so ist das nun mal
Cabuflé; 2009-10-11
Meine sehr verehrten Damen und Herren: Ich bin betrunken. In diesem Sinne möchte ich Ihnen gerne mitteilen:
Wer für die Mehrheit seiner Mitmenschen etwas anderes als Verachtung übrig hat, kann niemals wahrer Künstler sein.
Das mag jetzt zunächst klingen wie das, was ein besoffener Regisseur auf einer Berliner Szeneparty sagt, um Frauen zu beeindrucken, aber ich kann das begründen. Ich muss an den JuSo denken, der damals, als wir mit Brigitte Wimmer in Berlin waren – auf Staatskosten, versteht sich: “Politik- und Infofahrt” – fragte: “Georg, wie stehst du eigentlich zu der gelben Abkürzung?”
Er wollte wissen, ob ich es moralisch in Ordnung fände, vom Club ins Hotel ein Taxi zu nehmen. Natürlich ist das eine politische Frage, wie so manches, aber eben gerade nicht so, wie der Typ, der seine Jugend an Gerhard Schröder verschwendet hat, mit seinem Gratisgewissen meinte.
Die Sache gestaltet sich folgendermaßen: Kunst – gute Kunst, und die Diskussion darüber, was das eigentlich bedeute und wer das definiert, führen wir ein anderes mal – entsteht aus Leidenschaft. Sich mit eben jener Leidenschaft der Herstellung eines Dinges zu widmen, das in letzter Konsequenz neben hoffentlich vorhandenen ästhetisch-formellen Qualitäten nichts weiter bedeutet als ein Abbild der eigenen Persönlichkeit, der eigenen Haltung zu einem Sachverhalt, kann nur leisten, wer in grenzenloser Selbstüberschätzung ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass, was auch immer er zu sagen haben, was er aus der Sache machen mag, wichtiger und bemerkenswerter ist, als was andere daraus machen würden. Sonst wird es beliebig und damit überflüssig.
Dass ein Jeder, der ein wertvolles Kunstwerk erschafft, sich damit zugleich notwendig als Humanist outet, ist einer jener Widersprüche der Post-Postmoderne, die ich hier wertfrei zur Kenntnis nehmen will.
Und so lassen Sie mich schließen mit jenen Worten, die ich vorhin in einem entkernten Friseursalon im Reuterkiez über laute Elektromusik brüllte, um eine Frau zu beeindrucken:
Das Ziel aller Kunst muss dafür sein. Das Ergebnis dagegen!
Weiß nicht. Kunst ist doch eigentlich grade nicht nur eine Meinung, ein Abbild einer Persönlichkeit, sondern geschickt gewobene Projektionsfläche für die Phantasie des konsumierenden, aber eben nicht nur konsumierenden, Zuschauers/Lesers/etc., welcher beim Konsumieren schon sein eigenes Kunstwerk erschafft, das selbstverständlich nicht unabhängig von der Arbeit des Ursprungskünstlers ist, aber eben auch nicht dasselbe. Insofern ist das Erschaffen von Kunst nicht mehr an Arroganz oder Verachtung für die Mitmenschen gebunden, als das Erschaffen eines Tisches oder einer Gabel. (Wobei man ja auch das als Kunst bezeichnen könnte, in manchen Fällen sogar sollte, aber im allgemeinen Fall dann eben zu einem sehr relativistischen Kunsbegriff kommt.)
Prost.
Ich pflege ja generell einen sehr relativistischen Kunstbegriff. So gut wie alles kann Kunst sein, wenn jemand es so will. Das ist aber noch kein Qualitätsurteil, deshalb ja die Rede von “guter” Kunst. Und wenn mich jetzt jemand fragt, was denn nun gute Kunst von schlechter Kunst unterscheidet, so kann die einzig richtige Antwort natürlich nur lauten:
Mein Urteil!
Hier könnte sich uns ein spannendes neues Diskussionsfeld öffnen, Genossen.
Den von Cabuflé konstatierten Widerspruch in der Haltung eines “wahren Künstlers” (den ich in diesem Fall definieren würde als jemanden, der sich tatsächlich zu schade dafür ist, mit der Begründung: “Ist doch auch nur ein Handwerk” irgendwelchen Mainstream zu produzieren) sehe ich genauso und finde ihn in meiner eigenen Haltung wieder: Würde es mir nicht immer wieder aufs Neue einen Schock versetzen, dass die BILD-Zeitung das auflagenstärkste Erzeugnis unserer Tagespresse ist, hätte ich gar nicht den Antrieb, der tumben Masse, die blöd genug ist, für so einen Dreck Geld auszugeben, etwas Niveau und Kultur einprügeln zu wollen. Wäre meine Haltung gegenüber dem Bildzeitungsleser jedoch dieselbe wie die gegenüber dem Bildzeitungsmacher (nämlich Verachtung) – warum würde ich mir die Mühe dann überhaupt noch machen wollen? Irgendwo muss ich doch auch noch daran glauben können, dass die armen Schweine meinen Schweiß und meine Tränen wert sind!
Sonst entsteht nämlich jene Art von Kunst, deren Botschaft sich ausschließlich an jene geschulte und aufgeklärte Elite wendet, die das, was ich zu sagen versuche, nicht mehr begreifen muss, sondern nur noch analysiert und bewertet. Und das ist nichts anderes als Rumgewichse.
Auf der anderen Seite gibt es diesen nervigen Spruch “Kunst kommt von Können” – ich muss natürlich auch Mr. Aircraft darin recht geben, dass Kunst nicht nur das Hinausposaunen einer für überdurchschnittlich wertvoll erachteten Meinung ist, sondern ganz wesentlich damit zu tun hat, wie gekonnt, wie mühevoll, wie detailverliebt, wie leidenschaftlich, wie präzise, wie verschnörkelt es dem Künstler gelingt, seine Haltung in ein ästhetisch, intellektuell oder emotional ansprechendes Werk zu kleiden. Es reicht nicht, etwas zu sagen zu haben, man muss auch wissen, wie man es formuliert. Insofern ist die Ãœberheblichkeit eines Künstlers nicht anders als die eines Arztes: Er darf gewisse Dinge tun, weil er sie verdammt noch Mal kann!
Die wirklich schlimmen Gestalten sind doch jene, die ihre Haltung ohne jeglichen ästhetischen Mehrwert in den Äther schleusen, nicht aus Leidenschaft, sondern aus Geltungssucht: Die Kolumnisten, die YouTube-Kommentierer, die Twitterer, die Blogger….
Ich hab mir das noch mal überlegt. (alte Menschen im Hintergrund: “Oho! Sieh an!”)
Und irgendwie glaube ich immer noch nicht, dass für Kunst ein besonderes Maß an Ãœberheblichkeit nötig ist. Dass es einfließen kann, keine Frage, aber weder kann ich behaupten zu glauben, dass Kunst dadurch schlechter noch dass sie besser wird.
Wenn durch Kunst eine bedeutende “Botschaft” vermittelt wird, zu derren Äußerung eine gewisse herablassende Einstellung gegenüber dem eigenen Publikum nötig ist und Kunst an dieser Stelle aufhört, dann – vorausgesetzt es handelt sich nicht um eine neue Botschaft, in welchem Fall die Äußerung derselben kaum Arroganz benötigt – würde ich nicht von guter Kunst sprechen. Kunst äußert sich doch darin, neue, alte oder sogar an sich “leere” Botschaften (was ich nicht unbedingt abwertend meine) auf neue Art und Weise zu präsentieren, zu besingen, zu feiern, zu vernichten, etc. und dabei dem Publikum eine Mögichkeit zu geben sich selbst auf persönliche Art zu involvieren, sich mit dem Kunstwerk zu verbinden und in sich selbst auf diese Weise ein eigenes Werk zu erschaffen.
Was Kunst ist, äußert sich für mich auch im Hinblick auf Geschichte. Als Marcel Duchamp seinen “Fountain” “schuf”, ein ordinäres Pissoir, provozierte er einen Aufschrei, weil nie zuvor auf diese Weise über Kunst nachgedacht worden war. Es zwang jeden sich auf neue Art und Weise mit Kunst (und Pissoirs) auseinanderzusetzen und von nun an anders über sie zu denken. Ich habe kein Problem, das als Kunst zu bezeichnen. Wenn aber heute jemand das gleiche machen würde, würde ich mich wahrscheinlich eher dagegen sträuben, die Bezeichung “Kunst” zu vergeben.
Das trifft auch irgendwie ganz gut meine Gesamtmeinung über Kunst. Es ist dann Kunst, wenn es zum Denken, Fühlen, Erfahren, Ändern, was auch immer, anregt. Nicht wenn es lediglich versucht, eine Botschaft in die Kehlen der Zuschauer zu quetschen. Für Künstler bedeutet das, dass sie eben, mindestens zu einem nicht unerheblichen Grad, nicht kontrollieren können, wie ihre Kunstwerke aufgefasst und interpretiert werden. Gewissermaßen kommt man hier jetzt leider tatsächlich unvermeidlich ins Gebiet nerviger Klischee-Sätze, wie: “Jedes Kunstwerk ist eine Diskussion.” Natürlich ist es das nicht zwangsläufig an sich, sondern höchstens durch die Betrachtung des Publikums und selbst dann gefällt mir der Begriff Diskussion eigentlich nicht. Aber Kunst wird zu einem Großteil gewissermaßen tatsächlich erst zu dem, was sie ist, wenn sie konsumiert wird. Und zu was sie wird, tja keine Ahnung, das steht eben vorher eigentlich noch nicht fest.
Ich meinte halt nicht, dass Kunst “nur” ein Handwerk ist. Es IST meiner Meinung nach ein Handwerk, aber das rechtfertigt natürlich nicht, sich irgendwelcher Mainstream-Scheiße hinzugeben. Die handwerkliche Herausforderung besteht vielleicht eher darin, etwas zu erschaffen, dass das Potenzial hat, etwas zu verändern und zu bewegen im Zuschauer. Was das genau ist und wie das genau aussieht, kann dann bei jedem anders sein, auch wenn die ungefähre Richtung gleich ist. So könnte man z.B. sagen, Magie ist Kunst, wenn sie dazu führt, dass eine Zuschauerin nach der Betrachtung eines Kunsstücks nie wieder auf die selbe Art wie vorher beispielsweise über eine Münze oder ihre Uhr oder ihren Ring nachdenkt. Wie genau sie nun darüber nachdenkt oder was sie fühlt, wenn sie das nächstemal eine Münze genauer betrachtet, hängt dagegen mit ihrer individuellen Persönlichkeit zusammen. (Dieses schöne Beispiel kommt nicht von mir, auch wenn ich mich im Moment nicht erinnern kann, wo ich es gelesen habe.)
Es ehrt mich, dass du meine versoffene Selbstdarstellung ernster nimmst als ich…
Was mich betrifft, hab ichs nicht als Selbstdarstellung verstanden und würde es auch nie so verstehen, sondern als sehr interessante philosophische Fragestellung, wie der sehr geschätzte Herr Alabim es ja auch andeutete.