Dildos: Ja – Nutten: Nein! Offener Brief einer Sexarbeiterin an Fun Factory


Cabuflé; 2010-10-04

Eine Freundin von mir, die sich ihr Studium der Geisteswissenschaften unter anderem durch den Verkauf sexueller Dienstleistungen finanziert, machte unlängst eine aufschlussreiche Erfahrung, als sie in einem renommierten Sex-Shop Flyer für eine Veranstaltung der Hurenorganisation Hydra e.V. auslegen wollte: Offenbar möchte ein Unternehmen, das gegen Geld Objekte verkauft, die Menschen sich umschnallen, einführen oder sonstwie zum Lustgewinn gebrauchen können, es um jeden Preis vermeiden, öffentlich mit Menschen in Verbindung gebracht zu werden, die beruflich eben jene Objekte gegen Geld umschnallen, ihren Kunden einführen, bzw. sich einführen lassen oder sich sonstwie um den Lustgewinn ihrer Kunden kümmern.

Aus diesem Anlass formulierte sie einen offenen Brief an die Unternehmensleitung des Ladens, den ich hier im Wortlaut wiedergebe, da der beschriebene Sachverhalt symptomatisch für ein Problem unserer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft steht, das in meinen Augen unbedingte Aufmerksamkeit verdient:

Während die mediale Ausschlachtung von Sexualität in unterschiedlichsten Spielarten als Lifestylethema längst Normalität ist, massenweise Ratgeber- und Unterhaltungsliteratur rund ums “Untenrum” über Ladentheken wandert, während es nicht ungewöhnlich ist, im erwachsenen Freundeskreis offen Themen wie Promiskuität, Masturbation oder erotische Vorlieben zu erörtern, während pensionierte Pornodarsteller auf eine Zweitkarriere als C-Promi im Privatfernsehen hoffen dürfen und “prickelnde Experimente” wie ein Besuch im Swingerclub durchaus auch für Reihenhausbewohner eine halbwegs gesellschaftsfähige Option darstellen, werden Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen nach wie vor mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit ausgegrenzt und diskriminiert – sei es durch die ganz normalen bürgerlichen Ressentiments gegen alles irgendwie Schmuddelige oder mittels notorisch gutgemeinter Besorgnis um die armen ausgebeuteten und/oder fehlgeleiteten (zumeist weiblichen) Individuen.

FUN FACTORY GmbH
Dirk Bauer
Auf dem Dreieck 2-4
D – 28197 Bremen

Offener Brief einer Sexarbeiterin an die Firma Fun Factory

Sehr geehrter Herr Bauer,

vor einigen Tagen hatte ich ein kurzes Gespräch mit einer Ihrer Angestellten im Berliner „Fun Factory“-Store am Hackeschen Markt über die Haltung Ihres Unternehmens zum Thema Sexarbeit. Ich nehme dies zum Anlass, Ihnen zu schreiben.

Ausgangspunkt war meine Frage an die angestellte Dame, ob ich in der Filiale ein paar Flyer für ein Filmfestival auslegen könne, das die Berliner Hurenorganisation Hydra e.V. (die Ihnen vielleicht ein Begriff ist) anlässlich Ihres 30. Jubiläums veranstaltete. Thematisch schien mir das sehr passend. Die Dame sah sich die Flyer an und meinte, das Wort “Hure”, das darauf relativ prominent zu lesen war, stelle ein Problem dar. Wenn sie diese Flyer auslegen würde, bekäme sie Ärger mit der Unternehmensleitung – also mit Ihnen. Es sei ausdrückliche Unternehmenspolitik der Firma Fun Factory, jegliche Berührung mit dem Thema Sexarbeit zu vermeiden. Ich erwiderte, dass ich diese Haltung bedauerlich fände, da sicher auch viele SexarbeiterInnen bei „Fun Factory“ einkauften. Darauf entgegnete die Mitarbeiterin, das glaube sie nicht, da Ihre Spielzeuge ja „sehr hochpreisig“ seien. Des weiteren verwies sie mich an die Unternehmensleitung, wenn ich weitere Anmerkungen oder Nachfragen zur Geschäftspolitik hätte.

Da mich die Auskünfte Ihrer Angestellten sowohl überrascht als auch sehr geärgert haben, schreibe ich Ihnen. Nicht, dass ich keine Flyer auslegen konnte, ärgerte mich, sondern dass ich erfahren musste, dass ein großes deutsches Unternehmen der Erotikbranche wie Ihres, das sich den Anstrich eines selbstbewussten, emanzipierten und modernen Umgangs mit Sexualität gibt, es dennoch nötig zu haben meint, sich von Sexarbeit abzugrenzen – offenbar um sich als etwas “Besseres” darzustellen. Das Bemühen, die Erotikbranche vom Schmuddelimage zu befreien, geht damit auf Kosten derer, die von der Gesellschaft am stärksten stigmatisiert und diskriminiert werden.

Ihr Geschäftskonzept beruht auf der Prämisse, dass es nicht verwerflich ist, Menschen zu einer erfüllten Sexualität zu verhelfen und damit Geld zu verdienen. Daher halten es Unternehmen wie das Ihre nicht länger für nötig, sich zu verstecken, ihr Geschäft in abgedunkelten Läden abzuwickeln und verschämt schwarze Tüten an die Kunden zu verteilen. Ich finde das sehr begrüßenswert. Warum aber wird Sexarbeit noch immer mit ganz anderen Augen betrachtet? Ich glaube, dass sich eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber Sexualität nicht mit der moralischen Verurteilung von (selbstbestimmter) Sexarbeit vereinbaren lässt. Da Ihr Unternehmen eine solche sex-positive Haltung nach außen vertritt, sehe ich in der Abgrenzung von Sexarbeit eine Tabuisierung, die letztlich die gesellschaftliche Doppelmoral gegenüber Sexarbeit bejaht und Sexarbeit als unmoralisch oder anrüchig in die Schmuddelecke abschiebt – bzw. dort belässt. Mit dieser Tabuisierung und Sonderbehandlung des Themas Sexarbeit tragen Sie mit zur gesellschaftlichen Stigmatisierung von SexarbeiterInnen bei.

Dass gerade Huren sich Ihre “hochpreisigen” Toys nicht leisten könnten, ist ja eine eher absurde und widersinnige Idee. Ich finde es mehr als fragwürdig, dass Sie einen Teil Ihrer Kundschaft verleugnen, weil ihr Beruf gesellschaftlich noch immer nicht salonfähig ist. SexarbeiterInnen sind auf dem Gebiet der sexuellen Freude die Profis und ExpertInnen. Sie verwenden Sextoys nicht nur privat wie andere Menschen, sondern auch professionell. Insofern wäre die Tatsache, dass SexarbeiterInnen bei Ihnen einkaufen, viel eher eine Qualitätsauszeichnung für Ihre Produkte als ein Schandmal, das Sie verbergen müssten.

Mit einer mutigeren und konsequenteren Position könnten Sie dazu beitragen, dass SexarbeiterInnen in Zukunft in der Öffentlichkeit zu Ihrem Beruf stehen können, ohne Diskriminierung fürchten zu müssen.

Wenn Ihr Unternehmen tatsächlich mit dem Thema Sexarbeit nicht in Verbindung gebracht werden will, ist das für mich ein Grund, in Zukunft nicht mehr bei Ihnen einzukaufen. Vermutlich wird es einigen meiner FreundInnen und KollegInnen ebenso gehen. Ich habe wenig Lust, eine Sextoy-Firma zu unterstützen, die mich als Kundin eigentlich gar nicht haben will, und die die oben beschriebene Doppelmoral mitträgt, die wir SexarbeiterInnen aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft zur Genüge kennen und satt haben.

Mit freundlichen Grüßen,

Sascha
Unabhängige Hure und Escort, Berlin
Mitglied von Hydra e.V.

P.S.: Falls Ihnen Hydra e.V. nicht bekannt sein sollte, finden Sie hier weitere Informationen: www.hydra-ev.org

Da ich aus oben genannten Gründen auf eine hitzige Diskussion in den Kommentaren gefasst bin, noch ein paar generelle Anmerkungen zum Thema Sexarbeit:

Sicher ist es nicht zu leugnen, dass nicht wenige Prostituierte ihrem Beruf unter fragwürdigen bis indiskutablen Bedingungen nachgehen (müssen), und dass – schlimmer noch – ein zumindest nicht unerheblicher Anteil (ich kenne hier keine Zahlen) der weltweit ausgeübten Sexarbeit im Umfeld von organisiertem Verbrechen, Zwangsarbeit und Menschenhandel stattfindet. Diese Probleme werden allerdings durch eine allgemeine Ächtung der Prostitution nicht gelöst, sondern im Gegenteil verschlimmert oder überhaupt erst erzeugt.

Wer im Ãœbrigen ernsthaft noch der Meinung ist, dass es keine Prostituierten geben kann, die ihren Beruf freiwillig und selbstbestimmt, ja gar mit einer gewissen gesunden Lust ausüben, und dass also somit Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen per se prinzipiell in die Opferrolle gehören, möge bitte diesen Artikel von Saschas Kollegin Carmen lesen, bevor er anfängt einen halbgebildeten populärpsychologischen Kommentar zu tippen. Danke.

one comment

  1. So, während die Diskussion um dieses brisante Thema hier ja schon voll im Gange ist, hat die Firma Fun Factory eine Antwort verfasst, die ich auch den geneigten Lesern dieses Blogs nicht vorenthalten will:

    Hallo Sascha,

    vielen Dank für den Offenen Brief an uns.

    Als FUN FACTORY engagieren wir uns seit 1996 dafür, das das Thema Sexualität und Sextoys enttabuisiert wird.

    1996 gab es auf dem Sextoymarkt ausschließlich Sextoys, die Penisse und Vaginen nachbildeten. Es gab viel mehr qualitativ schlechte Toys, fast ausschließlich aus China, die mit viel “Haut” beworben wurden. Sextoys und Sexshops hatten in diesem Zeitraum etwas “Schmuddeliges”, Pornografisches und waren nicht auf die Zielgruppe “Frau” eingestellt, sondern befriedigten die Bedürfnisse und Fantasien der überwiegend männlichen Kundschaft.

    Die FUN FACTORY hat dieser Wahrnehmung einen neuen ästhetischen Trend gegenübergestellt: Wir wollten gesundheitsfreundliche Materialien, bunte Farben und vielfältige Formen, eben Toys für Frauen und Paare, mit denen man einfach Spaß haben kann.
    Zu diesem Zeitpunkt ist auch unser Slogan “love yourself!” entstanden, der ein positives Verständnis vom Umgang mit der eigenen Sexualität unterstützen soll.

    In diesem Zusammenhang haben wir uns schon damals dazu entschlossen, in unserer Werbung und auf den Verpackungen für unsere Toys nicht mit Abbildungen von Körperteilen zu arbeiten. Unsere Texte sollen Spaß auf mehr machen und eine eher fantasievolle Welt eröffnen – in Konsequenz zum oben Gesagten eben “no porn”. Toys sollten Teil von Lifestyle sein. Das war und ist noch immer unsere Vision.

    Auch die HYDRA setzt sich (bekanntermaßen schon viel länger) dafür ein, dass das Thema Sexualität und Sexarbeit enttabuisiert wird und stellt vielfältige Informations- und Beratungsleistungen für Sexarbeiterinnen zur Verfügung, leistet wichtige Aufklärungsarbeit.

    Was ist überhaupt Teil der Sex-/Erotikbranche? Sextoys, Sexarbeiterinnen, Pornofilm-Business, SM, Bondage, Homosexualität, Lack und Leder …

    Sex/Erotik haben unzählige Facetten, die gelebt werden wollen und mit denen Geld verdient wird, weil es eben einen Bedarf dafür gibt. Eine Bewertung dessen steht uns und anderen Menschen nicht zu.

    Insgesamt haben wir eine sehr offene Firmenpolitik. Uns ist wichtig, dass jede/r ihre/seine Sexualität so lebt, wie sie/er es will.

    In unserem Flagshipstore in Berlin haben wir eine offene Raumgestaltung gewählt, weil wir damit Offenheit signalisieren wollen. Eine Stigmatisierung von Sexualität und/oder Sexarbeit liegt uns fern.

    Wir wissen, dass unsere Sextoys von einer vielfältigen Kundschaft gekauft wird – so auch von verantwortungsvollen Sexarbeiterinnen, die Toys aus gesundheitsfreundlichen Materialien nutzen. Dabei hoffen wir, dass die Qualität unserer Toys ihren Preis rechtfertigt und wir zufriedene Kunden haben.

    Die persönliche Meinung und die Phantasie eines einzelnen Mitarbeiters und die daraus folgenden “Gedankengänge” und Zusammenhänge zum Thema Sexarbeit können wir nicht mittragen. Da haben wohl viele eigene Vorurteile, Unsicherheit oder eine mißverstandene Interpretation von “no porn” in die Äußerung der Mitarbeiterin mit hineingespielt – so “absurd” sie auch sind, so verletzend sind sie für einen Berufsstand, der bereits seit 3 Jahrzehnten um Anerkennung kämpft.
    Ich denke, wir haben hier noch eine Menge Aufklärungsarbeit, auch ggü. unseren MitarbeiterInnen zu leisten und entschuldigen uns für die entstandene Situation.

    Mit freundlichen Grüßen aus Bremen

    Ilona Offermann
    Marketing Manager

    Wie von Marketing-Menschen wahrscheinlich nicht anders zu erwarten, wird -wie ich finde – eine klare Positionierung vermieden. Eigentlich sagt sie nirgendwo eindeutig, dass die Firmenpolitik die Verweigerung der Auslage von Flyern nur weil sie mit Sexarbeit zu tun haben, nicht zulässt. Sie grenzt sich eher von den Aussagen ab, dass SexarbeiterInnen nicht als KunInnen erwünscht sind, was ja jetzt keine große Ãœberraschung ist…
    Nunja.

    Hier jedenfalls jetzt auch die Antwort und meine Anmerkungen dazu:
    courtisane.de

    Sascha, October 5, 2010