Highlights aus dem Callcenter
Sims Alabim; 2009-04-03
Mir ist das Prinzip schon klar: Einen unschuldigen Menschen telefonisch überfallen, möglichst auf dem Handy, weil da die Wahrscheinlichkeit noch größer ist, dass er gerade mit irgendwas beschäftigt ist und deswegen nur halb so konzentriert, wie vielleicht an seinem Schreibtisch, und ihm dann möglichst schnell und ohne ihm viel Raum zum Nachdenken lassen eine neue Flatrate für “Telefonie”, Internet und Waschmaschine anbieten, die er natürlich nur bekommt, wenn er jetzt gleich Ja sagt, denn dieses Angebot gilt natürlich nur für treue Kunden, denen man als Dank noch mehr beim Sparen helfen möchte und ist natürlich nicht im Internet noch einmal in Ruhe einseh- und studierbar.
Mir ist auch der Druck klar, unter dem jemand stehen muss, der bei so einem Job auf Erfolgsbasis bezahlt wird, und die Frustration, die derjenige dann bei jedem ablehnenden, zögernden oder tausend Mal nachfragenden Kunden empfinden muss. Ich habe auch Verständnis dafür, wenn man dann einfach nur schnell auflegen und beim nächsten Deppen sein Glück versuchen will. Ehrlich gesagt: Das wäre mir als Nein-Sager als Reaktion des Callcentermenschen auch am liebsten.
Stattdessen muss ich mir sowas bieten lassen:
“Sie möchten jetzt also nicht darüber nachdenken, Herr Kunz? Natürlich, sie zahlen also lieber weiterhin einen Festnetzanschluss und Internet und haben dazu noch nicht einmal die Möglichkeit das Internet von unterwegs zu nutzen, das wir ihnen anbieten wollten, na klar, das verstehe ich, es ist ja auch zu mühsam, sich Gedanken darüber zu machen, ob man sein Leben vielleicht noch verbessern kann. Lassen sie nur alles, wie es ist, Herr Kunz. Ich wünsche ihnen einen schönen Tag noch.”
Auch gut war:
“HerrKunz, Siesindjajetztschonseitzweijahrentreuerkundebeiuns, dafürmöchtenwirunsbeiihnenbedanken undbietenihnenhiermiteine Flatrate mitdersieamwochenendefürnürsiebeneurozusätzlich das ganze Wochenende umsonst telefonieren können anstattwiesonstfürzehneuro. Anihremvertragändertsichselbstverständlichnichtsherrkunz. Istdasnichteinetollenachrichtherrkunz”
“Ähm…das würde sich doch nur lohnen, wenn ich sonst nur am Wochende mehr als sieben Euro vertelefoniere?”
“Wir wollten ihnen eine Möglichkeit zum sparen geben, aber möchten se nicht? Dann wünsche ich einen schönen Tag noch.” – Klick.
Was bringt man diesen Leuten eigentlich bei? Dass sie ihren Job so persönlich nehmen sollen, dass sie dann auch persönlich gekränkt sind, wenn ich ihnen ihre Scheiß-Flatrate nicht ohne darüber nachzudenken abnehmen will? Dass beleidigtes Auflegen und sarkastische Bemerkungen mir ein schlechtes Gewissen machen und ich dann reuig angekrochen komme? Dass es in einem Kundengespräch, in dem man mir eine zweite Chipkarte für meine Partnerin anbieten will, und ich erkläre, dass ich keine Partnerin habe, eine verkaufsfördernde und psychologisch kluge Strategie ist, mich daran zu erinnern, dass ich doch sicherlich nicht planen würde, noch lange Single zu sein?
Warum muss ich mich von Narren, die mich unaufgefordert anrufen, wie einer behandeln lassen, der im Schuhgeschäft zwei Stunden lang Schuhe anprobiert um dann doch keine zu kaufen? Ist das die neue Ãœberrumpellungsstrategie? Kauf, sonst werden wir schnippisch?
Den nächsten, der mir so kommt, lasse ich erst wieder auflegen, wenn er meinen Newsletter abonniert hat.
Ich empfehle für solche Fälle ja immer das hier.
http://www.xs4all.nl/~egbg/counterscript.html
Viel Erfolg beim nächsten Mal :)
und, ein kleiner ausblick in die welt der call-center-spastis. ich war da mal kurfristig beschäftigt. kurzfristig weil nach 3 wochen wegen mangelndem erfolg gefeuert- wobei das ein eigentlich völlig überzogener begriff ist; ich hatte immerehin die ehre, vom abteilungsleiter himself eine äußerst empathische sitzung gewährt zu hbekommen, in der ich auch gelegenheit hatte, meine bedenken und gefühle zur gesamtsituation zu äußern- nicht ganz ergebnisoffen der anlass, aber ich habe mich sehr behütet und als mensch, nicht als human resource respektiert gefühlt.
das ist alles eine riesige gehirnwäschemaschine, und sie funktioniert gut. mit modellernen, klassischem und operantem konditionieren, berücksichtigung von kontrollüberzeugungen, erwartungshaltung und motivationsformen verschiedenster art werden weite teile der schönsten und etabliertesten lernpsychologischen ansätze in einem prä-, post- und follow-up bzw. einem primären, sekundären und tertiären interventionsplan nah an der perfektion vermittelt/angewandt und spätestens nach zwei 40h-wochen ist ein verkaufsgespräch ungefähr so frei gestaltbar wie eine 5minütige fahrradfahrt zum nächsten discounter. klar kann man, wenn der verkehr und der straßenbelag es zulassen mal zwischendurch ein bischen freihändig fahren, niemand erlegt einem befehle auf, in welche richtung man sich nach hinten umsieht, ja man könnte sogar mal kurz anhalten um einem zufällig erspähten bekannten eine paar momente smalltalk abringen- aber: füße treten pedale, gleichgewicht halten, lenken, bischen navigieren und schnell auf wichtige reize wie tonnenschwere verkehrsteilnehmer reagieren führt zum erreichen des discounters. blablabla -das ist alles eine routine, der ich unterstelle, dass sie neuronal auf so basal-automatisierten vorgängen wie ungefähr blinzelreflexe beruht- nehmt den völlig verwahrlosten wesen das nicht übel.
lange rede kurzer sinn: in der liste der menschen, deren meinung mir als agent irgendwas bedeuten kann, liegt der kunde ungefähr 300 gefühlte rangplätze unter dem typen von der konkurrenz, der mich nach feierabend anruft. alle freundlichkeit gegenüber call-center-agents ist in höchstem maße inadäquat, beste varianten sind sofort auflegen und/oder sofort mit aller deutlickeit darauf hinweisen, das man selber agent ist und definitiv kein interesse hat. das arbeitsgedächtnis des agents ist so voll von türöffnern, einwandbehandlungen und türschließern, dass jede konversation eine utopie ist.
achja, und die meisten läden machen das noch immer auf die eine oder andere art illegal. könnt sich also vielleicht lohnen, die daten des unternehmens rauszusuchen.