Bestandsaufnahmen eines Galaabends
Sims Alabim; 2009-04-26
…damit Kollege Cabuflé auch weiß, dass ich einen guten Grund hatte, am Freitag kein Komparse mehr zu sein.
Freitag, 13 Uhr: Die mobilen Würstchenverkäufer am Alex verkünden wie moderne Muezzins die Mittagszeit. Ich habe mir endlich ein Ticket für den Fernsehturm geleistet, als ich erfahre, dass für mich eine Karte für die Lola-Verleihung herausspringen könnte. Weil ich mein Turmticket schon bezahlt habe, treffe ich das Kartenarrangement in der Warteschlange vor dem Aufzug und komme mir wie der letzte Schnösel dabei vor.
Gute fünf Stunden später: Platz nehmen in Block C und der Dinge harren, die da kommen.
Zunächst der interne Teil für das anwesende Publikum. Die Akademie verteidigt ihr Auswahlverfahren. Barbara Schöneberger erklärt den potentiellen Preisträgern, wie sie sich auf der Bühne verhalten sollen, und versprüht dabei Esprit und gute Laune.
Dann beginnt die Fernsehaufzeichnung und Barbara Schöneberger ersetzt Esprit und Frische gegen Texte vom Teleprompter.
Der Abend beginnt mit dem Höhepunkt: Loriot wird für sein Lebenswerk geehrt. Eines muss man Michael “Bully” Herbig lassen: Seine Laudatio ist so lahm und unlustig, dass einem erst richtig schmerzlich bewußt wird, wie sehr unserem Land heute solch eine Ikone des Humors fehlt. Der Meister betritt, am Stock gehend, die Bühne. Minutenlange Standing Ovations für einen Mann, dessen Lebenswerk ich fast auswendig aufsagen kann, und ich mittendrin. Es gibt einen Gott!
Danach: Applaus für die Moderation. Applaus für die Trailer. Applaus für die Filmausschnitte. Applaus für die Laudatoren. Applaus für die Laudatio. Applaus für die Nominierten. Applaus für den Gewinner. Applaus für die Dankesrede des Gewinners. Applaus für den Ãœbergang zum nächsten Programmpunkt. Mit tun die Hände weh. Das ist, was wir sind: Klatschvieh, damit die Zuschauer an den Endgeräten das Gefühl bekommen, einer unterhaltsamen Veranstaltung beizuwohnen.
Es geht auch anders: Wo immer meine persönlichen Hassfilme, Krabbat und Der Baader-Meinhoff-Komplex nominiert sind, verschränke ich demonstrativ die Arme vor der Brust. Es ist ein kleiner Triumph, aber der einzige, den ich heute Abend selbst erringen kann. Die beiden Filme gewinnen keine Preise. Ich bin zufrieden.
Der Triumph eines anderen macht den Abend komplett: Andreas Dresen bekommt den Regiepreis für Wolke 9. Es gibt nicht nur einen Gott, es gibt auch Gerechtigkeit.
Diese fordert auch ein Contergan-Geschädigter Dokumentarfilmregisseur in Form von Reparationszahlungen von denen, die sich eine goldene Nase damit verdient haben, Menschen zu Krüppeln zu machen. Ein kurzer, beinahe schmerzhafter Moment simpler, glasklarer Emotion.
Große Enttäuschung auf der Party: Schönebergers Witze über das in diesem Jahr ausgesparte Buffet waren keine. Für jemanden, der unter anderem hier ist, um sich auf Steuerzahlerkosten durchzufressen, ein herber Schlag. Tabletts mit Spatzenportionen, später mit heißumkämpfter Currywurst gehen herum. Mühsam ernähren sich die Eichhörnchen.
Dafür ordentlich Gratispröbchen abstauben: Edelschokolade und Zigarren. Warum hat mein Anzug so wenig Taschen?
Der DJ arbeitet sich an Partyhitlisten ab. Mehrere Generationen wollen an ihre Abifete erinnert werden. Keine leichte Aufgabe.
Ob man uns ansehen kann, dass wir immer noch nicht erwachsen genug sind, um das Promispotting sein zu lassen? Ob all die anderen Nichtpromis es sind? Ob die jungen Damen in Begleitung der graumellierten Herren nicht doch die Töchter sind?
Der Unterschied, ob man Erdbeeren oder Himbeeren im Cocktail hat, ist der: Himbeeren zermatschen schneller und verstopfen immer wieder den Strohhalm.
Draußen auf der Terrasse tanzen ab 2 Uhr Nachts zu einem alternativen DJ nur noch die Angestellten.
Die Reihen lichten sich. Selbst Detlev Buck sieht verloren aus. Nachdem stundenlang hochgepuschte Brüste auf hohen Absätzen an einem vorbeiziehen, zieht die Alkoholschwere den Blick immer penetranter hinunter in die Ausschnitte weiblicher Gesprächspartner. Es wird Zeit, zu gehen.
Nachts um halb Fünf in der Ringbahn sitzen, mit einer Gala-Tüte voller Werbegeschenke in der Hand.
Falls es nicht so geklungen hat: Ich hatte einen tollen Abend. Denn ich weiß: Dies wird nie mein einziges Zuhause sein!
Du meintest wohl:
“…damit Kollege Cabuflé weiß, dass während er am arschkalten Außenmotiv einen nächtlichen Stromausfall verdaute, auch noch die vermutlich letzte Chance, Loriot lebend aus der Nähe zu sehen, an ihm vorbeiging.”
(unnötig zu erwähnen, dass ich den Moment, als der Strom wieder anging oder die letzte Klappe im Morgengrauen dennoch um keinen Preis dafür hätte eintauschen wollen)