Die Wikileaks-Fancrowd ist fast genauso schlimm wie ihre Feinde


Malibu Aircraft; 2011-01-01

Als ich mich vor etwa einem Monat selbst davon überzeugen konnte, dass die Webseiten von Mastercard und Visa nicht aufrufbar waren, hatte ich ein fettes Grinsen auf dem Gesicht. Mastercard und Visa hatten in einer erstaunlichen Mischung aus Opportunismus, Feigheit und Heuchelei die Spendenkonten von Wikileaks gesperrt. Selbst Organisationen wie der Ku-Klux-Klan bleiben von derartigen Aktionen verschont.
Es schien wie eine herrliche Racheaktion, in der eine Gruppe Nerds die mächtigsten Kreditkartenunternehmen der Welt ins Wanken brachten. Was sollte einen daran hindern, den Anblick des leeren Browserbilds genüsslich einzusaugen.
Wie wäre es mit ein bisschen Verstand, der sich langsam wieder in meinen Hirnwindungen breit machte? Ich habe also nichts dagegen, wenn eine Gruppe selternannter Hacktivisten (gibt es ein bescheuerteren Ausdruck?) entscheidet, welche Seiten ich aufrufen kann und welche nicht? Und dabei unter dem Projektnamen “Avenge Assange” (Antwort: ja) beispielweise auch die Seite des schwedischen Staatsanwalts zum Erliegen bringt?

So viele Dinge laufen in der Diskussion um Wikileaks schief. Beginnend damit, die Teilnehmer an den einfach durchzuführenden DDOS-Attacken ernsthaft als ernsthafte Hacker zu bezeichnen, über die übermäßige Fokussierung auf die Ziele von Wikileaks, die ich selbstverständlich nicht gutheißen muss, um Wikileaks’ Rechte zu verteidigen, bis hin zu dem absurden Maß an Aufmerksamkeit, das dem Schnösel Assange gewährt wird.

Dabei gibt es durchaus interessante Fragen die Wikileaks aufwirft, z.B.: Ist die Art und Weise, wie bisher Diplomatie gemacht wird, in der heutigen vernetzten Welt weiterhin möglich? Wieviel Transparenz können wir fordern, ohne den Grundfesten der Diplomatie zu schaden?

Ich finde es schwer, ernsthaft über Wikileaks zu diskutieren, solange diese Fragen nicht geklärt sind.

Categories : Gesellschaft  Links  Medien  Politik

one comment

  1. wir kommen zu bisorgs halbjährlichen zwei cent, die in gewohnter weise unreflektiert, wüst und ignorant sein sollen.
    tagesordnung:
    1. hm. über jesus kann man (bzw. ich) sich auch unterhalten. und ich würde (in ungewollter übereinstimmung mit 1,43 mrd christen) behaupten, dass das jesusthema sowieso das allergrößte und komplizierteste ist
    2. “die Art und Weise, wie bisher Diplomatie gemacht wird” ist ein begriff, der sich freiwillig und explizit der abhängigkeit vom zeitgeist unterwirft. es ist hier also ein semantisches kontinuum das zudem auch noch keine klar definierten pole hat; und als vorzeitige ejakulation des autofellatio den dieser absatz darstellt: auch nicht mehr oder weniger als vorher. wann war doch gleich vorher? (*)
    3. inwieweit verhält sich transparenz grundlegend beeinträchtigend gegenüber der demokratischen ordnung bzw. der “demokratischen Ordnung”? klar, da ist privatsphäre, menschenrechte und dergleichen und da ist mitbestimmungsrecht und damit ein bedürfnis eine möglichst fundierte und im positiven sinne belesene entscheidung fällen zu können. aber da ist auch diese sache mit angriffskriegen der bundeswehr und einer eu-verfassung, die von einem in keinster weise demokratisch autorisiertem konvent erarbeitet und eher weniger kontrovers diskutiert wurde, bevor die jeweiligen mitgliedsstaaten sie ratifiziert haben. ich persönlich durfte da auch höchstens in foren gegen wettern, aber nicht abstimmen. ungarn hätte trotzdem gerne die pressefreiheit abgeschafft; hier nun der antiererktive gedanke an die stieftante: das, was wir heutzutage so als demokratie bezeichnen, ist auch nur so demokratisch wie es halt das tagesgeschäft zulässt. ich sehe definitiv einen spürbaren einfluss, aber besagte grundfesten sind ganz oben in ihrer robustizität(**)

    mir sind so ein paar stromschnellen im “Universum” ganz lieb. so verdoktert und rückbesonnen und besonnen und stabilisiert wie sich die westliche zivilisation gerade darstellt, scheint mir das mal ganz gut. ich lasse mir auch lieber von ein paar mehr oder gern auch weniger dilettantischen Hackaktivisten meinen internetzugang beschränken als von ursula oder noch besser von google, dem fbi oder auch einfach meinem wohlmeinenden internetprovider. ich würde auch gerne wieder am bahnsteig rauchen dürfen, ohne über einen großzügigen gelben bereich und einen bahnbeamten im besten lebensalter nachdenken zu müssen. mir wäre es auch lieber, wenn ich in verrauchten kneipen nicht “übel harzig hier” denken würde, sondern”hm wie überall” (bzw halt gar nichts).

    insbesondere dem attribut “ernsthaft” werd ich hier natürlich in zutiefst ökonomischen maße höchstens gerade noch so gerecht. aber so viel ernsthaftigkeit bzw. ernsthafte unterhaltung scheint mir hier gar nicht so sehr vonnöten.
    (***)
    so. bis “bald”

    abteilung bisorgs weiche seite, in der er auch zugeständnisse macht:
    (*) allein schon bei den versuchen, diplomatie irgendwie zu definieren bekomme ich rosa fingernägel.
    (**) das wort gibt es so nicht.
    (***)ja. ich weis. ich lasse da viel aus. aber ist das kunst oder kann das weg?

    bisorg herbatov, January 4, 2011