues Schiff zu bauen, groß genug, um alle Bewohner der Insel mit sich zu nehmen, und dann wollten sie mit ihnen zu weit entfernten Küsten anderer Länder segeln, um ihnen die  Welt zu zeigen. Doch dafür brauchten viel Holz für den Kiel, und viel Tuch für die Segel; mehr als das Inselvolk ihnen zugestehen wollte.

„Wenn ihr auf unseren Äckern und Feldern Bäume pflanzt, und Schafe weiden lasst, dann wird uns nicht mehr genug zum Leben bleiben, denn wir brauchen Getreide und Früchte, um uns zu ernähren.” „Dann werdet ihr einige Zeit lang hungern müssen,” sagten die Seeleute. “Doch wenn ihr erst die Welt bereisen könnt, werdet ihr Speise und Trank genug bekommen, und von solch einer Fülle und Vielfalt und Köstlichkeit, wie ihr sie euch gar nicht vorstellen könnt.”

Doch die Inselbewohner, die den Geschichten der Seeleute noch immer keinen Glauben schenkten, wollten nicht für etwas Hunger leiden, an das sie nicht glaubten. Also ließen sie es sein, und alles was die Seeleute bekamen, waren ein paar Bretter und ein wenig Wolle, und damit und aus den alten, verrotteten Trümmern ihres Schiffes zimmerten sie sich ein kleines, wackeliges Boot, in das sie gerade so hineinpassten.

Und so verschwanden die Seeleute eines Tages gen Westen, und sie versprachen, wenn sie die Heimat erreichten, wiederzukehren, mit einem großen, mächtigen Schiff, und alle Bewohner der Insel mit sich zu nehmen, die dieses wünschten.

Die Inselbewohner sahen zu, wie das Schiff kleiner und kleiner wurde und dann im Westen am Horizont verschwand. „Nun hat das Meer sie verschlungen,” sagten die Alten. „Nein, sie sind nur über den Rand unseres Blickes hinausgefahren,” erwiderten die Jungen, „und sie werden kommen und uns allen beweisen, dass es all die Wunder wahrhaftig gibt, von denen sie erzählt haben.”

Doch die Alten behielten recht, denn die Seeleute kehrten nicht wieder, auch nach vielen Jahren nicht. Man weiß nicht, was mit ihnen geschehen ist. Vielleicht ist ihr Schiff in einem Sturm gekentert, und das Meer ist ihr Grab geworden, oder sie haben nach der langen Reise ihr Versprechen vergessen, oder fanden die Inselbewohner nicht mehr der Mühe einer langen Seereise wert.

Doch auf der Insel vergaß man die Seefahrer nicht mehr. Die Kinder hatten sich ihre Geschichten tief eingeprägt, und sie gaben sie untereinander weiter, und erzählten sie auch ihren Kindeskindern. Und eine tiefe Sehnsucht entstand im Herzen des Inselvolkes. Von nun an lebten sie in dem Wissen, dass es außerhalb ihrer Insel eine andere Welt gab, die viel prächtiger und größer und wundervoller war, als ihre Äcker und Weiden, und auch, als dieses Wissen nur noch eine Ahnung war, ein ferner Traum, ein flüchtiges Versprechen, wollte die Sehnsucht nicht mehr aus ihrem Herzen weichen.

Und so gab es bald zweierlei Menschenschlag auf der Insel. Gegenseitig schimpften sie sich Träumer und Furchtsame. Die Träumer pflanzten Bäume an, und schützten diese Wälder vor den Äxten der Furchtsamen, sie züchteten Schafe und immer mehr Schafe, hielten sich große Herden, die ihnen die Weiden kahl fraßen, aber die sie nicht schlachteten, um eines Tages genug Tuch für ihre Segel zu haben.

Die Furchtsamen aber fürchteten, dass sie den Märchen und Legenden von einer Welt dort draußen nicht trauen konnten, dass es nur Lüge war, Hirngespinst und Einbildung. Sie fürchteten, eine große Hungersnot würde ausbrechen, wenn nur noch Bäume und Schafsweiden auf der Insel waren, und keine Äcker und Gärten mehr, die sie mit Nahrung versorgten. Die Milch, die die Schafe gaben, und die Früchte, die manche der Bäume trugen, schienen ihnen zu wenig zum Leben, auch wenn einige von ihnen zugaben, dass sie zuweilen besser schmeckten und auch länger sättigten als das Korn von den Feldern und das Gemüse aus den Gärten.

Und so versuchten die Furchtsamen, die Wälder wieder zu zerstören, die von den Träumern gepflanzt worden waren, und die Schafe zu töten, bis es nur noch kleine Herden waren. Manche der Furchtsamen gingen sogar so weit, dass sie sich zum Ziel machten, alle Bäume zu fällen und zu verbrennen, jede Saat aus den Kernen ihrer Früchte zu vernichten, und alle Schafe zu schlachten und aufzuessen, so dass es keine Schafe und keine Bäume mehr auf der Insel geben würde, und die Träumer nicht länger mit ihren verrückten Plänen die wertvollen Äcker der Insel in Beschlag nehmen konnten.

Dies war nun das bittere Schicksal der Insel, denn weder die Furchtsamen, noch die Träumer gewannen je die Oberhand. So gab es nie genug Holz und genug Tuch für ein großes Schiff, doch stets zu wenig zu essen, so dass sie seit Jahren ganz umsonst Hunger litten. Manchmal gerieten die Streitereien auf der Insel ganz und gar aus dem Rahmen, und dann kam es schon vor, dass Blut floss, dass die einen den anderen die Hütten ansteckten und die Schädel einschlugen. Es gab Zeiten, da brannten die Wälder und wurden die Schafe erschlagen, es gab Zeiten, da brannten die Kornfelder, und wurden die Gärten zertrampelt. Es gab Zeiten, da lebten die Furchtsamen und die Träumer friedlich nebeneinander, weil sie genug von Blut und Tränen hatten. Doch Blut und Tränen gerieten in Vergessenheit, die alten Träume und alten Sorgen aber währten länger, und der Streit begann von neuem.

Längst hatten sie in bitteren Lektionen gelernt, dass ihre Insel zu klein war, um alle zwei Parteien glücklich zu machen. Sie konnten das Schiff nur bauen, wenn jeder auf der Insel bereit war, dafür zu hungern, und sie konnten nur alle satt werden, wenn jeder auf der Insel bereit war, dafür auf seinen Traum von Freiheit zu verzichten.

Seit einigen Jahren aber gibt es eine neue Legende auf dieser Insel. Eine, die nicht von den Seefahrern erzählt wurde, und von der man nicht weiß, ob sie ein Traum war, eine Vision, eine Lüge gar, oder einfach nur eine verzweifelte Hoffnung.

Diese Legende erzählt von einem Kind, welches einst auf die Insel kommen soll. Die einen sagen, es wird geboren werden von einer jungen Frau reinen Herzens, die anderen sagen, es wird mit einem Schiff über das Meer treiben, wie einst die Seeleute. Dieses Kind wird heranwachsen auf der Insel, und es wird einen Weg finden, wie beide, die Furchtsamen und die Träumer, endlich gemeinsam ans Ziel kommen können. Die einen glauben, es wird ihnen zeigen, wie man mit weniger Holz und Tuch zurechtkommt, andere glauben, es wird den Menschen zeigen, wie man sich von weniger Korn ernährt, und trotzdem satt wird, manche denken, es wird den Furchtsamen ihre Angst nehmen, andere fürchten sogar, es wird den Mutigen ihre Träume nehmen, viele hoffen, es wird wissen, wie Bäume, Weiden, Schafsherden, Korn und Früchte gleichzeitig wachsen können, ja und es gibt sogar welche, die wollen wissen, dass es bereits mit einem Schiff auf die Insel kommen wird, das groß genug ist für sie alle.

Doch was auch immer dieses Kind tun wird, es wird den Streit beenden, und die Insel wird dann entweder zur Vergangenheit werden, oder eine neue Zukunft haben.

Und auf die Ankunft dieses Kindes warten die Bewohner der Insel bis heute.

Categories : Diverses

Zum Jahreswechsel


Sims Alabim; 2009-01-01

Wenn die Winterstürme kommen,
wo wirst du sein?
Wo wirst du stehen wenn der Nordwind fällt
Und die Sonne sich für immer hinter Wolken stiehlt?

Werden deine Hände,
zum Gebet an verschollene Götter gefaltet,
die klammen Finger über Kreuz
in der Kälte erstarren?
Oder werden sie,
dem Biss des Eises trotzend,
an den gefrorenen Tauen ziehen,
bis die Segel sich entfalten?

Werden deine Augen,
aus Furcht vor der Dunkelheit,
in die Flammen des letzten Herdfeuers starren,
bis die erloschenen Scheite
in der Finsternis verglimmen?
Oder werden sie in den Himmel blicken
um zwischen den Wolkenfetzen den Nordstern zu erspähen,
der deinen Kurs bestimmt?

Werden deine Füße,
in Fell und Leder gewickelt,
schwer einsinken in den tiefen Schnee,
und ihren Dienst versagen?
Oder werden sie,
barfuss und mit erfrorenen Zehen
auf schwankenden Planken Halt suchen
und sich wie Affenhände in die Wandten krallen?

Wird dein Mund
ein vergessenes Schlaflied murmeln,
ehe er deinen letzten Atem
als dünnes Wölkchen ins Nirgendwo entlässt?
Oder wird er gegen den Wind anschreien,
der dir wie Messer in die Kehle fährt,
bis jeder deine Worte hört:
„Steuerbord ist Land in Sicht”?

Wird dein Herz
sich mit den fallenden Schneeflocken zur Ruhe legen,
und nichts mehr begehren,
dass die Eiswinde es auslöschen können,
wie ein Kind eine Kerze ausbläst?
Oder wird es weiterschlagen,
im Takt der stampfenden Wellen,
in der Hoffnung
auf einen nächsten Sommer?

Wenn die Winterstürme kommen,
und der Nordwind fällt,
was wirst du tun?
Im Hafen bleiben oder hinaus auf See?
Lässt du sie Schnee auf deinen Grabstein wehen
Oder dich von ihnen tragen,
wie sie dich auch peitschen mögen,
zum Aufgang einer neuen Sonne?

Categories : Kultur

Bekenntnisse eines Waldorfopfers


Sims Alabim; 2008-12-19

Aus einigermaßen aktuellem Anlass möchte ich diesen Blog als Plattform für ein recht persönliches Thema nutzen, das im Netz gerade heiß diskutiert wird. Vorher eine Warnung: Der Text ist etwas ausführlicher geraten und gründet sich nicht auf kolportiertes Halbwissen, unreflektierte Heiligenverehrung oder Verweigerung eigenständiger Denkarbeit, sondern auf persönliche Erfahrung, selbstgebildete Meinung und logische Schlussfolgerung. Ich weiß, dass ich damit gegen die aktuelle Netz-Etikette verstoße, aber manche Leser werden es mir vielleicht verzeihen. Dafür hat sich oftmals eine gewisse Polemik eingeschlichen, und das ist auch gut so.

My Secret History

Meine gesamte Jugend hindurch bin ich das Opfer einer gefährlichen Sekte gewesen, deren Mitglieder sich „Anthroposophen“ nennen. Ich bin 13 Jahre lang auf eine Waldorfschule gegangen. Als ob es für mich als Junge nicht schon schlimm genug gewesen wäre, am Stricken und Häkeln zu scheitern, für den Eurythmieunterricht in Kleidchen in blässlichen, naturbelassenen Farben gesteckt zu werden, oder auf Blockflöten spielen zu müssen, vor allen Dingen hat man mir in diesen 13 Jahren Unterrichtsstoff präsentiert, der durchsetzt war von weltanschaulichen Absonderlichkeiten eines Gurus, den das Licht der Aufgeklärtheit unseres Jahrzehnts jetzt endlich als radikalen Rassisten entlarvt hat. Und das Schlimmste daran ist: Ich habe es nicht einmal bemerkt.

Der Samen der Indoktrination keimt so sehr im Verborgenen, die Spuren der Gehirnwäsche sind derartig subtil, dass ich eigentlich bis heute nichts davon merke. Natürlich, da waren die schrägen (bis entsetzten) Blicke mancher Lehrer, als sie mitbekommen haben, dass ich zuhause mit Masters of the Universe spielte oder regelmäßig Spider-Man las. Aber ansonsten habe ich meine Schulzeit allgemein als durchaus positiv in Erinnerung. Der Unterricht hat mir Spaß gemacht, mein Klassenlehrer hat mich bei der Entwicklung meiner persönlichen Fähigkeiten und Vorlieben unterstützt, niemals bin ich körperlich gezüchtigt worden, ich habe dem Stoff fast immer folgen können und hatte keinerlei Schwierigkeiten im letzten Schuljahr das bayerische Abitur in allen Fächern und mit guten Noten abzulegen, ohne mich sonderlich anstrengen zu müssen oder jemals Nachhilfeunterricht zu brauchen. Und ich war nicht einmal eine Ausnahmeerscheinung.

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Überschätzte Filme gibt es nicht


Sims Alabim; 2008-11-15

Werter Cabouflé: Aus einer kämpferischen Laune heraus, die ich im Augenblick an anderer Stelle zur Genüge auslebe (Beitrag dazu folgt) habe ich eine Gegenrede zu Ihrer Batman-Kritik angekündigt.

Über diese Ankündigung ärgere ich mich nun etwas, denn die Kritik ist – wie ich leider eingestehen muss- nicht nur vergnüglich zu lesen sondern auch sehr nachvollziehbar. Vor allem hatte mich in der Ankündigung der Kritik die Bezeichnung von The Dark Knight als “überschätzter” Film gestört.

Selbst als bekennender Fan des Films muss ich zahlreichen Kritikpunkten zustimmen und zugeben, dass auch ich die nach unten gepitchte Stimme des Batman eher als Anlass zu unfreiwilligem Schmunzeln denn als überzeugende Erklärung dafür nehme, warum kein Mensch trotz der Halbmaske Bruce Wayne in seiner Kostümierung wiedererkennt.

Das neue Desing der Batgimmicks, einzelne schauspielerische Leistungen oder gewisse dramaturgische Kniffe des Films, der Soundtrack, all dies ist durchaus disktuabel. Doch “The Dark Knight” ist schließlich auch ein gesellschaftliches Phänomen, und ich glaube, dass sich der Erfolg eines Films – zumindest wenn es ein rekordbrechender ist – nicht allein durch gute Machart, gute PR, einen Medienhype oder den tragischen Tod eines Hauptdarstellers erklären lässt. Ich glaube, dass Nolans zweiter Batman den Nerv der Zeit getroffen hat, dass er vor allem als eine Art moderer Mythos zu lesen ist, und deshalb in seiner Breitenwirkung auch nicht als “überschätzt” begriffen werden kann.

Wie mein geschätzter Kollege mache ich die Darstellung des Joker als essentiell für diese Wirkung aus. Der Joker ist mehr als viele andere Filmschurken eine Darstellung des “Bösen” an sich, eben durch die Negierung jeglicher erklärbarer menschlicher Motivation für sein Handeln. Gleichzeitig ist er die coolste Sau des ganzen Films, dem man einfach viel lieber zusieht als Batman, Two-Face oder der kleinen Anwältin. Menschlicher ist er dadurch aber nicht. In seiner puren Durchtriebenheit ist der Joker wie alle anderen Figuren des Films ein Symbol für etwas. Der Joker steht für das Böse wie Saurons Ring und Batman und Two Face für das, was mit jenen Kräften geschieht, die sich ihm entgegenstellen: Entweder, sie sind wie Batman von Anfang an bereit, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, oder sie verlieren ihre Unschuld wie Harvey Dent die Hälfte seines Gesichtes. Das Bemerkenswerte an dem Film ist das Fehlen eines unschuldigen Frodo und eines strahlendweißen Gandalf. Und das ist meines Erachtens auch der Kommtar zum Zeitgeschehen, den der Film abgibt: Wir haben zwar eine äußerst lebendige Vorstellung von den zerstörerischen Kräften unserer Gesellschaft, aber keinen adäquaten Gegenentwurf.

Auch ich sehe in Batman und Two Face schwächere Figuren, die in ihrer Funktion zu offensichtlich und zu konstruiert sind, um als Menschen glaubhaft zu sein. Aber ist das die Schwäche des Films oder der Grund für seine Relevanz? Dass die Bürger von Gotham dringend einen strahlenden und unbefleckten Helden wie Harvey Dent bräuchten, ist eine dramaturgische Behauptung des Films, über deren psychologische Realität man streiten kann. Das Besondere an dem Film (und der Grund für das daramturgische Hin- und Her) ist jedoch die Verweigerung, diesen Helden lebendig werden zu lassen. Dent, der versucht, diese Rolle einzunehmen ist zu verletzlich und wird durch seinen Schmerz korrumpiert. Batman bleibt zwar seiner Linie treu, aber die ist von Anfang an in einem zwielichtigen Bereich gezogen. Er ist im Kampf gegen den Joker zwar effektiver als Dent, wird aber vom Volk gefürchet, so dass er als Coverfigur für das Gute nicht taugt. Wie heißt es im Film: “You die as a hero or you live long enogh to see yourself become a villan.”

The Dark Knight ist eine Bebilderung des Mythos von der Unbesiegbarkeit des Bösen. Ob einen dieser Mythos überzeugt, ist eine andere Frage. In einer Filmkritik in der Münchnher Kulturzeitschrift “cult” wird der Erfolg des Films damit begründet, dass sowohl die Republikaner als auch die Demokraten darin ihre Thesen wiederfinden könnten. (Eine Deutung des Joker als “internationalen Terrorismus”, Batman als Bush und Two Face als Obama werde ich jetzt persönlich an dieser Stelle nicht abliefern, aber sie wäre durchaus möglich). Auch ob der Film nun Batmans Selbsjustiz als einzig möglichen Ausweg propagiert, oder ob vielleicht gerade die spürbare Konstruktion des Schlusses, der auf den Pfeilern von Behauptungen wie “Gotham braucht einen strahlenden Helden” errichtet ist, uns ein Gefühl davon vermittelt, dass irgendwas an diesem Mythos nicht ganz stimmt, lasse ich jedem Zuschauer anheim gestellt.

Ich vertrete lediglich die Ansicht, dass dieser Film mehr ist als ein gut fotografierter, spannender, kurzweiliger und stellenweise bemühter Superheldenthriller mit einer starken Schurkenfigur. Der Film behandelt auf durchaus mehrdeutige Weise eine sehr aktuelle gesellschaftliche und politische Fragestellung, gerade weil er mit Ikonen und nicht Menschen erzählt. Das kann man gut finden oder schlecht, auf alle Fälle ist es beachtlich.

Categories : Diverses

Im Sommer geschrieben


Sims Alabim; 2008-11-10

Wir sassen unter dem blauen Himmel, den Blick auf die Wolken gerichtet. Wir hingen unseren Träumen nach und beschlossen, sie niemals wahr werden zu lassen.

Jede kleine Unternehmung wäre ein Verrat an der großen Idee. Alles, was machbar war, würde nicht hinreichen an das, was vorstellbar war.

Wer niemals an den Pforten des Himmels rüttelt, der erspart sich den Schmerz, abgewiesen zu werden und behält sich die Möglichkeit der tröstlichen Ausflucht, man wäre vielleicht sogar eingelassen worden, wenn man sich nur darum bemüht hätte.

Viel war nicht gewonnen. Wir ließen die Wolken weiterziehen.

Auch so kriegt man den Tag rum.

Und den Sommer.

Ihre empfohlene Tagesration Schwachsinn


Sims Alabim; 2008-10-17

Das Deutsche Volk ist ja dafür verschrieen, dass das Einhalten von Regeln und Vorschriften ihm besonders im Blut läge. Ich glaube aber, dass auch bei uns die Empfehlung dabei ist, die Vorschrift abzulösen.

Navigationssysteme empfehlen uns mittlerweile beim Autofahren nicht nur Routen, sondern auch Geschwindigkeiten oder das Ansteuern einer Raststätte. Wenn wir uns erst alle daran gewöhnt haben, diese Geräte nicht mehr militärisch “Navigationssysteme” sondern eher “driving consultants” zu nennen, werden Verkehrsregeln auch nicht mehr diese Wichtigkeit haben, und wir werden auch das rote Licht einer Ampel eher als Empfehlung begreifen, jetzt den Anderen Vortritt zu lassen, die aber nicht bindend ist. Andere Völker Europas (ich nenne jetzt keine Namen) haben uns das ja schon lange vorgemacht.

Das Internet ist natürlich Vorreiter auf diesem Gebiet. Members, die diesen Porno mehrfach angesehen haben, interessierten sich auch für … oder: Kunden, die sich dieses Potenzmittel bei uns bestellt haben, hatten im Bett auch große Freude mit …

Und auch Politiker haben die Gesetze, für deren Erlassung und Einhaltung sie letztlich verantwortlich sind, für sich selbst auch immer eher als Handlungsempfehlungen verstanden, die in einer modernen Gesellschaft wie der unseren eigentlich auf die Situation des Individuums jeweils abgestimmt werden sollten.

Was die körperliche Gesundheit angeht, sind wir schon bestens versorgt: Auf dem Tablett, auf dem man sein Maxi-XXL-Sparmenü in den (empfohlenen) Raucherbereich des „Lokals“ tragen kann, sind die Kalorien, die man mit dieser Mahlzeit zu sich nimmt, fein säuberlich zum späteren Ausgleich durch Squash oder Tennis aufgelistet. Doch bei all den Fitness- und Diätplänen, bei all den empfohlenen Tagesrationen an Vitaminen, Kohlehydraten, Fetten und Schwermetallen, die allesamt in einem einzigen Joghurt vereint worden sind, frage ich mich doch, wie es eigentlich um unsere geistige Gesundheit bestellt ist.

Wann legt endlich Mal jemand die empfohlene Tagesration an Schwachsinn fest, der ein Mensch sich aussetzen darf, um nicht zum willenlosen Tölpel zu verkommen oder zum Amokläufer zu werden? Wann entwirft jemand einen Diätplan, der uns zum Beispiel vorschlägt, am Tag nicht mehr als 15 Videos auf YouTube zu sichten, und dafür nicht ohne den Konsum von wahlweise einem Zeitungsartikel oder einem Kapitel in einem nicht illustrierten Buch Schlafen zu gehen?

Wenn mir Marcel Reich-Ranicki in seiner Diskussionsshow mit den Fernsehintendanten nicht zuvor kommt, würde ich mich selbst dazu anbieten, ein Punktesystem zu entwerfen, an dem man sich orientieren kann. Eine Schlagzeile auf web.de würde zum Beispiel 5 Schwachsinnspunkte bekommen, eine komplette Folge DSDS läge bei etwa 100, das entspräche dann 5 Minuten von Kanal Telemedial oder dem Klatschteil der Bildzeitung. Wer die empfohlene Tagesdosis von etwa 75 Punkten überschreitet, dem wird empfohlen, sein Konto mit Dingen auszugleichen, die Minuspunkte haben, etwa einem Live-Album von Konstantin Wecker oder der Lektüre dieses Blogs. Dann wird man schon bald Menschen, von denen man es niemals vermutet hätte, mit Reclamausgaben von Schiller, Rilke oder Kant in der U-Bahn sitzen sehen, bei dem Versuch, ihr durch den Besuch einer Show von Mario Barth hoffnungslos überzogenes Schwachsinnskonto wieder ins Lot zu bringen.

Ich kann den Einwand schon hören, dass mein Punktesystem vielleicht den Schönheitsfehler haben könnte, ein wenig subjektiv zu sein. Menschen, die diesen Einwand erheben, möchte ich die Gegenfrage stellen, ob sie heute schon ihre empfohlene Tagesration an Vitamin E zu sich genommen haben, und wenn nein, warum nicht, und wenn ja: Warum eigentlich?

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