Ãœberschätzte Filme gibt es nicht


Sims Alabim; 2008-11-15

Werter Cabouflé: Aus einer kämpferischen Laune heraus, die ich im Augenblick an anderer Stelle zur Genüge auslebe (Beitrag dazu folgt) habe ich eine Gegenrede zu Ihrer Batman-Kritik angekündigt.

Ãœber diese Ankündigung ärgere ich mich nun etwas, denn die Kritik ist – wie ich leider eingestehen muss- nicht nur vergnüglich zu lesen sondern auch sehr nachvollziehbar. Vor allem hatte mich in der Ankündigung der Kritik die Bezeichnung von The Dark Knight als “überschätzter” Film gestört.

Selbst als bekennender Fan des Films muss ich zahlreichen Kritikpunkten zustimmen und zugeben, dass auch ich die nach unten gepitchte Stimme des Batman eher als Anlass zu unfreiwilligem Schmunzeln denn als überzeugende Erklärung dafür nehme, warum kein Mensch trotz der Halbmaske Bruce Wayne in seiner Kostümierung wiedererkennt.

Das neue Desing der Batgimmicks, einzelne schauspielerische Leistungen oder gewisse dramaturgische Kniffe des Films, der Soundtrack, all dies ist durchaus disktuabel. Doch “The Dark Knight” ist schließlich auch ein gesellschaftliches Phänomen, und ich glaube, dass sich der Erfolg eines Films – zumindest wenn es ein rekordbrechender ist – nicht allein durch gute Machart, gute PR, einen Medienhype oder den tragischen Tod eines Hauptdarstellers erklären lässt. Ich glaube, dass Nolans zweiter Batman den Nerv der Zeit getroffen hat, dass er vor allem als eine Art moderer Mythos zu lesen ist, und deshalb in seiner Breitenwirkung auch nicht als “überschätzt” begriffen werden kann.

Wie mein geschätzter Kollege mache ich die Darstellung des Joker als essentiell für diese Wirkung aus. Der Joker ist mehr als viele andere Filmschurken eine Darstellung des “Bösen” an sich, eben durch die Negierung jeglicher erklärbarer menschlicher Motivation für sein Handeln. Gleichzeitig ist er die coolste Sau des ganzen Films, dem man einfach viel lieber zusieht als Batman, Two-Face oder der kleinen Anwältin. Menschlicher ist er dadurch aber nicht. In seiner puren Durchtriebenheit ist der Joker wie alle anderen Figuren des Films ein Symbol für etwas. Der Joker steht für das Böse wie Saurons Ring und Batman und Two Face für das, was mit jenen Kräften geschieht, die sich ihm entgegenstellen: Entweder, sie sind wie Batman von Anfang an bereit, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, oder sie verlieren ihre Unschuld wie Harvey Dent die Hälfte seines Gesichtes. Das Bemerkenswerte an dem Film ist das Fehlen eines unschuldigen Frodo und eines strahlendweißen Gandalf. Und das ist meines Erachtens auch der Kommtar zum Zeitgeschehen, den der Film abgibt: Wir haben zwar eine äußerst lebendige Vorstellung von den zerstörerischen Kräften unserer Gesellschaft, aber keinen adäquaten Gegenentwurf.

Auch ich sehe in Batman und Two Face schwächere Figuren, die in ihrer Funktion zu offensichtlich und zu konstruiert sind, um als Menschen glaubhaft zu sein. Aber ist das die Schwäche des Films oder der Grund für seine Relevanz? Dass die Bürger von Gotham dringend einen strahlenden und unbefleckten Helden wie Harvey Dent bräuchten, ist eine dramaturgische Behauptung des Films, über deren psychologische Realität man streiten kann. Das Besondere an dem Film (und der Grund für das daramturgische Hin- und Her) ist jedoch die Verweigerung, diesen Helden lebendig werden zu lassen. Dent, der versucht, diese Rolle einzunehmen ist zu verletzlich und wird durch seinen Schmerz korrumpiert. Batman bleibt zwar seiner Linie treu, aber die ist von Anfang an in einem zwielichtigen Bereich gezogen. Er ist im Kampf gegen den Joker zwar effektiver als Dent, wird aber vom Volk gefürchet, so dass er als Coverfigur für das Gute nicht taugt. Wie heißt es im Film: “You die as a hero or you live long enogh to see yourself become a villan.”

The Dark Knight ist eine Bebilderung des Mythos von der Unbesiegbarkeit des Bösen. Ob einen dieser Mythos überzeugt, ist eine andere Frage. In einer Filmkritik in der Münchnher Kulturzeitschrift “cult” wird der Erfolg des Films damit begründet, dass sowohl die Republikaner als auch die Demokraten darin ihre Thesen wiederfinden könnten. (Eine Deutung des Joker als “internationalen Terrorismus”, Batman als Bush und Two Face als Obama werde ich jetzt persönlich an dieser Stelle nicht abliefern, aber sie wäre durchaus möglich). Auch ob der Film nun Batmans Selbsjustiz als einzig möglichen Ausweg propagiert, oder ob vielleicht gerade die spürbare Konstruktion des Schlusses, der auf den Pfeilern von Behauptungen wie “Gotham braucht einen strahlenden Helden” errichtet ist, uns ein Gefühl davon vermittelt, dass irgendwas an diesem Mythos nicht ganz stimmt, lasse ich jedem Zuschauer anheim gestellt.

Ich vertrete lediglich die Ansicht, dass dieser Film mehr ist als ein gut fotografierter, spannender, kurzweiliger und stellenweise bemühter Superheldenthriller mit einer starken Schurkenfigur. Der Film behandelt auf durchaus mehrdeutige Weise eine sehr aktuelle gesellschaftliche und politische Fragestellung, gerade weil er mit Ikonen und nicht Menschen erzählt. Das kann man gut finden oder schlecht, auf alle Fälle ist es beachtlich.

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2 comments

  1. Nun, denn Sir Sims, dies könnte eine gar langweilig Debatte werden, denn auch Euren wohlformulierten Ausführungen habe ich im Kern wenig zu erwidern.

    Das fängt damit an, dass der Begriff “überschätzt” selbstverständlich problematisch ist. Wenn ich ihn benutze meine ich damit: Ich finde etwas bei Weitem nicht so gut wie eine bedeutende Menge meiner Mitmenschen.

    Offenbar ist es ja im Wesentlichen eine Frage von Prioritäten, an der sich unsere Geister scheiden, dazu folgendes:

    Wir sind uns hoffentlich einig, dass eine Sache durchaus “beachtlich” sein kann, ohne deswegen gut zu sein, ja dass es im Gegenteil keiner großen Anstrengung bedürfte, Beispiele für bemerkenswerte Ereignisse, Werke etc. zu finden, die dennoch oder gar gerade deswegen im Bezug auf ihren abstrakten Wert äußerst schlecht sind. Dass letzteres bei dem dunklen Ritter der Fall ist, will ich gar nicht behaupten, zumal bei kulturellen Werken eine allgemeingültige Messung ihres “Wertes” ja per se unmöglich ist.

    Dies nur zur Begründung warum ich es mir, trotz der unleugnbaren Relevanz des Films herausnehme, ihn nicht nur nicht zu mögen, sondern ihn anhand der objektivsten mir zur Verfügung stehenden Maßstäbe als nicht mehr als solide zu betrachten.

    Es ist nun mitnichten die ikonenhafte Anlage der Figuren an sich, die mich stört. Meine Anerkennung für die Zeichnung des Jokers habe ich zur Genüge betont, und der von mir schon bemühte Harry Callahan wäre ein Beispiel dafür, dass Ähnliches durchaus auch bei einer Heldenfigur funktionieren kann.
    Mein Problem ist das Desinteresse, dass einigen dieser Ikonen und allen voran der Hauptfigur entgegengebracht wird. Im Gegensatz zum Joker finde ich bei Batman und Twoface keine Hintergrundstrahlung unter der Fassade, keine Projektionsfläche, die es mir gestatten würde, durch meine Rezeption den Figuren etwas hinzuzufügen, was sie über eine bloße Behauptung oder ihre dramaturgische Funktion erheben könnte.

    Auch gegen den “Mythos von der Unbesiegbarkeit des Bösen” habe ich nicht das Geringste einzuwenden. Ich würde ihm prinzipiell zustimmen, und selbst wenn nicht, wäre ich geneigt, seine filmische Illustration zu würdigen und zu schätzen, wenn sie denn überzeugend vorgebracht würde. Aber auch hier fehlt dem Film in letzter Konsequenz eine greifbare Haltung. Der Mythos wird weder kompromisslos durchgezogen, noch ernsthaft zur Debatte gestellt.
    Nolan und sein Stab stellen große Behauptungen und Fragen in den Raum, um sich in entscheidenden Momenten billig aus der Affäre zu ziehen.

    Am gravierendsten sehe ich dies in der Sequenz mit den beiden Schiffen: An dieser Stelle wird (nicht nur durch die bloße Erzählhandlung sondern auch durch Montage und Mise-en-scène) ein deutliches Statement zu Gunsten menschlicher Solidarität abgegeben: Es gibt eine höhere Moral, die über bloßes Abwägen von Kosten und Nutzen hinausgeht, und wenn auch nicht alle Menschen von dieser überzeugt sind, so können sich doch im entscheidenden Augenblick die verantwortungsvollen Individuen gegenüber ihren Artgenossen durchsetzen.

    Und wie ich schon andeutete fällt es mir vor diesem Hintergrund schwer, die an sich brilliante Idee zu akzeptieren, dass Batman am Ende zum Gejagten werden muss, um die Gesellschaft vor ihrer eigenen Blödheit zu schützen.

    Zu guter Letzt will ich mich mit der mir eigenen Penetranz noch auf den Standpunkt stellen, dass all die besprochenen Stärken des Films jede einzelne seiner Schwächen um so tragischer machen.

    Wenn ein Film sich derartig viel soziokulturelles Gepäck auflädt (und zudem mit bedeutenden popkulturellen Motiven hantiert), würde ich mir wünschen, dass er auch das erzählerische und gestalterische Rückgrat mitbringt, dieses Gewicht zu stämmen.
    Schließlich ist es ja nicht so, dass “ein gut fotografierter, spannender, kurzweiliger und stellenweise bemühter Superheldenthriller mit einer starken Schurkenfigur” nicht prinzipiell genügen könnte, um den Kinosaal zufrieden zu verlassen. Dieser Film aber hätte tatsächlich das Epos werden können, das er gerne wäre und vielleicht sogar das Meisterwerk, für das ihn manche Leute halten.
    Es mag ungerecht scheinen, doch ein bedeutendes Kriterium für die Bewertung künstlerischer Arbeit ist in meinen Augen die Erfüllung des eigenen Anspruchs und mehr noch: des eigenen Potenzials. Deshalb finde ich es recht und billig, an anderer Stelle geglücktes Mittelmaß zu loben und zugleich im hier vorliegenden Fall einen gescheiterten Geniestreich zu beklagen.

    Cabuflé, November 18, 2008
  2. Nun, Monsieur Cabouflé, mit der Befürchtung, wir könnten eine eher langweilige Debatte losgetreten haben, mögen Sie ebenso recht haben, wie mit vielem anderen. Denn auch ich habe diesem Kommentar nur noch wenig entgegenzusetzen.

    Im Gegenteil, ich muss eingestehen, dass die Schiffsszene tatsächlich einen Mosaikstein darstellt, der nicht nur in ein anderes Mosaik gehört, sondern auch jenes, in das er eingefügt wurde, empfindlich ins Wanken bringt. Während ich ein großer Freund der Szene auf dem Gefangenenschiff bin hat mich die Tatsache, dass auch die “Guten Bürger” von Gotham ein Schiff voller Knackis verschonen, weil sie selbst nicht zu Mördern werden können, schon während des Filmkonsums richtig gestört, während ich andere Schwächen des Films gnädig übersehen konnte.

    Das Problem ist tatsächlich: Wenn Gothams Bürger auch ohne die direkte Führung ihrer Lichtgestalt Harvey Dent zu einer solchen Heldentat in der Lage sind, ist der Joker auch ohne Batman besiegt worden und ist Batmans “Opfertat” am Ende nicht so notwendig, wie der Film es uns verkaufen will.

    Ich bin aber der Meinung: Hätte man diese Szene anders enden lassen oder deutlicher mit Harvey Dents Vorbildfunktion zu verknüpfen verstanden wäre ein in sich schlüssiges Bild entstanden, und es würde mir leichter fallen, das Funktionieren des Films als modernen Mythos hier und jetzt zu verteidigen.

    So bleibt mir nur, auf ein anderes Argumentationslevel auszuweichen und voller Polemik auf den letzten Absatz zu erwidern: Mir persönlich ist ein gescheiterter Geniestreich immer noch lieber als geglücktes Mittelmaß! Geglücktes Mittelmaß ist Ausdruck handwerklichen Könnens, gescheiterte Geniestreiche sind lebendiger Beweis menschlichen Strebens, und das finde ich spannender. Ein gelungener Thriller unterhält einen zwei Stunden lang und vielleicht hat man mit der DVD sogar noch ein Geburtstaggeschenk, mit dem man nichts falsch machen kann. An einem gescheiterten Geniestreich entzünden sich Debatten wie diese. Er zwingt einen zu einem Standpunkt.

    Natürlich wäre ein gelungener Geniestreich noch viel lobenswerter, aber um einen solchen zu produzieren muss man das Risiko eingehen, an dem Versuch zu scheitern. Und Menschen, die sich auf diese Risiken einlassen sind mir lieber als solche, die sich darauf hinausreden, es sei doch nichts verwerfliches dabei, solides Handwerk abzuliefen. (Nicht, dass ich Ihnen, werter Cabouflé eine solche Haltung jemals unterstellen würde).

    Ich finde es richtig, Filme an der Erfüllung ihres eigenen Anspruches zu messen. Doch dazu müssen sie erst einmal einen ordentlichen Anspruch haben.

    Sims Alabim, November 18, 2008