Jugendschutz oder Zensur?
Cabuflé; 2009-10-23
In einem zweiteiligen Artikel auf Telepolis hat Hans Schmid sich recht ausführlich und angemessen polemisch mit der fragwürdigen Praxis der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien auseinandergesetzt. Unbedingt lesenswert.
(…) An den Indizierungsentscheidungen fällt mir die Sicherheit des Urteils auf. Diskussionsbedarf bestand offenbar nur hinsichtlich der Frage, ob ein Film in Liste A oder Liste B eingetragen werden soll und ob Frontière(s) zum Rassenhass anreizen und das NS-Regime verherrlichen könnte, weil das sabbernde Familienoberhaupt der Kannibalen früher bei der SS war (eher nicht, befand das Gremium). Mir ist diese Meinungsstärke leider nicht gegeben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die genannten Filme gut oder schlecht finde und ob ich sie empfehlen würde, wenn ich das dürfte. Bei mir ist die Meinungsbildung ein Prozess. Als Jugendschützer wäre ich ein Versager, denn von vornherein weiß ich so gut wie gar nichts (beim 3er-Gremium ist das ganz anders). (…)
(…) Die BPjM ist doch noch fündig geworden. Nicht bei der Wissenschaft oder im Feuilleton von Zeitungen und Zeitschriften, sondern im Kommentarteil von Internet-Versandhändlern. Eine seiner 12 Textseiten zu A l’intèrieur füllt das 3er-Gremium mit den “Filmrezensionen” von “blade41”, “Mr. Vincent Vega” und “McHolsten”. Mit Verlaub: Das ist Realsatire. Solche Kommentare von Internet-Usern sind völlig legitime Meinungsäußerungen, aber Filmrezensionen sind es in aller Regel nicht. Ich will überhaupt nicht ausschließen, dass Mr. Vincent Vega & Co. eine solche Rezension schreiben könnten (dazu gehört, dass man nicht nur eine Meinung hat, sondern diese auch begründet), aber sie haben es nicht getan, weil es nicht verlangt war. Wenn die BPjM so tut, als erfasse sie “Echo und Wertschätzung in Kritik und Wissenschaft”, indem sie ein paar Sätze von McHolsten zitiert, ist das eine Travestie. (…)
Sehr ausführlich, und in seiner Ausführlichkeit sehr vernichtend.
Ich habe drei der von ihm als Beispiele genannten Filme gesehen und würde nicht zögern, mindestens zwei davon (High Tension und Eden Lake) als Kunstwerke zu bezeichnen. Brutal zwar, aber meiner Ansicht nach ist es hin und wieder auch die Aufgabe, ja geradezu die Pflicht von Kunst, brutal zu sein. Wenn ich lesen muss, wie schändlich und bürokratisch in Deutschland mit solchen Kunstwerken umgegangen wird, tut mir das wirklich in der Seele weh.
Vielleicht fehlt mir der objektive Vergleich mit anderen Nationen, aber ich habe immer, wenn ich auf die Kinocharts in Deutschland sehe, wenn ich mir die erfolgreichsten Deutschen Filme ansehe, wenn ich mir überlege, dass Deutschland nahezu keine eigene nennenswerte Comic-Kultur hat, immer wieder den Eindruck, einem Volk absoluter Kulturbanausen anzugehören. Da liegt es doch nicht fern, irgendeine Art der Wechselbeziehung zwischen diesem Eindruck und der Tatsache, dass wir von unseren eigenen Behörden wie Unmündige behandelt werden herzustellen.
Haben wir die Bundesprüfstelle nötig, weil wir Kulturgut nicht von Butterbroten unterscheiden können, oder sind wir nur so verarmt, weil man uns nichts zutraut?